Start-up-Regierungsbeirat empfiehlt "Disziplinierung der Presse"

Die "Junge Digitale Wirtschaft" ist als Beirat der Bundesregierung für Eingriffe in die Pressefreiheit, damit über Börsengänge "ausgewogen" berichtet wird.

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(Bild: fotoinfot/Shutterstock.com)

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Eine staatliche "Disziplinierung der Presse zu sachlicher, richtiger und vollständiger Information" hält der Beirat "Junge Digitale Wirtschaft" für nötig. Er berät Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) "aus erster Hand zu aktuellen Fragen der digitalen Transformation". Dem Gremium brennt dabei das Anliegen auf dem Herzen, mit dem gewünschten Eingriff in die Pressefreiheit eine "ausgewogene Berichterstattung" über Börsengänge zu gewährleisten.

Zu diesem Zweck soll die Regierung "Regeln zur Vermeidung einseitig diffamierender Artikel" erlassen. Finanzredakteure hätten es sich angewöhnt, IPOs (Initial Public Offerings) von Startups und die "New Economy" an sich regelrecht zu verreißen, begründet der Beirat seinen Appell. Der Presse solle zugleich auferlegt werden, auch über kleinere Börsengänge zu berichten, da diese sonst "bei den großen Medien ganz durchs Raster" fielen. Nötig sei ferner ein Recht auf "unverzügliche Gegendarstellung bei Fehlinformationen". Zuerst hatte das Handelsblatt über die Position des Beirats berichtet.

Betreiber von Internetforen will das Gremium verpflichtet wissen, Klarnamen von Bloggern offenzulegen. Eine entsprechende Online-Ausweispflicht oder ein Identitätszwang sind seit Langem heftig umstritten. Dazu soll die Politik sicherstellen, dass Blogger "für Falschbehauptungen und Beleidigungen" haften. Andererseits sollen Emittenten das Recht erhalten, wohlwollende Artikel und Empfehlungen aus den Medien online zu veröffentlichen, "ohne dafür horrende Lizenzgebühren an die Urheber zu zahlen". Haftungsrisiken aufgrund Fehlinterpretationen der Publikationen müssten dagegen wegfallen.

Namentlich als Autoren des des Papiers, das in Auszügen auch auf Twitter kursiert, sind Amorelie-Gründerin Lea-Sophie Cramer, Investor Christoph Gerlinger von der German Startups Group und Alex von Frankenberg, Geschäftsführer des High-Tech Gründerfonds, genannt. Sie verweisen unter anderem auf Berichte über die parallelen IPOs des Essenslieferanten Delivery Hero und der Pasta-Restaurantkette Vapiano 2017. Die digitale Lieferplattform, die nach wie vor rote Zahlen schreibt, sei als "überbewerte Luftnummer" zerrissen, Vapiano als "seriös und solide" eingeschätzt worden. Heute sei Delivery Hero im Dax, Vapiano dagegen pleite.

Gerlinger hat inzwischen seinen Rücktritt angeboten – Bundeswirtschaftminister Altmaier teilte via Twitter mit, dass er den Rücktritt annehme. Gerlinger schrieb laut Deutscher Presse-Agentur, er "übernehme die Verantwortung dafür, dass eine unpassende und missverständliche Formulierung von mir aus einem frühen Teilkonzept des Positionspapiers aufgrund eines handwerklichen Fehlers in der finalen, veröffentlichen Fassung gelandet ist. Diese Formulierung entspricht weder der Position des Beirats noch der der Mit-Autoren noch der von mir." Auch der Beirat distanzierte sich inzwischen von der Publikation, interne Kontrollmechanismen hätten versagt. Es habe sich um eine veraltete Entwurfsfassung gehandelt, die versehentlich dem Wirtschaftsministerium zur Veröffentlichung übersandt worden sei.

Altmaier erklärte, das aus dem April stammende Dokument sei ihm ebenso wenig bekannt gewesen wie dessen zeitweise Veröffentlichung auf der Homepage des Ministeriums. "Ich habe soeben die umgehende Entfernung angeordnet", betonte er auf Twitter. "Pressefreiheit ist ein herausragendes Grundrecht, dessen Schutz wir verpflichtet sind."

Den mit vielen Startup-Gründern und Verbandsexperten besetzten Beirat hatte 2013 der damalige Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) eingerichtet. Altmaier lobte das derzeit aus 29 Mitgliedern bestehende Gremium im September als "wichtigen Impulsgeber", der "wertvolle Anregungen" liefere.

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Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) sprach auf Twitter von "völlig absurden Forderungen". Es sei unerklärlich, warum das Wirtschaftsministerium diese "als Meinungsäußerung" veröffentlicht habe. Zugleich fühlt sich der DJV an den Wirecard-Skandal erinnert. Der damit verknüpfte massive Betrug habe den Wert "kritischer und unabhängiger Berichterstattung" gezeigt. Die Stellungnahme des Beirats zeuge mit dem Ruf nach Hofberichterstattung "von völliger Unkenntnis des Journalismus und seiner Aufgaben in der Demokratie".

(axk)