4W

Was war. Was wird. Neues Jahr, neues Glück?

So manches Mal muss man sich schon über Vorlieben der Leser wundern, schüttelt Hal Faber den Kopf. Aber andererseits: Jeder nach seiner Façon ...

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 23 Kommentare lesen
Post,Apocalypse,Concept.,Ruined,City.,Drought,And,Global,Catastrophe.,3d

Ach ja, auch im vergangenen Jahr blieb die Apokalypse aus, auch wenn die Schwurbler sie ganz zwangsläufig kommen sahen. Sie lagen halt daneben. Ob die Voraussagen für 2022 besser sind? Wohl kaum, auch wenn sie noch so oft wiederholt werden.

(Bild: appledesign / Shutterstock.com)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Kinder, wie die Zeit vergeht! Noch ist es ein bisschen hinne bis zum Armageddon am 19. Januar 2038, aber ein bisschen Microsoft-Apokalypse kann auch ganz schön anstrengend sein. Bisschen mehr Apokalypse lehrte uns das Jahr 2021, das man am besten vergessen sollte, trotz manch seltsamer positiver Bilanz nicht ausgelasteter Häfen. Umso glänzender steht die graue Vorzeit da: Vor zwanzig Jahren bekamen wir den von Finanzminister Theo Waigel erfundenen "Euro" als europaeinheitliches Bargeld und hatten unseren Spaß. Glänzend gelungen auch der Einstieg ins e-Government mit der GDPdU. Nanu, erinnert sich niemand an die "Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen", mit der signierte PDF-Rechnungen ab dem 2.1.2002 vom Finanzamt anerkannt wurden? Vielleicht, weil es heute noch Behörden und sogar Finanzämter gibt, die mit PDFs ihre Probleme haben? Zum Spaß am Jahresanfang gehörte vor 20 Jahren der Filmtod von Bill Gates und die Meldung von der ultimativen Niederlage der Firma Symicron und ihres Rechtsverdrehters Freiherr von Gravenreuth.

*** Denn wo Euro, da Einnahmen, wie schon die alten Griechen sagten. Vor 20 Jahren kassierte ich eine Handvoll dieser neuen hübschen Cents für den Satz "Es gibt nichts, was das Internet nicht bietet", als Schulbuchpauschale von der VG Wort. Der schlichte Satz, den sicher drölfzig andere Journalisten geschrieben haben, führte im deutschen Schulbuch natürlich zu einer Aufgabe, die da im besten LehrerInnendeutsch lautete: ""Nennen sie vier zentrale Merkmale der traditionellen Wirtschaftsweise, die über Jahrhunderte eingeübt wurde, und vergleichen Sie die Merkmale mit der neuen Art der Ökonomie. Arbeiten Sie die Gründe für den Strukturwandel heraus und bestimmen Sie, ob die Technik eine Rolle gespielt hat." Was für eine kniffelige Frage nach der Technik, damals, als es noch keine Behörde für Sprunginnovationen gab. Ein anderer Aufgabenvorschlag von mir schaffte es übrigens nicht aus dem WWWW in die Schulbücher der Generation @: "Finden Sie in 10 Klicks heraus, was das Internet nicht bietet. Googlen verboten." Diese Frage wäre heute, im Zeitalter von Home Office und Homeschooling, gar nicht lösbar.

*** Erwähnenswert sind auch die beiden Ausnahmen im Reigen der Corona-Meldungen und der Meldungen über Corona-Apps im Laufe des vergangenen 201: der Kommentar zu Log4J und die Angriffswelle auf Fritzboxen. In dieser Statistik der Newsmeldungen sind die typischen Klickstrecken nicht berücksichtigt. So brachte es der Mars-Rover Preserverance mit seinem Panoramabild auf 2,5 Millionen Page Impressions. Aber die nackten Zahlen sind nicht alles. Man nehme nur das Schock von Berichten über die Pegasus-Spyware, mit denen Regierungen in aller Welt Kritiker ausspionier(t)en: Hier reicht die Spannbreite von den Nachrichten über die Meldung von Betroffenen bis hin zur Analyse des atemberaubenden Codes.

