Klimabedingte Krankheiten: Wie Hitzewellen unserem Körper zusetzen

Mit dem Klimawandel nimmt auch die Häufigkeit von Hitzewellen zu. Klimabedingte Krankheiten werden das Gesundheitssystem auf eine weitere Probe stellen.

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(Bild: Elizabeth A.Cummings/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
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Corona brachte die Gesundheitssysteme weltweit an ihre Grenzen – die Klimaerwärmung wird noch einen draufsetzen und die Kosten für medizinische Versorgungen weiter in die Höhe treiben. Es sind die Hitzewellen, die Menschen in Zukunft immer häufiger heimsuchen und töten werden. Sie stehen an der Spitze aller klimabedingten Todesursachen, zu denen auch Hochwasser und Infektionen mit tropischen Krankheitserregern gehören. Ein heute geborenes Kind wird in seinem Leben rund sieben Mal häufiger Hitzewellen erleben, als ein 60-Jähriger sie je erlebt hat.

Hitzewellen setzen dem ganzen Körper zu. Herz, Gehirn und Leber bekommen zu wenig Sauerstoff, weil der Körper seine Energie auf Abkühlung konzentriert. Botenstoffe und Enzyme funktionieren nicht mehr richtig, wenn es ihnen zu heiß wird. Ist der Stoffwechsel erst einmal massiv gestört, können sich sogar die Muskeln auflösen, deren Abbauprodukte dann Nieren und Leber schädigen. So ein Horrorszenario fassten bereits vor fünf Jahren Forscher um den Biogeographen Camilo Mora von der Universität von Hawaii zusammen, als sie insgesamt 27 Arten aufzählten, wie eine Hitzewelle Menschen direkt umbringen kann.

Wie dramatisch es bereits heute ist, zeigte im vergangenen Jahr eine Forschergruppe um Ana Maria Vicedo-Cabrera von der Universität Bern. Nach ihrer Berechnung geht inzwischen mehr als ein Drittel aller hitzebedingten Todesfälle allein auf das Konto der Klimaerwärmung und der dadurch verursachten Hitzewellen.

Ihre Gruppe untersuchte knapp 30 Millionen Hitzetodesfälle, die zwischen 1991 und 2015 in über 732 Städten in 43 Ländern der Erde Menschenleben forderten, wobei die Datenbasis aus Entwicklungsländern noch nicht einmal aussagekräftig war. Es zeigte sich, dass in diesem Zeitraum europäische Städte stark betroffen waren, besonders auch Deutschland, dessen Städte nach China und Indien auf Platz drei kamen. Nach letzten Zählungen starben 2018 in ganz Deutschland rund 20.000 Menschen an Hitze. Ohne die Zunahme von extremen Hitzeepisoden durch den Klimawandel wären es mit Sicherheit erheblich weniger gewesen.

Welche Kosten auch nur durch eine einzige Krankheit auf ein Gesundheitssystem zukommen könnten, berechnete erstmals eine Medizinergruppe um Jason Kaufman von der Universität von Pennsylvania, Philadelphia, der auch der Gruppe um die Forscherin Vicedo-Cabrera angehörte.

Sie untersuchten die Kosten für die Behandlung eines Krankheitsproblems, das im Zusammenhang mit der Klimaerwärmung bisher eher nicht im Fokus stand, nämlich Nierensteine im US-Bundesstaat South Carolina.

Dieser Staat liegt im so genannten "Nierenstein-Gürtel", der die südlichen Regionen der USA umfasst. Hier leben derzeit etwa 40 Prozent der US-Bevölkerung, 2050 könnten es 50 Prozent sein. Ziehen Menschen aus dem Norden aber in den wärmeren Süden, nimmt auch ihr Risiko zu, an Nierensteinen zu erkranken. Nach Hitzewellen ist der Höhepunkt der Nierensteinbeschwerden aufgrund des angeschlagenen Flüssigkeitshaushalts am zweiten Tag erreicht und nimmt dann wieder leicht ab.

Vor der Ausbreitung von Nierensteinen mit weiter steigenden Temperaturen warnten Mediziner allerdings schon 2008 auf einem Kongress der Amerikanischen Urologie-Gesellschaft. Johannes Mann, heute Ehrenmitglied des Berufsverbands Deutscher Internisten, erklärte damals: "Selbst ein Anstieg der jährlichen Durchschnittstemperatur um wenige Grad hat messbare Folgen für den Flüssigkeitshaushalt des Körpers", und damit auf die Entstehung von Nierensteinen. Allerdings wies er darauf hin, dass ungesunde Lebensweise und mangelnde Bewegung natürlich auch ihren Teil dazu beitragen.

Während in Deutschland fünf Prozent aller Einwohner einmal in ihrem Leben Nierensteine haben, sind es im heißen Saudi-Arabien immerhin 22 Prozent. Doch auch genetische Faktoren könnten die Bildung von Nierensteinen beeinflussen. Denn in Subsahara-Afrika, mit Ausnahme von Sudan und Äthiopien, und unter Afroamerikanern scheint die Anfälligkeit für Nierensteine geringer zu sein.

Die Studiengruppe aus Pennsylvania versuchte in ihrer Arbeit jetzt die Kosten für den bereits messbaren Anstieg von Nierensteinbehandlungen in South Carolina bis zum Jahr 2089 mit der Hilfe von Klimamodellrechnungen abzuschätzen.

Anhand der Krankenakten zählten sie alle Nierensteinvorfälle von 1997 bis 2014 in dem Bundesstaat und berechneten die Kosten für jede einzelne Behandlung. Das Ergebnis: Eine einzige Nierensteinbehandlung kostet im Durchschnitt 9.525,95 US-Dollar. Sie berücksichtigten dabei noch nicht einmal die sozialökonomischen Kosten, etwa durch Arbeitsausfälle.

Die zukünftige Kostenentwicklung modellierten sie dann anhand zweier Standard-Klimamodelle des IPCC, die sogenannte repräsentative Konzentrationspfade (RCP) darstellen. Das eine war das optimistische Modell für RCP4.5, das andere für RCP8.5, das vom schlechtesten Fall ausgeht, weil die Menschheit ihre Treibhausgas-Emissionen darin nicht begrenzt. Die Zahlen 4.5 und 8.5 (4,5 und 8,5 in deutscher Schreibweise) stehen für den Strahlungsantrieb in Watt pro Quadratmeter durch erhöhte Treibhausgaskonzentrationen. Beim RCP4.5 würde die globale Temperatur zwischen 2085 und 2089 um 2,2 Grad höher liegen als im Durchschnitt zwischen 2010 und 2014. Damit würden die Kosten für alle Nierensteinbehandlungen in South Carolina um 57 Millionen US-Dollar steigen. Im zweiten Szenario würde die Erdtemperatur vier Grad über den Referenzjahren liegen, die Kosten wären dann um 99 Millionen US-Dollar höher.

Wegen der regionalen Begrenzung warnen die Autoren allerdings davor, die Szenarien einfach so auf andere Regionen der Erde zu übertragen. Dennoch: "Ein besseres Verständnis dieses Zusammenhangs wird den Gesundheitssystemen helfen, sich besser vorzubereiten, und die Öffentlichkeit und die politischen Entscheidungsträger ermutigen, nachhaltigen Verhaltensweisen und Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels Vorrang einzuräumen."

Und sie weisen darauf hin, dass sich die Menschen ja möglicherweise der Wärme anpassen, indem sie sich häufiger in Räumen mit Klimaanlagen aufhalten und lernen, mehr Wasser zu trinken.

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(jle)