Edit Policy: Warum Aktivismus gegen Apple gemeinnützig sein sollte

Apples Umgang mit der Kritik an der geplanten Foto-Überwachung auf iPhones zeigt: So etwas wirkt. Fördern will der deutsche Staat solche Kritik aber nicht.

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(Bild: MicroOne/Shutterstock.com/Diana Levine)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Felix Reda
Inhaltsverzeichnis

So schnell ist Apple noch nie zurückgerudert: Am 5. August hatte das Unternehmen angekündigt, ab der iOS-Version 15 iPhones in den USA mit Überwachungstechnik zu versehen, die ihre Nutzer*innen ausspäht: Ein starkes Stück für einen Konzern, der mit Plakaten wie "Was auf deinem iPhone passiert, bleibt auf deinem iPhone" wirbt. Einen Monat später, wenige Tage vor dem Launch des neuen iPhone-Modells, heißt es nun, dass die Pläne auf unbestimmte Zeit verschoben werden, um mehr Feedback dazu zu sammeln.

Kolumne: Edit Policy

(Bild: 

Volker Conradus, CC BY 4.0

)

In der Kolumne Edit Policy kommentiert der ehemalige Europaabgeordnete Felix Reda Entwicklungen in der europäischen und globalen Digitalpolitik. Dabei möchte er aufzeigen, dass europäische und globale netzpolitische Entwicklungen veränderbar sind, und zum politischen Engagement anregen.

Die Events, auf denen Apple neue Produkte vorstellt, sind von jeher minutiös durchchoreographiert. Diesen wichtigen Werbetermin will das Unternehmen offenbar nicht von dem Aufschrei übertönen lassen, mit dem die Zivilgesellschaft die Überwachungspläne quittiert hat. Der Fall zeigt wie kaum ein anderer, dass die kritische Auseinandersetzung mit dem Verhalten von Unternehmen nicht nur wirkungsvoll ist, sondern für moderne Demokratien absolut unerlässlich. Diese Erkenntnis würde auch deutschen Behörden guttun, die gezielt versuchen, die demokratische Auseinandersetzung der Zivilgesellschaft mit Unternehmen zu erschweren.

Die Pläne von Apple sind aufgeschoben, aber noch nicht endgültig vom Tisch: Alle Fotos, die in die iCloud hochgeladen werden, sollen demnach gegen eine Datenbank bekannter Bilder von Kindesmissbrauch gescannt werden. Außerdem soll die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für iMessages auf Accounts von Kindern aufgehoben werden, um mittels maschinellen Lernens mögliche Nacktaufnahmen in diesen Nachrichten zu identifizieren und automatisch die mutmaßlichen Erziehungsberechtigten zu informieren.

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Über 90 Organisationen wiesen unmittelbar nach der Ankündigung in einem offenen Brief auf die Gefahren dieser Pläne für die Sicherheit der betroffenen Kinder und die Privatsphäre aller iPhone-Nutzer*innen hin. Aus der Wissenschaft folgten praktische Beispiele, wie man harmlos aussehende Bilder so manipulieren kann, dass sie denselben Hashwert wie bekannte Missbrauchsfotos generieren, um sie dann nichtsahnenden Zielen zuzuschicken und diese so ins Visier der Strafverfolgungsbehörden zu bringen. Whistleblower Edward Snowden warnte davor, dass Nutzer*innen mit dem Update jegliche Hoheit über ihre Endgeräte abgeben, die nunmehr nicht mehr für, sondern gegen sie arbeiten würden. Dieser Protest aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft hat erste Wirkung gezeigt. Nach dem Einlenken von Apple fordert die Zivilgesellschaft nun den vollständigen Stopp der Überwachungspläne.

Es liegt nicht nur an der weiten Verbreitung von iPhones, dass die Öffentlichkeit auf Apples Überwachungspläne so empört reagiert hat. Unternehmensentscheidungen wie diese haben politische Wirkung weit über die eigenen Kund*innen hinaus. Die Erfahrung aus der Sicherheitspolitik lehrt uns, dass Strafverfolgungsbehörden niemals freiwillig auf Ermittlungsmethoden verzichten, die Unternehmen einmal technisch ermöglicht haben. Das sieht man beispielsweise daran, wie harsch Facebook von der britischen Regierung dafür kritisiert wird, dass es die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für seine Messenger-Dienste ausweiten will. Wären Facebooks Messenger von Anfang an verschlüsselt gewesen, müsste das Unternehmen mit großer Sicherheit weniger Kritik aus der Politik ertragen.

Unternehmensentscheidungen beeinflussen, was als politisch machbar gilt und sind der erste Schritt zu Gesetzesänderungen. Nachdem in Brüssel eine politische Debatte über die datenschutzrechtliche Zulässigkeit von Facebooks freiwilligen Maßnahmen zur Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Grooming entbrannt war, hat die EU-Kommission nicht nur einen Gesetzesvorschlag auf den Weg gebracht, um diese Praktiken zu legalisieren, sie plant auch noch einen weiteren Gesetzesentwurf, der solche Überwachungsmaßnahmen für zahlreiche Plattformen verpflichtend machen könnte.

Auch die EU-Urheberrechtsreform hätte nie auf Uploadfilter gesetzt, wenn nicht zuvor YouTube freiwillig eine solche Technologie entwickelt und damit Begehrlichkeiten in der Unterhaltungsindustrie geweckt hätte. Ebenso muss sich Apple den Vorwurf gefallen lassen, wenn es freiwillig die Endgeräte seiner Kund*innen nach Missbrauchsfotos durchforstet, dass das Unternehmen jederzeit per Gesetzesänderung dazu gezwungen werden könnte, diese Überwachung auf beliebige andere Inhalte auszuweiten. Die digitale Zivilgesellschaft weiß: Wenn sie Grundrechtseinschränkungen wirksam bekämpfen will, reicht es nicht, sich mit dem Staat zu beschäftigen. Auch das Verhalten großer Unternehmen gilt es zu beobachten und wenn nötig lautstark zu kritisieren.