Elektroauto Lucid Air: Luxuriös-rasante Konkurrenz für den Mercedes EQS

Eine erste Ausfahrt mit dem Lucid Air zeigt, dass hier ein ernstzunehmender Konkurrent an den Start geht. Das E-Auto beschleunigt und lädt mit enormem Tempo.

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Lucid Air
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Stefan Grundhoff
Inhaltsverzeichnis

Versuche, in der automobilen Oberklasse Fuß zu fassen, gab es in der Vergangenheit schon einige. Mit dem Wandel bei den Antrieben eröffnet sich eine Chance. Eine der Marken, die diese nutzen wollen, ist Lucid. Die elegante Limousine Lucid Air soll dem Mercedes EQS Konkurrenz machen.

Auf den ersten Blick wirkt die Bandbreite des Angebots ziemlich ambitioniert. Das Basismodell soll rund 80.000 Dollar kosten, die Spitzenvariante 180.000 Dollar. Der Verkauf in den USA soll noch in diesem Jahr starten, europäische Interessenten werden ab Mitte 2022 bedient. Vier Versionen sind vorerst geplant, das Leistungsangebot reicht von ungefähr 358 über 462 und 597 bis hin zu 805 kW. Für diese erste Ausfahrt stand uns ein Modell mit 597 kW zur Verfügung.

Bei voller Beschleunigung kann man sich in den bequemen Ledersesseln kaum bewegen, so heftig tritt der elektrische Amerikaner an. Kaum vorstellbar, was im Topmodell mit nochmals über 200 kW mehr Leistung los sein muss, wenn sich der Fahrer nicht zügelt. Das Beschleunigungsvermögen liegt fraglos weit oberhalb dessen, was sich in der Praxis irgendwie nutzen ließe. Es bleibt für alle anderen Verkehrsteilnehmer nur der fromme Wunsch, dass sich der Steuermann im Lucid Air stets im Griff hat. Schluss soll erst bei 270 km/h sein.

Gewaltig erscheint auch die Batterie- und Ladebestückung. Der Speicher hat einen Energiegehalt von 113 kWh und erlaubt bidirektionales Laden. Über die Fahrzeugbatterie lässt sich also auch ein externer Verbraucher betreiben. Die Ladespannung kann bei bis zu 900 Volt liegen. Mit dieser höheren Spannungsebene kann die Ladeleistung steigen, ohne das die Stromstärke zunimmt. Lucid verspricht mehr als 300 Meilen Reichweite in 20 Minuten nachladen zu können. Das wird nicht über alle Ausgangs-Ladestände hinweg klappen, was den Wert kaum weniger beeindruckend erscheinen lässt.

Die maximale Reichweite ist in den technischen Daten mit 517 Meilen angegeben, was 832 km entspricht. Für eine verlässliche Verbrauchsangabe war diese erste Probefahrt zu kurz. Doch selbst wenn es in der Praxis nur 600 km sein sollten: Gegnern der Elektromobilität, die den batterieelektrischen Autos eine mangelnde Reichweite vorwerfen, werden hier mit einer gewaltigen Reichweite und der enormen Ladeleistung gleich in doppelter Hinsicht die Argumente entzogen.

Fahrbericht Lucid Air (14 Bilder)

Lucid hat eine elegante Limousine erschaffen: Das Design des Air wirkt stimmig.

Lucid verzichtet bei seinem Air auf eine Luftfederung und will die Komfortansprüche seiner Kunden allein mit elektronischen Dämpfern befriedigen. Auf der welligen Piste und den bisweilen zerborstenen Straßen am Pazifik funktioniert das trotz der 20-Zöller samt flacher Flankenhöhe der Bereifung schon ganz gut. Die kleinen Modelle haben 19-, das Topmodell der "Dream Edition" 21-Zoll-Felgen.

Mit 4,98 Metern Länge ist der Lucid Air minimal länger als eine aktuelle Mercedes E-Klasse (Test). Das Platzangebot erinnert freilich eher an die S-Klasse, zumindest was die Beinfreiheit hinten betrifft. Der Kopfraum ist erheblich geringer. Auch der Kofferraum ist mit 456 Liter unterdurchschnittlich dimensioniert. Allerdings ist der vordere Stauraum mit 202 Litern durchaus eine nennenswerte Ergänzung.

Ungewöhnlich ist die Verglasung: Die aufpreispflichtige Frontscheibe zieht sich bis über die vorderen Sitze. Eine Öffnung zu Lüften ist nicht vorgesehen, eine Blende zum Verschatten auch nicht. Dabei hatte die Klimaanlage bei Temperaturen jenseits der 30 Grad in der Region Monterey schon ordentlich zu tun. Heck- und Seitenfenster verdunkeln sich dagegen auf Knopfdruck – das sollte Lucid auch für die Dachverglasung anbieten.

Besser durchdacht erscheint uns die Bedienung. Die meisten Funktionen lassen sich über einen Touchscreen in der Mittelkonsole anwählen, der auf Wunsch jedoch ins Armaturenbrett hineinfährt und große Ablagen darunter freigibt – ebenso schick wie praktisch gelöst. Vieles lässt sich schon per Sprache bedienen, wobei Lucid hier an das, was Mercedes im EQS auffährt, nicht ganz heranreicht. Materialien und Verarbeitung sind dagegen im Lucid erstklassig, was Interessenten angesichts der Preise auch erwarten dürfen. Nachlässigkeiten würde in dieser Klasse wohl kaum ein Kunde tolerieren.

Sollte sich die alte Erkenntnis bewahrheiten, dass Konkurrenz das Geschäft belebt, dürfen sich die etablierten Hersteller freuen. Denn der Lucid Air macht auf Anhieb einen ziemlich passablen Eindruck und dürfte gerade Kunden anziehen, die auf ein gehobenes Image pfeifen. Die Frage ist nur, wie viele das sein werden. Denn die zahlreichen Anläufe anderer Hersteller strandeten ja nicht am Umstand, dass ihr Beitrag irgendwie nicht konkurrenzfähig gewesen wäre. Die erste Ausfahrt mit dem Lucid Air hinterließ bei uns freilich den Eindruck, die Marke besser nicht zu unterschätzen.

(mfz)