Digital Markets Act: EU-Parlament stimmt für verknüpfbare Messenger

Die EU-Abgeordneten haben ihre Verhandlungslinie zum Gesetz für digitale Märkte abgesteckt, mit dem sie unfaire Praktiken von Torwächtern stoppen wollen.

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(Bild: Shutterstock/AlexandraPopova)

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Das EU-Parlament will die Macht großer Online-Plattformen mit essenziellen Diensten wie Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft, Airbnb und Booking.com mit einer Marktkapitalisierung von über 80 Milliarden Euro und mindestens 45 Millionen Nutzern einschränken. Mit einem neuen kartellrechtlichen Werkzeugkasten sollen dominante "Gatekeeper" im Netz davon abgehalten werden, unfaire Praktiken auszuüben. Dies sieht die Position der Abgeordneten zum geplanten Digital Markets Act (DMA) vor, die am Mittwoch im Plenum eine große Mehrheit von 642 zu 8 Stimmen bei 46 Enthaltungen fand.

"Torwächter" sollen ihre Messenger-Dienste und andere Begleitprodukte wie News-Feeds bei sozialen Netzwerken laut dem Kompromiss, den der Binnenmarktausschuss (IMCO) zuvor geschmiedet hatte, künftig interoperabel gestalten. Nutzer könnten dann Nachrichten beispielsweise zwischen WhatsApp, Signal, Facebook Messenger und Threema austauschen sowie ihre Timelines etwa auf Twitter mit Beiträgen aus Instagram und Facebook anreichern.

Es sollte allen Anbietern gleichwertiger zentraler Plattformdienste gestattet werden, sich mit "nummernunabhängigen interpersonellen Kommunikationsdiensten" oder sozialen Netzwerkservices der Gatekeeper auf Antrag hin kostenlos "zusammenzuschalten", heißt es in dem Beschluss. Diese Verknüpfung müsse zu den Bedingungen und in der Qualität erfolgen, die dem Torwächter zur Verfügung stehen oder von ihm genutzt werden. Dabei sei ein hohes Maß an Sicherheit und Datenschutz zu gewährleisten. Eingeschlossen sein sollen "Funktionen wie Text, Video, Sprache und Bild", bei Social Media etwa "Beiträge, Likes und Kommentare".

Erst am Montag hatte der IMCO auch den Kurs der Volksvertreter zum parallel debattierten Digital Services Act (DSA) abgesteckt. Darin macht er sich für ein Recht auf eine wirksame durchgehende Verschlüsselung etwa bei Messengern stark. Evelyne Gebhardt, Verhandlungsführerin der Sozialdemokraten beim DMA, sieht darin keinen Widerspruch. "Es gibt technische Möglichkeiten, um Verschlüsselung und Datenschutz zu wahren." Dies hätten Experten den Abgeordneten versichert. Der Austausch sei so gestaltbar, dass etwa ein Signal-Nutzer mit Threema direkt kommunizieren könne, ohne dass die zweite Plattform auch Zugriff bekomme auf Metadaten und Adressbuch.

"Es geht nicht um die Interoperabilität des ganzen Systems", sondern um die "Basiskommunikation", führte Gebhardt aus. Sie persönlich habe es satt, ständig neue Messenger-Plattformen installieren zu müssen, nur weil wieder einer ihrer Kontakte eine andere App verwende. Der Linke Martin Schirdewan unterstrich, er wolle dank der geforderten Zusammenschaltung etwa seinen "Familien- und Freundeskreis zur Zoom-Party über alle Messenger einladen" können.

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hatte für den Austausch jüngst das von der Internet Engineering Task Force (IETF) vorangetriebene MLS-Protokoll (Messaging Layer Security) ins Spiel gebracht. Dieses könnte nach Abschluss des Standardisierungsverfahrens die gewünschte sichere Kommunikation zwischen unterschiedlichen Chat-Diensten ermöglichen. Auch die Bundesnetzagentur arbeitet an technischen Lösungen. Sie hat dabei "Bridges" als Art Übersetzungsfunktion, offene Schnittstellen und eine vollständige Standardisierung im Blick.

Der Ruf nach Interoperabilität sei "nicht zu Ende gedacht", moniert der IT-Verband Bitkom. Messenger-Dienste seien keine E-Mails oder SMS. Sie verfügten über deutlich mehr Funktionen, die zunächst standardisiert werden müssten. Neben "immensen technischen Hürden" bestünden auch Datenschutzbedenken.

Die Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi) begrüßte es dagegen als "Meilenstein", dass kleinere Social-Media- und Messenger-Apps künftig mit Gatekeepern interoperieren können sollten.

Mit ihrem Drängen für ein Aus für "spionierende Werbung" konnte sich eine fraktionsübergreifende Koalition im Parlament nicht ganz durchsetzen. Ein entsprechendes Verbot zielgerichteter Reklame mit Microtargeting und Profilbildung soll nur für Minderjährige gelten. Bei allen Nutzern außen vor bleiben werden laut der Linie besonders sensible Informationen etwa zu religiösen und politischen Einstellungen, ethnischer Herkunft, Gesundheit oder zur sexuellen Orientierung. Anbieter sollen Usern auch "auf ausdrückliche und klare Weise" eine Wahl geben, bevor diese in Tracking einwilligen oder es ablehnen.

Torwächter müssen die Endnutzer den Abgeordneten zufolge technisch in die Lage versetzen, voraufgespielte Softwareanwendungen auf ihrem Kernplattformdienst wie einem Betriebssystem einfach zu deinstallieren und die Standardeinstellungen zu ändern. Ausgenommen sind Programme, "die für das Funktionieren" wesentlich sind und technisch nicht von Dritten auf eigenständiger Basis angeboten werden können. Die Regeln sollen generell für Online-Vermittlungsdienste, soziale Netzwerke, Suchmaschinen, Betriebssysteme, Online-Werbedienste, Cloud Computing und Video-Sharing-Dienste gelten. Das Parlament will diese Liste erweitern um virtuelle Assistenten wie Alexa und Siri, Browser und vernetzte Fernseher. Dies sieht der Rat genauso. Die europäische Cloud-Anbieterallianz CISPE hatte hier vergeblich gefordert, Unternehmenssoftware mit einzubeziehen. Auch unfaire Praktiken etablierter Anbieter in diesem Sektor wie Microsoft müssten verboten werden, wenn sie als Gatekeeper fungierten.

"Killer-Übernahmen" soll die EU-Kommission künftig untersagen können. Dabei werden Konkurrenten gezielt aufgekauft, um ihre Technologie aus dem Wettbewerb zu nehmen. Die Sanktionen bei Verstößen wollen die Abgeordneten gegenüber dem Kommissionsvorschlag deutlich erhöhen: Geldstrafen sollen sich auf mindestens vier und maximal 20 Prozent des Jahresumsatzes belaufen. Apple etwa könnte so eine Strafe von bis zu 64 Milliarden Euro drohen. Der verabschiedete Text bildet das Mandat für die Verhandlungen mit dem Ministerrat, die unter französischer Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 starten sollen.

(kbe)