Verge TS: Elektro-Superbike aus Finnland

Mit Durchblick am Radnabenantrieb zeigt die Verge TS, dass sie ein E-Bike ist und bietet mit 1000 Nm rund zwei Drittel der Kraft einer Ducati 1299 Panigale S.

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(Bild: Verge)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Ingo Gach
Inhaltsverzeichnis

Das Elektro-Superbike Verge TS hat den Durchblick: Sein Radnabenantrieb ermöglicht ein spektakuläres Loch im Zentrum ihrer Hinterradnabe. Mit 1000 Nm am Rad bringt es rund zwei Drittel der Kraft einer Ducati 1299 Panigale S auf die Straße.

Wie Teemu Saukkio in Finnland auf die Idee kam, ein Elektro-Superbike zu bauen, ist uns nicht bekannt (vielleicht wegen der langen Winternächte), das Ergebnis kann sich aber sehen lassen. Der findige Tüftler hatte schon 2019 als 28-Jähriger in der idyllischen Hafenstadt Turku das Elektromotorrad RMK E1 aufgebaut und damit in Insiderkreisen für Aufsehen gesorgt. Doch sie war nur der Anfang, Saukkio wollte ein E-Motorrad mit Radnabenmotor bauen.

Rasch wurden finanzkräftige Leute auf ihn aufmerksam und der Name des Unternehmens von RMK in Verge Motorcycles geändert, weil das internationaler klang, wie der CEO Tuomo Lehtimäki meint. Außerdem verlagerten sie den Sitz 300 Kilometer weiter nördlich in das Provinzstädtchen Seinäjoki, um dort eine Produktionsstätte aufzubauen. Das neue Elektromotorrad von Verge erhielt zu Ehren von Teemu Saukkio dessen Initialen TS. Sie hat bereits Serienreife und ist gegen eine Anzahlung von 2000 Euro bestellbar. Eigentlich sollte die Produktion schon im Sommer anlaufen, aber COVID-19 hat dem Unternehmen einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Die Verge TS beeindruckt bereits mit ihrem Auftritt: Breite Brust und noch breiterer Hinterreifen. Als Rückgrat dient ein Aluminiumrahmen, denn die Entwickler wollten das Gewicht der Verge TS im Auge behalten. Sie bringt es dennoch auf 250 Kilogramm. Den 240er-Pneu braucht sie, weil der Elektromotor (mit seiner technisch erforderlichen Breite) direkt auf die Felge des 17-Zoll-Hinterrads wirkt. Der ringförmige Motor benötigt dazu als Träger eine Nabe, die fast bis zur Felge reicht. Das wiederum ermöglicht ultrakurze Schwingen, die das Radlager mit dem Rahmen verbinden.

Verge TS (8 Bilder)

Die Verge TS aus Finnland beeindruckt mit einem kräftigen Radnabenmotor.

Aus technischer Hinsicht ist es sinnvoll, den leeren Raum im Zentrum der Nabe nicht zu füllen – so ein Elektromotor ist ja bereits schwer genug und verschlechtert durch seine ungefederte Masse bei unebener Fahrbahn die Bodenhaftung. Unbestreitbare Vorteile dieses Direktantriebs sind hingegen der Wegfall einer Kraftübertragung, wie etwa des geräuschvollen Getriebes der Harley-Davidson LiveWire.

Bei den Energica-Modellen hingegen hört man den Kettenantrieb zum Hinterrad rasseln. Unnötigerweise ist bei ihr aber der Primärantrieb so laut, dass er die Kette sogar noch übertönt.

Die Verge fährt mangels Übersetzungen in ihrer Kraftübertragung im Vergleich so ruhig, wie man es von einem E-Bike eigentlich erwarten sollte. In ihr arbeiten weder Zahnräder noch Riemen oder Kette zum Hinterrad.

Das große Loch sieht zunächst ungewohnt aus, hat aber einen gewissen Charme, schließlich macht es unmissverständlich klar, dass hier ein Elektromotor arbeitet. Er wird von einer vierarmigen Schwinge aus Aluminium gehalten, auf deren rechter Seite drei leuchtorange Kabel von der 20,2-kWh-Batterie zum Motor führen. Damit Leistungsaufnahme und -abgabe auch bei hoher Belastung möglichst wenig gedrosselt werden müssen, verfügt die Lithium-Batterie über eine Gebläsekühlung.

Drehmoment zur Beschleunigung ist jedenfalls genug vorhanden, der Hersteller gibt ein Maximum von 1000 Nm an, entsprechend rund 3200 N an der Reifenaufstandsfläche. Es dürfte so mit fünf Zentnern plus Fahrer kein Problem haben. Bei der Ducati Panigale 1299 (Test) beispielsweise vervielfachen die Übersetzungen in Primärantrieb (x 2,46), Getriebe (x 2,6) und Endantrieb (x 1,77) die aktuell 137 Nm an der Kurbelwelle auf 1550,9 Nm an der Hinterachse, entsprechend rund 4900 N am Rad – allerdings nur im ersten Gang bei 9000 Touren (und stark vereinfachend ohne die unvermeidlichen Reibungsverluste).

Darüber, darunter und in allen folgenden Gangstufen ist es bedeutend weniger, während der Fahrer einer Verge fast die gesamte Drehkraft schon im Stand einsetzen und auch während der Fahrt noch das meiste davon ansatzlos aktivieren kann. Das Elektrokrad ermöglicht also eine viel effektivere Nutzung dieser Kraft. Bleibt nur noch der Gewichtsnachteil und die kleine Reichweite.