Kernfusion, intelligente Stromnetze und mehr: So will China klimaneutral werden

China richtet seine Forschung und Technologien auf seine Klimaziele aus. Bis 2060 will die Volkrepublik CO2-neutral sein.

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Chinesische Flagge

(Bild: dpa, Alex Ehlers)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
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Für viele überraschend verkündete der chinesische Klimagesandte Xie Zhenhua am 11. November 2021 auf der UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow, dass sein Land und die USA eine Klimaschutzvereinbarung getroffen hätten: "Als die zwei großen Mächte in der Welt müssen wir die Verantwortung übernehmen, mit anderen Seiten bei der Bekämpfung des Klimawandels zusammenzuarbeiten." Der US-Klimagesandte John Kerry bestätigte das Übereinkommen. Immerhin stammen ja 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen allein aus diesen beiden Ländern.

Bereits im September 2020 ging Chinas Präsident Xi Jinping bei der Generalversammlung der UN erstmals konkret auf die Klimazukunft seines Landes ein: "Unser Ziel ist es, den Höhepunkt der CO2-Emissionen vor 2030 zu erreichen und bis 2060 CO2-neutral zu werden." Mehr noch: Er kündigte an, dass China keine weiteren Kohlekraftwerke im Ausland mehr bauen werde. Xi setzte bereits zwischen 2003 und 2007 Umwelt- und Klimathemen auf die innenpolitische Agenda. Da war er noch Sekretär des Parteikomitees der Provinz Zhejiang.

Mit seinen Zusagen rückte China von seinem bisherigen Vorwurf der historischen Schuld der reichen Staaten ab. Danach seien zuallererst die Länder in der Pflicht zur Treibhausgasminderung, die seit Beginn der Industrialisierung die größte Menge an CO2 in der Atmosphäre ablagerten. Die USA beispielsweise lagerten seit vorindustrieller Zeit 410 Milliarden Tonnen CO2 in der Atmosphäre, China mit 220 Milliarden Tonnen nur etwas mehr als die Hälfte. Die Welt hatte also schon ein Problem, bevor China auf der weltwirtschaftlichen Bühne erschien.

Dieser Umschwung kam nicht von ungefähr, wie gründliche Analysen von Carbonbrief und Nature zeigen.

Seit 2008 steht China laut der Webseite "Our World in Data" der Universität Oxford an der Spitze der CO2-Emittenten aller Länder weltweit. Sein Anteil lag 2020 mit 10,67 Milliarden Tonnen bei 30 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, etwas mehr als doppelt so hoch wie die USA mit 4,81 Milliarden Tonnen CO2.

Schaut man allerdings auf die Pro-Kopf-Emissionen, so dreht sich das Bild. Denn auf jeden Chinesen kommen nur ungefähr 7,1 Tonnen CO2 pro Jahr, auf jeden US-Amerikaner mit 16 Tonnen mehr als doppelt so viel. Und das, obwohl China als Fabrik der Welt einen großen Teil der Konsumwaren für die reiche Welt produziert, wofür es sich die Emissionen anrechnen lassen muss, wie beispielsweise bei der Kunstoffherstellung.

Im 14. Fünfjahresplan, der auf dem Volkskongress der Chinesischen Kommunistischen Partei Anfang März 2021 verabschiedet wurde, sind jetzt die langfristigen Klimaziele schriftlich festgelegt, die Xi bei der 75. UN-Generalversammlung verkündete.

Der Plan zählt 20 ökonomische und soziale Entwicklungsziele verbindlich auf, vier davon beziehen sich explizit auf die Reduktion des Energieverbrauchs, die Reduktion der CO2-Emissionen, die landesweite Aufforstung und eine umfassende, nachhaltige Energieerzeugungskapazität.

Aufbauend auf die Beschlüsse des Volkskongresses legte die Zentralregierung im Oktober 2021 einen detaillierten Arbeitsleitfaden und einen Aktionsplan für 2030 vor. Sie beschreiben erstmals die konkreten Schritte, mit denen China seine CO2-Ziele erreichen will.

Wichtige Punkte darin sind die Stärkung der Grundlagenforschung und die Erforschung von Spitzentechnologien, wozu neben der Kernfusion auch die Entwicklung intelligenter Stromnetze und neuer Materialien gehören. In den beiden Dekreten sind auch Pläne enthalten, wie der Stromanteil aus erneuerbaren und nuklearen Quellen bis 2060 von 16 auf 80 Prozent steigen soll. Auch Forschungen zur CO2-Abscheidung und -Sequestierung sollen intensiviert werden und bis 2030 sollen Elektro- und Hybridfahrzeuge 40 Prozent aller verkauften Fahrzeuge ausmachen.

Insgesamt fährt China jetzt verstärkt Investitionen in kohlenstoffarme Energietechnologien, von Wasserstoff-Brennstoffzellen bis hin zu Batterien hoch. Aber auch Forschungen zu marktbasierten Mechanismen zur Emissionskontrolle werden eine Rolle spielen, wie CO2-Steuern und -Handelssysteme. Dazu kommen noch Modelle, die den lokalen Behörden und Industrien helfen, realistische Kürzungsziele festzulegen.

Nach Recherchen von Nature wurden allein in 2021 mehr als zehn wissenschaftliche Institute in China gegründet, die zu Klimathemen forschen.

Aber innerhalb von vier Jahrzehnten von den mehr als zehn jährlichen Gigatonnen CO2 auf Null zu kommen, bedeutet ein Ausmaß und eine Geschwindigkeit des Wandels, an den sich bisher kein anderes Land gewagt hat, zitiert Nature eine Aussage des Energiesystemmodellierer Gang He von der Stony Brook Universität in New York, der Chinas Energiesystem eingehend untersucht hat.

Nicht zuletzt müsse auch die Bevölkerung mitgenommen werden, meint He. Es gelte auch herauszufinden, welche Bevölkerungsgruppen der Umbruch am stärksten beeinträchtigt und wie man ihr bei der Bewältigung helfen könne.

Teil des großen Wandels wird allerdings auch die Umstellung der Lehre an den Universitäten sein. Darauf weist Zhang Xiliang hin, Klimamodellierer und Direktor des Instituts für Energie, Umwelt und Ökonomie an der Tsinghua-Universität. So müssen beispielsweise traditionelle Ingenieursfächer, wie Kohlekesseltechnologie und Verbrennungsmotoren zukünftig entfallen.

Doch auch wenn es China tatsächlich gelingen sollte, seine überaus ambitionierten Ziele zu erreichen, werden sie nicht dazu beitragen, die Erderwärmung global unter 1,5 Grad zu halten, meint Yan Qin, Ökonomin und CO2—Modell-Analystin bei Refinitiv in Oslo, einem Unternehmen das Daten zu Finanzmärkten bereitstellt.

Aber allein Chinas schiere Größe bedeute, dass seine Zusagen globale Auswirkungen haben, meint Pep Canadell, Wissenschaftler am CSIRO Klimawissenschaftszentrum der australischen Regierung in Canberra. "Wenn sich China ein bisschen nach links oder rechts, nach oben oder unten bewegt, spürt das die ganze Welt." Chinas Ziele seien zwar nicht so ehrgeizig, wie es manche gerne hätten, aber zumindest realistisch, ist Canadell überzeugt: "Was China tun sollte, ist manchmal nicht das, was China liefern kann."

(jle)