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Was war. Was wird.

Was ist die Wahrheit? Nun, zumindest mag sie manchmal schmerzlich sein, ob für die Internet-Protagonisten oder für Mathematiker. Eines jedenfalls scheint wahr: Die Welt ist nicht genug, meint nicht nur Hal Faber.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Wo bleibt die Wahrheit? Nichts, absolut nichts war in dieser Woche von der Internet World in New York zu lesen, obwohl diese Messe sich selbst zu den Top-Veranstaltungen der neuen New Economy rechnet und entsprechend für sich warb: "Für jeden unverzichtbar, der mit dem Internet zu tun hat." Gibt es nicht nur unterdrückte Bücher? Muss sich das Project Censored in seinem gerade neu beginnenden Zyklus mit dem Fall einer unterdrückten Leitmesse befassen? Aber nicht doch. Die Internetworld, die es schon einmal auf 2.000 Aussteller und 800.000 Besucher brachte, auf Parties und PR-Termine, die in den Restaurants des World Trade Center gefeiert wurden, sie ist dahin gesiecht. Knapp 200 Aussteller in 86 Kategorien, etwas mehr Besucher und kaum Neuheiten kündeten von der neuen Unverzichtbarkeit. Der Tradeshow Blues darf auch hier gesungen werden.

*** Ja, die Wahrheit ist mitunter bitter. Das muss auch die Firma Veritas erfahren, deren oberster Finanzchef Ken Lonchar seine akademischen Weihen wohl bei Bekannten des schönen Konsuls Weyer eingekauft hat. Ein erfundener MBA hier, ein Diplom dort und fertig ist die Finanzkarriere, für die das CFO Magazine im Verein mit den Consultern von Arthur Andersen im Jahre 2001 einen Preis für herausragende Glaubwürdigkeit verleihen konnte. Credibility, wirklich.

*** Mit der Wahrheit ist es nun mal wie mit den Titeln nicht immer einfach. Das kann man beispielsweise beim Magisterstudiengang Multimedia-Management zu Kiel betrachten, bei dem am Ende die Master-Thesis in Zusammenarbeit mit einem Wirtschaftsunternehmen erstellt wird. Da lernen die künfigen Manager, Portale für Buchhandlungen zu erstellen oder auf einem Zauberbesen zu reiten: "Medienmanager verhelfen im Bereich E-Business zur medientechnischen Kompetenz, unterstützen mit XML die Fachdidaktik und verbinden alltäglichen Handy-Gebrauch mit multimedialen Unterrichtsmodulen." Der gequirlte Unsinn wäre nicht weiter erwähnenswert, wäre da nicht der Kieler Dot.com-Kolumnist Kollmann der es furchtbar garstig findet, wie mit seinen tapferen Bobos in der Öffentlichkeit umgesprungen wird. Momentan sucht der Univ.-Prof. seine Habilitation. Bis die sich findet, kann man sich über die frisch verliehenen Ig Nobelpreise informieren. besonders instruktiv ist der Gewinner bei den Wirtschaftswissenschaften, wo Enron & Co für die bestechende Lösung geehrt werden, das Konzept der imaginären Zahlen in die Geschäftswelt eingeführt zu haben. In den Ig-preiswürdigen USA berichtet Forbes vom Tiefstand der Börse und schließt sein Forbes ASAP Magazin, das 10 Jahre lang über tolle neue Sachen schwärmte. Auch bei Forbes finden wir eine ausgesprochen kreative Strategie. Wenn man nicht mehr über echte reiche Bobos schreiben kann, dann hilft der Griff in die Literaturkiste. Nun warten wir natürlich noch auf das Ranking der fiktiven, ähem, imaginären Universitäten.

*** Und wo wir schon bei der Wahrheit sind: Schön wären auch Berichte von der profitabeln Microsoft-Bank und ihrem islamisch inspirierten Offenen Lizenzprogramm. Die Welt braucht Lösungen, an denen sie sich aufrichten, zu denen sie aufblicken kann. Damit sind nicht die Satelliten gemeint, die die über uns geflogen sind oder nicht mehr fliegen können. So kommt das Eine zum Anderen: Bill Gates ist kein Visionär, Freibier hat es nie gegeben, die Mondlandung war ein großer Fake, Gagarins Weltraumflug sowieso und der Sputnik ebenfalls. Denn 40 Jahre James Bond und kein Ende werden vom Fernsehen gefeiert und zeigen schonungslos die Wahrheit, nichts als die nackte Wahrheit: Dass es immer und überall um die Weltherrschaft geht und sonst gar nichts.