*** "Bitte, kann ich ein Bundesland aufhetzen?" Legt man einen politischen Maßstab an, dann dürfte die Veröffentlichung der Chatprotokolle aus dem Umfeld des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz ein folgenschweres Ereignis im Jahre 2022 gewesen sein, führte sie doch direkt zum Rücktritt des "Unbesiegbaren" – und zu tiefen Einsichten in einen ganz besonderen Politikstil. Es geht sogar noch tiefer: Im bunten Reigen der Jahresendnachrichten versteckte sich die unscheinbare Meldung, dass Ex-Kanzler Kurz beim Trump-Unterstützer Peter Thiel als Global Strategist unter Vertrag genommen wurde. Die ultrarechte, libertäre Kamarilla lässt einen wie Kurz nicht fallen. Legt man IT und Moral zusammen (was manchen schwer fällt), dann dürften das halbe Hundert an Nachrichten über die Whistleblowerin Frances Haugen zu den wichtigsten Newsmeldungen des Jahres gehören, inklusive der betrüblichen Erkenntnis, dass Frances Haugen auch nach der neuen EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern in der EU nicht geschützt wäre. Ja, das Jahr des Mangels zeigte so manche Mängel auf, von der Corona-Bekämpfung bis zum Kanzlerkandidaten, der bei Witzen über seine Größe lachem musste, wie hartnäckige Investigativreporter nun herausfanden.

*** Bekanntlich war 2021 ein Wahljahr. Es begannt mit der Abwahl der Faxgeräte durch den Ältestenrat des Deutschen Bundestages. Ein radikaler Schnitt, wie er ausweislich der Bundestags-Webseite typisch für das moderne Deutschland ist. Dann wurde nach ein paar Landtagswahlen und etlichen Neuland-Inteviews die CDU abgewählt und eine Ampel aufgestellt. Die schlichte Merkel-Raute wurde von der Scholz-Ummuschelung der linken Faust ersetzt und der Blumenschmuck bei der Neujahresansprache wurde ersatzlos gestrichen. So brechen wir auf in eine neue Zeit, in der wir eine maschinenlesbare Regierung bekommen, die das Informationsfreiheitsgesetz ernst nimmt. Oder? Eifrig haben die chaotischen Nerds in dieser Woche den Koalitionsvertrag analysiert und dabei Licht gefunden, aber auch den Schatten, ohne den es kein Licht gibt. Andere haben sich sogar mit verschiedenen Tools die Zähne angeschaut, mit denen Politik gemacht wird.

2021 endete versöhnlich mit der guten Nachricht, dass das Atomkraftwerk Brokdorf vom Netz genommen wurde, 2022 startete mit der gar nicht so guten Nachricht, dass die EU-Kommission allen Ernstes Gas- und Atomkraft als grüne Technologien einstufen will. So wird das nichts mit 2022ff. und künftigen Klimazielen, allen Voraussagen zum Trotz. Wo bleibt da das Positive? Im Vergleich zum Film stehen wir noch gut da. Wir essen keine getrockneten Menschenplätzchen, auch hat New York nur achteinhalb Millionen Einwohner statt der befürchteten 40 Millionen. Aber in dieser noch sehr übersichtlichen Stadt kostet die Flasche Wasser schon acht Dollar und niemand rät einem, doch einfach Leitungswasser zu trinken, wie das in Deutschland möglich ist. An Fleisch-Imitaten wird gearbeitet. Seit über 20 Jahren wird über den Goldenen Reis diskutiert, nun soll er kommen.

Ganz sicher kommt der Zensus 2022, für den die Vorbefragung von Wohnungs- und Hauseigentümern gestartet wurde. Einen einheitlichen Fragebogen gibt es übrigens nicht, denn das seit 20 Jahren existierende wunderbare e-Government sorgte dafür, dass Bayern und Nordrhein-Westfalen eigene Fragebögen entwickelt haben. Und 20 Jahre nach der GDPdU gelten jetzt bekanntlich die GoBD, die "Grundsätze zur ordnungsmäßigen Führung und Aufbewahrung von Büchern, Aufzeichnungen und Unterlagen in elektronischer Form sowie zum Datenzugriff". Ihr verdanken wir die wunderbaren Informationen auf den Kassenzetteln. Besonders hübsch sind die mit einem QR-Code, der dank Corona die echte Technologie-Sensation des Jahres 2021 war. Ab morgen sollen solche Codes nach dem Willen der Nationalen Agentur für Digitale Medizin auf die Rezepte wandern, die der Arzt verschreibt und ausdruckt, damit sie der Apotheker einscannen kann. So geht Fortschritt, so gehen die Deutschen.

Damit es etwas schneller geht, haben wir bekanntlich eine weitere Agentur, die Bundesagentur für Sprunginnovationen. Sie hat gerade ihre Geburtstagsparty gefeiert und blickt viel weiter in die Zukunft als ein Verfasser von Newstickermeldungen und anderem Wirrwarr: "Unsere Nachfahren sollen ein noch besseres Leben haben als wir. Hierfür müssen wir die Welt bis 2050 mit Wissenschaft und Technik wieder in die Balance bringen." Die Welt ist aus den Fugen, das wusste schon der Hamlet des großen Barden, der es mit "The time is out of joint" umschrieb. Balance tut Not, Bilanz reicht nicht.

(jk)