Hannover an der Côte d’Azur: Welche Regionen vom Klimawandel profitieren könnten

Erdbeeren aus Grönland, Mittelmeer-Urlaub in Hannover: Höhere Temperaturen mögen manchen freuen, doch die Auswirkungen können schnell umschlagen.

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(Bild: Krasula/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
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  • Hanns-J. Neubert
Inhaltsverzeichnis

Vor wenigen Jahren noch versuchten Wissenschaftler und Medien, der Klimaerwärmung auch gute Seiten abzugewinnen. Doch solche Geschichten sind selten geworden, seit sie sich oft als zweischneidig entpuppen. Gewiss, der Klimawandel kann für die Menschen vielerorts durchaus Vorteile bringen. Doch wie kurz- oder langfristig der Nutzen sein wird, ob er überhaupt größer als die Nachteile ist, hängt davon ab, wie schnell die Menschheit echte Lösungen findet.

So ist wohl kaum jemandem wirklich aufgefallen, dass alle deutschen Regionen in den vergangenen 50 Jahren klimatisch zwischen 100 und 600 Kilometer nach Südwesten gewandert sind. Ablesen lässt sich das an den Straßencafés, deren Möbel inzwischen auch im Winter draußen bleiben, oder an der zunehmenden Sehnsucht nach mehr öffentlichem Raum und nach Grünflächen in den Städten.

Doch der klimatische Kurs noch weiter in Richtung der heutigen südlichen und südwestlichen Klimagefilde ist unaufhaltsam. Viele der heute geborenen Kinder werden genau diese Verschiebung noch im Alter zu spüren bekommen.

Schon gegen Ende des Jahrhunderts werden Hamburg, Bremerhaven oder Stralsund ein Klima haben, wie es heute die südfranzösische Atlantikküste hat, Hannovers Klima wird sogar dem an der heutigen französischen Mittelmeerküste gleichen.

Städte, die jetzt schon heiß und trocken sind, wie Magdeburg, werden klimatisch ins heutige Nordspanien rücken. Die Hitze der Adriaküste südlich von San Marino bekommen Berlin und Mainz zu spüren, Köln rückt nach Split und München erlebt das heutige Klima von Venedig.

Das ist das Ergebnis der Klima- und Risikoanalyse 2021 des Umweltbundesamtes, die eine grobe Idee davon gibt, wie das mittlere Klima in 60 bis 80 Jahren sein könnte.

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Viele Menschen mögen sich darüber freuen. Endlich dauernde, angenehme Urlaubstemperaturen. Aber die, die heute in diesen Klimata leben, in Bordeaux oder Ancona, werden sich an nordafrikanische Temperaturen gewöhnen müssen – oder sie ziehen gen Norden.

Dabei sind unsere Städte gar nicht für ein wärmeres Klima gebaut. Wohnungen und Häuser, Wasserversorgungen, Uferbefestigungen, auch Gesundheitssysteme passten sich über viele Jahrhunderte hinweg an ganz andere, stabilere Umweltbedingungen an. Eine derart schnelle Veränderung dürfte für Stadtplaner eine enorme Herausforderung sein. Denn Städte lassen sich nicht so einfach anpassen. Dennoch müssen althergebrachte Gebäudestrukturen und städtische Ökosysteme neu ausgerichtet werden, damit sie lebenswert bleiben.

Damit nicht genug. Klimaerwärmung bedeutet ja nicht einfach nur gleichmäßig wärmeres Wetter. Im Gegenteil. Die Erhitzung des Planeten bedingt, dass Wetterextreme zunehmen. Regnet es, werden immer häufiger Sturzfluten Orte und Landschaften überschwemmen, wie im Sommer vergangenen Jahres im Ahrtal. Scheint die Sonne, kann Hitze tödlich werden und wochenlange Trockenheit die Wasservorräte dezimieren, wie im August 2020 im Süden Ostdeutschlands.

Dennoch freuen sich vielerorts die Bauern – noch. Sie profitieren vom früheren Beginn des Frühlings und der verlängerten Sommersaison. Vor allem die europäischen Winzer fahren bessere Ernten ein. In heißeren, trockneren Sommern bilden die Trauben nämlich mehr Zucker, was den Wein aromatischer macht. Der Dürresommer 2018 beispielsweise galt als besonders gutes Weinjahr.

Gewinner sind wohl auch die Landwirte am nördlichen Polarkreis. Vor allem Russland hofft seine Getreideproduktion nach Sibirien auszudehnen, dorthin wo Permafrost bisher keine Landwirtschaft erlaubte. Das Land ist zwar bereits der größte Weizenexporteur, doch die zunehmende Trockenheit weiter südlich hat den Ernten merklich zugesetzt. Auch Finnland und Kanada werden mehr Getreide ernten können, wie wissenschaftliche Modellprojektionen erwarten lassen. Ja, einige Grönländer ernten inzwischen Erdbeeren, aber viele wechselten von Robbenjagd zum Kartoffel- und Gemüseanbau. Andere züchten Schafe, weil inzwischen genug Gras wächst, das auch als Heu für das Winterfutter reicht.

Ein höherer CO2-Gehalt in der Luft ist für viele Feldfrüchte und auch andere Pflanzen in der Tat durchaus eine Art Dünger, der sie gleichzeitig trockenresistenter macht – doch nur bis zu einer bestimmten Konzentration, ab der der Effekt je nach Spezies ins Gegenteil kippt.

Die andere Seite: Pflanzenschädlinge folgen ebenfalls der Erwärmung. Und vor Extremwetter sind auch die neuen Felder nicht geschützt, wenn Sturzregen die Ackerkrume wegschwemmt und Hitzewellen die Ernten verdorren lassen.

Der große Gewinner des Klimawandels dürfte die Wirtschaft sein – und das für lange Zeit, mitunter vielleicht zu lange. So werden Seefahrt und Handel von kürzeren Schifffahrtsrouten zwischen Atlantik und Pazifik profitieren, weil sich das Eis des arktischen Ozeans rasant zurückzieht. Ab 2025 bis 2030 könnte die Arktis immer öfter im Sommer fast völlig eisfrei sein, wie Modellrechnungen zeigen. Die Nordostpassage entlang der sibirischen Küste zwischen europäischen und asiatischen Häfen ist beispielsweise rund 7.000 Kilometer kürzer als der Weg durch den Suez-Kanal.

Zunehmen werden allerdings auch die Transporte von Bodenschätzen, die in der Arktis reichlich vorkommen. Öl- und Gastransport werden sicherlich an Bedeutung verlieren, dafür werden Transporte von Metallen und Übergangsmetallen zunehmen.

Solange die Frachter aber nicht wirklich umweltfreundlich fahren können, solange werden ihre Abgase und der Ruß ihrer Motoren die Erwärmung weiter antreiben.

Was wirkliche Gewinne brächte, wären der Umbau der Frachtschifffahrt, genauso wie der Umbau der Städte, der Schutz vor steigenden Fluten, aber auch die Beendung von Ungleichheit und Hunger durch neue Wirtschafts- und Produktionsweisen trotz aller Klimagefahren und Wetterunbilden.

(jle)