*** So lehrt uns also der kühle Brite die Wahrheit. Die Welt ist nicht genug, denn was ist die Welt heute noch wert? Wer will sie beherrschen? Sogar unsere besten Freunde wenden sich von dieser unseren Welt ab. Glaubt man den Reporten, so ist die Zahl der Roboter rückläufig und gefährdet unsere Rente. Das mag viele Gründe haben. Vielleicht putzen sie nicht gerne. Vielleicht sind sie nur entlaufen. Oder sie haben einfach nur verschlafen, als zur Roboter-Volkszählung gerufen wurde.

*** Die Wahrheit aber, sie liegt woanders: Zahlen, wohin man blickt. Heute vor 115 Jahren wurde Le Corbusier geboren, dem wir die jedem Programmierer geläufige Ansicht verdanken, dass Häuser nur Maschinen sind, in denen wir leben. Große Gehäuse eben, aber selten gut beleuchtet. Ein schöneres Jubiläum aber bietet das ZKM zu Karlsruhe, das heute Kurt Gödel und die Grenzen der Mathematik ehrt. Gödel ist der brilliante österreichische Mathematiker, der anlässlich seiner Einbürgerung in die USA den logischen Beweis erbringt, wie legal eine Diktatur in den USA herbeigeführt werden kann. Ein Beweis, der aktuell an die Beweisführung erinnert, wie Passagierkontrollen löchrig sind. Was zu einer anderen schmerzlichen Wahrheit führt -- derer wir gedenken, wenn wir bedenken, dass Gödel bei der logischen Unmöglichkeit von DRM-Systemen eine Rolle spielt.

Was wird.

In der nächsten Woche startet in Frankfurt die Buchmesse. Sie ist nicht nur wegen der elektronischen Bücher interessant, die nicht der erwartete große kommerzielle Erfolg geworden sind. Längst sind die stolzen Preise für den Electronic Book Award eingeschmolzen, während unverdrossen die Giga-Maus verliehen wird. Bemerkenswert ist die Entscheidung der Messeleitung, die evangelischen Buchverlage in die Kategorie "Touristik" zu verlegen. Eine Entscheidung, die klar darauf hinweist, dass im Kampf der Religionen Zwischentöne nicht mehr gefragt sind. Für uns aller Google steht bereits fest, dass die Hölle gewonnen hat. Da müssen neue Marketingkonzepte schnell Abhilfe schaffen. Eine genereller Plan muss her, den Sinn des Lebens neu zu definieren. Es geht doch nicht an, einfach so in einer Stadt zu leben und sich als Smart Mob mit dem Laptop und drei Paar Socken durchzuschlängeln. Wo bleibt das Gute in dieser Ad-Hocratie? Am Laptop kann es nicht liegen.

Ping hat es jedenfalls im größten Computermuseum der Welt zu Paderborn gemacht. Dort wird gewissermaßen als Antwort auf die Buchmesse über die Lebenskunst im 21. Jahrhundert debattiert. Bahnbrechend wird sich Hans-Olaf Henkel dazu äußern, ob man glücklich leben kann, selbst wenn man nicht Telekom-Chef wird und wieder einmal übergangen wird. Henkel spricht über das Glück, in einer Wissensgesellschaft zu leben. Da haben wir doch unwahrscheinliches Glück. Alles Wissen der Welt liegt vor uns, ohne Einschränkungen. Fürwahr, ein goldener Oktober. Der wurde zwar hierzulande ganz in Weiß von an Ballons schwebenden, alternden Ex-Skilehrern eingeläutet, was aber nur wieder eine weitere schmerzliche Wahrheit bewies: Wenn's in Deutschland offiziell lässig werden soll, wird's einfach nur lächerlich. (Hal Faber) / (jk)