Kommentar: Das Bullshit-Bingo der Energiewende

Typische Argumente in der Klimadebatte – und was sie wirklich bedeuten.

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Energiewende, Klimawandel
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Viele Phrasen, die bei der Debatte um die Energiewende immer wieder auftauchen, sind nicht notwendigerweise falsch. Allerdings sind sie oft so trivial, dass sie jede Aussagekraft eingebüßt haben. Ein guter Prüfstein für Trivialität: Gibt es auch Leute, die ernsthaft das Gegenteil behaupten? Ein klassisches Beispiel:

"Man muss die Menschen mitnehmen."

Dem wird wohl niemand widersprechen. Nur: Wie genau mitnehmen? Und was ist, wenn sich Menschen nicht mitnehmen lassen wollen? Verhaften und abführen? Die Phrase suggeriert, dass sich alle realen Interessenkonflikte früher oder später in Logikwölkchen auflösen, wenn man den Leuten nur ausführlich genug erklärt, was Sache ist.

Ein Kommentar von Gregor Honsel

Gregor Honsel ist seit 2006 TR-Redakteur. Er glaubt, dass viele komplexe Probleme einfache, leichtverständliche, aber falsche Lösungen haben.

"Der Markt sollte das regeln."

Mag ja sein, aber was genau ist denn "der" Markt? Idealerweise sollte ein Markt die realen Kosten abbilden und "Knappheitssignale" setzen, etwa bei Umweltschäden. Die aber werden in der Regel von der Allgemeinheit getragen. Von einem wirklichen Markt kann also keine Rede sein. Werden solche Kosten, wie es sich für einen Markt gehört, dem Verursacher in Rechnung gestellt, würde es beispielsweise für fossile Brennstoffe richtig, richtig teuer. Diese Konsequenz scheint den meisten, die nach dem Markt rufen, nicht immer klar zu sein.

"Wir brauchen Technologieneutralität."

Gute Idee. Wirkliche Technologieneutralität würde allerdings bedeuten, verschiedene Technologien fair gegeneinander antreten zu lassen, indem man sämtliche Nebenwirkungen mit einbezieht – beispielsweise die von ihnen verursachten Umweltschäden. Die steuerliche Begünstigung von Diesel und Kerosin wäre eins der ersten Dinge, die einer konsequenten Technologieneutralität zum Opfer fallen würden.

"Die Rahmenbedingungen müssen stimmen."

Schon klar. Nur: Für wen genau sollen welche Rahmenbedingungen stimmen? Im Zweifel ist mit den "richtigen" Rahmenbedingungen immer das gemeint, was dem eigenen Geschäftsmodell am meisten nutzt.

"Wir brauchen Anreize statt Verbote."

Wer mag Zuckerbrot nicht lieber als die Peitsche? Ironischerweise besteht gerade die konservative Energiepolitik zu großen Teilen aus Verboten – zum Beispiel dem, eine Windkraftanlage näher als 1.000 Meter an einem bewohnten Haus zu errichten.

"Wir brauchen disruptive Innovationen."

Soll heißen: Wir warten so lange, bis irgendwelche technischen Durchbrüche von Himmel fallen, dank derer wir unser eigenes Verhalten nicht ändern müssen. Und disruptiert gehören bitteschön immer andere Branchen, nicht die eigene.

"Aber was ist mit den Arbeitsplätzen?"

Das politische Gewicht von Arbeitsplätzen ist eine Variable, die stark von der betroffenen Branche abhängt. So waren die 20.000 Jobs in der deutschen Braunkohleindustrie ein zentrales Argument bei den Ausstiegsverhandlungen. Bei den Erneuerbaren gingen währenddessen knapp 120.000 Jobs verloren, ohne dass dies erkennbaren Einfluss auf die Förderpolitik hatte.

"Wir können nicht alleine die Welt retten."

Soll andeuten, dass Deutschland heldenhaft in vorderster Front gegen den Klimawandel kämpft, während alle anderen sich wegducken. Beides ist falsch. Was sich offenbar noch nicht herumgesprochen hat: Im Pariser Klimaabkommen sagten 2015 alle beteiligten Länder eine Reduzierung ihrer Treibhausgase zu. Und Deutschland ist keineswegs Vorreiter, sondern auf dem Weg, seinen zugesagten Beitrag zu reißen. Beim Klimaschutzindex liegt es derzeit auf Platz 15 – noch unter dem EU-Durchschnitt.

"Das allein wird die Welt nicht retten"

Lässt sich auf beliebige Dinge wie Fairtrade-Kaffee, Tofu, Lastenräder, Freitags-Demos oder Mülltrennung übertragen. Klassisches Strohmann-Argument: Es unterstellt dem Gegner eine Maximal-Position, die niemand ernsthaft vertritt, um sich besser daran abarbeiten zu können. Die entscheidende Frage ist vielmehr: Lohnt sich eine Maßnahme im Verhältnis zu ihrem Aufwand? Und da der Aufwand in vielen Fällen recht gering ist, lautet die Antwort oft ja – auch wenn es nicht die Welt rettet.

"Die Experten sind sich nicht einig."

Klar, unterschiedliche Ansichten sind Teil des wissenschaftlichen Diskurses. Aber das ändert nichts daran, dass es zum Klimawandel einen breiten Konsens gibt. Wer auf absolute, in Marmor gemeißelte Wahrheiten warten will, gibt damit zu verstehen, dass er das Problem gerne aussitzen würde.

"Wer soll das alles bezahlen?"

Berechtigte Frage, wird aber bemerkenswert selten im Zusammenhang mit Erdölimporten, Umweltschäden oder Stilllegungsprämien für Kohlekraftwerke gestellt.

(grh)