Trinkgeld: Amazon-Fahrer erhalten 60 Millionen Dollar Nachzahlung

Jahrelang hat Amazon.com Trinkgelder für Lieferfahrer unterschlagen. Endlich erhalten Entreicherte Entschädigung.

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Amazon-Schachteln

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Lesezeit: 3 Min.

140.000 Schecks im Gesamtwert von 59,4 Millionen US-Dollar verschickt die US-Handelsbehörde FTC diese Woche. Hinzu kommen 1.621 elektronische Zahlungen über insgesamt 172.000 Dollar. Es handelt sich um Trinkgeld für Lieferfahrer, das Amazon.com unterschlagen hat.

"100% des Trinkgelds geht an die Lieferfahrer!" So ähnlich hatte Amazon es seinen US-Kunden versprochen. Auch den Fahrern des Lieferprogramms Amazon Flex hatte Amazon das zugesichert: "Sie erhalten 100% der Trinkgelder, die Sie verdienen, während Sie mit Amazon Flex ausliefern." Zusätzlich zum Stundenlohn von 18 bis 25 US-Dollar, versteht sich.

Zunächst hielt sich der Handelskonzern auch daran. Doch Ende 2016 änderte Amazon die Abrechnungen still und heimlich, ohne das offenzulegen, und ohne seine Versprechungen anzupassen. Eine Untersuchung der FTC (Federal Trade Commission) förderte zutage, dass Amazon den Fahrern den Stundenlohn gekürzt hat. Die Trinkgelder nutzte der Konzern dann dazu, die Auszahlungen auf die versprochenen 18-25 Dollar pro Stunden aufzubessern.

Hunderte Beschwerden der entreicherten Werktätigen nutzten nichts. Aus internen Unterlagen geht hervor, dass die bei Amazon.com Zuständigen wussten, dass die Sache stinkt. Sie erkannten "ein enormes PR-Risiko für Amazon" und "eine Zündbox für das Ansehen Amazons". Doch selbst Medienberichte konnten Amazon nicht von der Übervorteilung seiner Lieferfahrer abbringen.

Erst als die FTC im August 2019 Amazon über eine laufende Untersuchung der Vorwürfe informierte, begann das Unternehmen wieder mit der ordnungsgemäßen Auszahlung der Trinkgelder. Im Februar 2021 haben Amazon und die FTC einen Vergleich geschlossen: Auf dieser Basis zahlte Amazon 62 Millionen Dollar, weil es Trinkgeld an Fahrer unterschlagen hat. Zudem verpflichtet sich der Online-Händler dazu, Irreführungen über die Bezahlung von Fahrern und die Verwendung von Trinkgeldern zu unterlassen.

Konkret hat Amazon im Februar 61.710.583 Dollar an die FTC überwiesen. Es soll sich um die gesamten unterschlagenen Trinkgelder handeln. Drei Prozent davon bewahrt die FTC für noch nicht aufgespürte Opfer auf. Weitere 274.000 Dollar behält die FTC als Verwaltungskostenbeitrag. Das sind weniger als zwei Dollar pro versandtem Scheck. Eine Strafe könnte die FTC erst dann verhängen, wenn Amazon.com gegen die im Vergleich auferlegten Verpflichtungen verstößt.

Die Beträge für die einzelnen Lieferfahrer variieren stark. Der größte Scheck beläuft sich laut FTC auf über 28.000 Dollar, der Durchschnittsbetrag liegt bei 422 Dollar. Um 422 Dollar zu verdienen, müssten die Fahrer immerhin 17 bis 24 Stunden lang Amazon-Pakete ausliefern. Obwohl Betroffene, die um weniger als fünf Dollar verkürzt wurden, nichts bekommen, liegt der Medianbetrag der Auszahlungen bei nur 60 Dollar. Für die Meisten geht es also um weniger als hundert Dollar.

In einer seit Juli 2018 laufenden Statistik ist der Amazon-Fall die viertgrößte von insgesamt 114 Entschädigungsverteilungen der FTC. Größere Gesamtsummen sind in dem Zeitraum nur bei AMG Services, Herbalife und Progressive Leasing zusammengekommen.

(ds)