EuGH-Gutachter: Deutsche Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen EU-Recht

Das allgemeine und unterschiedslose Protokollieren von Verbindungs- und Standortdaten ist nur bei einer ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit erlaubt.

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(Bild: mixmagic/Shutterstock.com)

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Die deutschen Vorschriften zur Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten sind unvereinbar mit dem EU-Recht. Zu diesem Resümee kommt Manuel Campos Sánchez-Bordona, Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), in seinen am Donnerstag veröffentlichten Schlussanträgen zu einem Ersuchen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG).

Der Gutachter erkennt zwar "Fortschritte" an, die der hiesige Gesetzgeber bei der Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung 2015 gemacht habe. Nach wie vor gehe damit einher aber eine Pflicht für Provider "zu einer allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung", die sich "auf eine große Vielzahl von Verkehrs- und Standortdaten" beziehe. Die zeitliche Begrenzung, die für diese Auflagen gelte, heile diesen Mangel nicht.

Nach den hiesigen Vorschriften müssen Telekommunikationsanbieter Verbindungsdaten für zehn und Standortinformationen für vier Wochen ohne Verdacht aufbewahren und auf Anordnung hin an Ermittler herausgeben. Die Vorgaben sind auch im jüngst novellierten Telekommunikationsgesetz enthalten, aber aufgrund von Entscheidungen von nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichten ausgesetzt.

Eine allgemeine und unterschiedslose Protokollieren von Verbindungs- und Standortdaten sei nur "bei einer ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit erlaubt", erinnert Campos Sánchez-Bordona in seiner Stellungnahme laut einer Mitteilung des Luxemburger Gerichts an die einschlägige EuGH-Rechtsprechung. In anderen Fällen dürften entsprechende Informationen höchstens "selektiv" aufbewahrt werden.

Der Generalanwalt erinnert zudem daran, dass in jedem Fall der Zugang zu diesen Daten einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte auf Familien- und Privatleben sowie den Schutz personenbezogener Informationen darstelle. Dies sei unabhängig von der Länge des Zeitraums, für den der Zugriff auf die gesammelten Datenberge begehrt werde.

Gegen die deutschen Vorschriften geklagt hatten die Provider SpaceNet und Deutsche Telekom. Der Fall landete nach deren ersten gerichtlichen Erfolgen per Sprungrevision beim BVerwG. Dieses wandte sich 2019 an den EuGH mit einer Frage zur Auslegung der Richtlinie zum Datenschutz in der elektronischen Kommunikation.

Der EuGH verband das deutsche Vorabentscheidungsersuchen mit einem anderem aus Irland (C-140/20) vom dortigen Supreme Court. Darin geht es um ein eventuelles Beweisverwertungsverbot. Die irischen Rechtsvorschriften stünden ebenfalls nicht in Einklang mit der E-Privacy-Richtlinie, erläutert Campos Sánchez-Bordona dazu, wenn sie aus Gründen, die über die den Schutz der nationalen Sicherheit hinausgingen, zu einer präventiven und anlasslosen Vorratsdatenspeicherung aller Teilnehmer für einen Zeitraum von zwei Jahren ermächtigten.

Zugleich unterstreicht der Gutachter, dass die Antworten auf alle vorgelegten Fragen bereits in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu finden seien oder unschwer aus ihr abgeleitet werden könnten. In jüngsten Urteilen hielten die Luxemburger Richter zu den nationalen Gesetzen zur Vorratsdatenspeicherung in Belgien, Frankreich und Großbritannien prinzipiell an ihrer Linie fest, wonach umfassende, prinzipielle Vorgaben zum flächendeckenden Aufbewahren der Telekommunikationsdaten auf Vorrat unverhältnismäßig und grundrechtswidrig sind. Allenfalls für das Aufbewahren von IP-Adressen seien Ausnahmen denkbar.

Vor dem Hintergrund seiner laufenden Rechtsprechung hatte der EuGH das Bundesverwaltungsgericht und das irische Gericht bereits im Vorfeld gefragt, ob sie ihre Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten wollten. Die Antwortschreiben der nationalen Gerichte kritisierte der Generalanwalt dann in der mündlichen Verhandlung im September scharf. So habe sich das BVerwG nur mit einem Satz zu diversen Unterschieden zwischen dem deutschen Gesetz sowie den französischen und belgischen Vorschriften begnügt. Der irische Supreme Court sei darauf nur "recht lakonisch" eingegangen.

Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den Gerichtshof nicht bindend. Oft folgen die Richter aber der vorgezeichneten Linie, die sie in den aktuellen Fällen auch bereits immer wieder vertreten haben. Mit ihrem Urteil ist frühestens im Februar zu rechnen.

"Das Kapitel Vorratsdatenspeicherung muss endlich dauerhaft geschlossen werden zugunsten geeigneterer Methoden zu Prävention und Verfolgung von Straftaten", forderte Sebastian von Bomhard, Vorstand der SpaceNet AG. "Es darf keine anlasslose Totalüberwachung Millionen unschuldiger Bürger geben."

Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender des eco-Verbands der Internetwirtschaft, betonte: "Die Vorratsdatenspeicherung ist ein Grundrechtseingriff von sehr hoher quantitativer und qualitativer Intensität, hat keinen nachgewiesenen Mehrwert für die Strafverfolgung und kostet die Branche geschätzt über 600 Millionen Euro, die wir besser investieren können." An die Verhandlungsführer der geplanten Ampel-Koalition appellierte er, die Überwachungsmaßnahme endgültig zu beerdigen. Die scheidende schwarz-rote Bundesregierung hatte sich jüngst noch dafür stark gemacht, das Instrument EU-weit wieder einzuführen und zu verschärfen.

(olb)