Edit Policy: Netzneutralität gestärkt – Telekom wettert gegen den Rechtsstaat

Anstatt sich auf das absehbare Ende des Zero Rating vorzubereiten, verlassen Telekom & Co. lieber den demokratischen Diskurs.

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(Bild: carballo/Shutterstock.com/Diana Levine)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Felix Reda
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Lange hat die Bundesnetzagentur den Telecom-Riesen freie Hand gelassen, wenn es um das Angebot von sogenannten Zero-Rating-Tarifen ging. Das soll sich jetzt ändern: In einer Verbändeanhörung vergangene Woche gab die Bundesnetzagentur bekannt, dass die Behörde diese Tarife nun infolge jüngster Urteile des Europäischen Gerichtshofs für unvereinbar mit der Netzneutralität hält. Schon im nächsten Jahr wird das Gremium der europäischen Telko-Regulierungsbehörden BEREC neue Leitlinien zur Netzneutralität verabschieden, parallel dazu will die Bundesnetzagentur nun Verwaltungsverfahren gegen bestehende Zero-Rating-Tarife einleiten, die aber erst nach Verabschiedung der Leitlinien abgeschlossen werden. Anstatt sich auf das absehbare Ende des Zero Rating vorzubereiten, wettern Telekom & Co. lieber gegen den Rechtsstaat und bewegen sich damit außerhalb des demokratischen Diskurses.

Beim Zero Rating werden die Daten bestimmter Anwendungen, beispielsweise von Musik- oder Video-Streamingdiensten, nicht auf das monatliche Datenvolumen angerechnet. Auf den ersten Blick mögen Kund:innen solche Tarife für vorteilhaft halten, insbesondere wenn sie über ein geringes monatliches Datenvolumen verfügen und eine bestimmte Gruppe von Apps besonders intensiv nutzen. Tatsächlich verbirgt sich hinter dem Zero Rating aber eine Falle: Um diese Tarife attraktiv zu halten, beschränken Telecomanbieter künstlich die Inklusiv-Datenvolumen ihrer Tarife: Denn wer ohnehin durch normales Surfverhalten niemals so viel Volumen verbraucht, dass die Verbindung gedrosselt wird, ist kaum bereit, für Zero Rating-Pakete zusätzlich zu bezahlen.

Diesen Effekt hat der österreichische Grundrechteverband epicenter.works in seinem Net Neutrality Report nachgewiesen: In EU-Ländern, in denen Zero-Rating-Tarife durch die Regulierungsbehörden toleriert werden, zahlen Verbraucher*innen mehr Grundgebühr für weniger umfangreiche Datenvolumen – und bekommen Zero Rating für ganz bestimmte Apps dann als vermeintlich vorteilhafte Zusatzoption angedreht.

Die Risiken von Zero Rating sind erheblich: Die Praxis setzt Anbieter von Apps unter Druck, mit den Mobilfunkprovidern über die Beteiligung an Zero-Rating-Tarifen zu verhandeln. Denn wenn der Traffic von Instagram, TikTok, WhatsApp& Co. nicht auf das Inklusivvolumen zahlreicher Nutzer:innen angerechnet wird, bedeutet das einen Wettbewerbsnachteil für neue, alternative soziale Netzwerke oder Messenger, die sich nicht an Zero Rating-Tarifen beteiligen. Zwar verlangt die Telekom von Diensteanbietern keine Gebühr für die Teilnahme an StreamOn, wohl aber die Befolgung von durch die Telekom definierten technischen Voraussetzungen und den Abschluss eines Vertrags.

Auf Dauer führt die Marktkonzentration durch Zero Rating dazu, dass die Vielfalt an populären Apps nachlässt und die Kund:innen der Zero Rating-Tarife sich in eine künstliche Abhängigkeit von einzelnen Diensten begeben. Das konnte man beispielsweise beim jüngsten Facebook-Blackout beobachten, der viele Menschen insbesondere im Lateinamerika von der kostenlosen Kommunikation via WhatsApp abschnitt, während alternative Messenger wie Signal über ihre Mobilfunktarife nur kostenpflichtig nutzbar waren.

Zero Rating-Fans mögen nun einwenden, dass es besser ist, wenigstens auf WhatsApp kostenfrei zugreifen zu können, wenn man sein Datenvolumen bereits aufgebraucht hat, als auf gar keinen Messenger. Die Erfahrung aus anderen EU-Ländern zeigt aber: Wenn Zero Rating keine Option ist, bieten die Internetprovider einfach gleich höhere Datenvolumen zum selben Preis an. Technisch ist das kein Problem, aber die Möglichkeit, mit Zero Rating-Tarifen extra abzukassieren, motiviert die Telkos zu einer künstlichen Verknappung der Inklusiv-Daten.