Manipulierbare Tachos: Bundesregierung will EU-Verordnung "überprüfen" lassen

Der ADAC hat festgestellt, dass die Tachostände von Neuwagen weiterhin leicht manipulierbar sind. Die Bundesregierung verweist auf eine EU-Verordnung.

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(Bild: ADAC / Ralph Wagner)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
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Der Kilometerstand vieler neu zugelassener Fahrzeuge lässt sich laut ADAC noch immer einfach manipulieren. An einer Sicherheitszertifizierung ist die Automobilindustrie nicht interessiert, dabei verlangt eine gesetzliche Regelung seit 2017 den "systematischen Schutz" des Tachos.

Seit September 2017 ist eine IT-Sicherheitsfunktion erstmals Bestandteil des Kfz-Zulassungsverfahrens. In der Praxis spielt sie bisher keine Rolle, wie eine aktuelle Untersuchung des ADAC zeigt. Binnen weniger Minuten gelang es den Technikern des Automobilclubs, mit einem frei erhältlichen Manipulationsgerät an den Kilometerständen zu schrauben. In der Stichprobe gelang dies bei einem Ford Kuga von 2019, einem Opel Grandland X von 2020 und einem Peugeot 208 von 2019.

Das Bundesverkehrsministerium will nun zusammen mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) prüfen, ob bei der EU-Kommission eine Anpassung der Verordnung (EU) 2017/1151 angeregt werden solle. Die Verordnung beinhalte nämlich keine konkreten Maßnahmen und daraus resultierende standardisierte Prüfanforderungen, erklärte eine Sprecherin gegenüber heise online und verwies darauf, dass sich das Fahrzeugnetz je nach Hersteller in den Bereichen Aufbau, Zusammensetzung und Funktionsumfang unterscheide.

Bei den Modellen von Ford und Peugeot musste das Manipulationsgerät, das der ADAC mit Genehmigung der Staatsanwaltschaft für seine Tests verwenden durfte, lediglich an die Onboard-Diagnosebuchse angesteckt werden. Beim Opel wurde es zusätzlich auch am Tacho fixiert. Auf frei zugänglichen Webseiten der Hersteller der legal erhältlichen Tuning- bzw. Manipulationsgeräte fand der ADAC Hinweise auf über 170 weitere Modelle ab 2019.

Für den ADAC steht damit fest: Die seit 2017 geltende europäische Verordnung (2017/1151) greift in der Praxis noch immer nicht. Die Regelung verlangt von den Automobilherstellern, "systematische Techniken zum Schutz gegen unbefugte Benutzung sowie Schreibschutzvorrichtungen anzuwenden, die die Integrität des Kilometerstands sichern."

Zertifizierungen gibt es auch vier Jahre später nicht, obwohl nach einer Übergangsfrist von einem Jahr seit September 2018 alle Neuzulassungen von Pkw, Wohnmobilen sowie Geländewagen und Transportfahrzeuge bis zu einer Gesamtmasse von 3,5 Tonnen erfasst sind. Bis September 2018 gab es eine Übergangsregelung, die nur wenige Fahrzeugklassen erfasste. Nun aber sind alle Pkws, Wohnmobile sowie Geländewagen und Transportfahrzeuge bis zu einer Gesamtmasse von 3,5 Tonnen erfasst.

Das Kraftfahrzeug-Bundesamt (KBA) stellte zwar schon frühzeitig klar, dass die Hersteller für den Nachweis der Manipulationssicherheit darlegen müssen, wie sie "den kryptografischen Manipulationsschutz, die Manipulationserkennung, den separaten Abgleich unterschiedlicher Steuergeräte in Bezug auf den in unterschiedlichen Steuergeräten gespeicherten Wegstreckenstand und den vorhandenen Hardware-Manipulationsschutz, z. B. des Mikrocontrollers" gestalten. Doch die sicherheitstechnische Ausgestaltung bleibt noch immer den Herstellern selbst überlassen, da das KBA keine Vorgaben macht.

Das aktuelle Prozedere sieht vor, dass die seitens des jeweiligen Herstellers festgelegten Maßnahmen von einem benannten technischen Dienst geprüft und mittels Gutachten dokumentiert werden. Das KBA als zuständige Genehmigungsbehörde in Deutschland bewertet bei der Erteilung einer Genehmigung die herstellerspezifischen Maßnahmen und erteilt bei positiver Bewertung die Genehmigung.

Eine Zertifizierung etwa nach Common Criteria/ISO 15408, wie sie der ADAC fordert, ist nach vier Jahren nicht in Sicht. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) teilte heise online mit, dass es dazu mit dem ADAC und deutschen Automobilherstellern in regelmäßigem Kontakt stehe. Die Möglichkeiten einer CC-Zertifizierung seien aufgezeigt worden, wobei eine CC-Zertifizierung für den Schutz des Kilometerstandes "noch nicht etabliert" sei. Auch liege dem BSI kein Prüfauftrag vor.

Mit Blick auf die mangelhafte Umsetzung der Sicherheitsanforderungen meint der ADAC, die meisten Opfer seien private Gebrauchtwagenkäufer. Ihr Schaden gehe oft über den überhöhten Kaufpreis hinaus, etwa wenn ein falscher Tachostand suggeriert, dass der Austausch eines Fahrzeugteils noch Zeit habe. Der Automobilclub warnt davor, dass die meisten Werkstätten und Kfz-Sachverständigen eine professionell durchgeführte Tachomanipulation nicht aufdecken können. Reparaturrechnungen, AU- und TÜV-Berichte, aber auch Ölwechsel-Aufkleber bzw. -Anhänger könnten jedoch beim Kauf eines Gebrauchtwagens Hinweise darauf geben, wie plausibel der angezeigte Kilometerstand ist.

(anw)