Wie Forscher das Rätsel des Magnetsinns von Vögeln lösen wollen

Neue wissenschaftliche Ergebnisse stützen die These, dass Zugvögel quantenmechanische Effekte nutzen, um Magnetfelder zu sehen.

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Vögel, Linie, Schwarm
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Elektromagnetische Felder mit einer Frequenz zwischen 75 und 85 MHz stören die Orientierung von Zugvögeln, haben Forschende der Universität Oldenburg nachgewiesen. Mit dem im Journal of Comparative Physiology A veröffentlichten Paper liefert das Team um Bo Leberecht ein weiteres wichtiges Puzzleteil, um das Rätsel des Magnetsinns von Vögeln zu lösen. Denn die Arbeit liefert einen starken Hinweis darauf, dass die quantenmechanische Kopplung zwischen Radikalen des Chryptochromes CRY4 Vögeln ermöglicht, das Magnetfeld der Erde zu sehen.

Lange hatten Wissenschaftler vermutet, dass winzig kleine Eisencluster als magnetische Sensoren dienen. 1978 schlug Klaus Schulten vom Max Planck Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen jedoch eine andere Erklärung vor: den Radikalpaar-Mechanismus.

Radikale sind kurzlebige, instabile Moleküle mit ungepaarten Elektronen. Wenn zwei Radikale gleichzeitig durch eine chemische Reaktion entstehen, nennt man das ein Radikalpaar. Im Chryptochrome-Molekül wird die Bildung dieses Radikalpaars durch die Absorption von einem Photon mit der richtigen Wellenlänge – in diesem Fall blaues Licht – ausgelöst.

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Die Spins, die quantenmechanischen Drehimpulse der ungepaarten Elektronen der beiden Radikale können zueinander parallel stehen, oder gegeneinander gerichtet. Unmittelbar nach der Erzeugung eines Radikalpaares bewirken interne Magnetfelder, dass die elektronischen Spins zwischen diesen beiden Konfigurationen hin- und herflippen. Schon ein schwaches magnetisches Feld verändert die Geschwindigkeit dieses Übergangs und sorgt dafür, dass die Chryptochrome-Moleküle deutlich häufiger in ihren "Signaling"-Zustand geraten, in dem sie letztlich einen Nervenimpuls in der Sehrinde auslösen.

Das klingt zwar plausibel, der tatsächliche Nachweis dieses Mechanismus erwies sich aber als komplexes wissenschaftliches Puzzle, dessen Teile noch immer nicht alle vollständig am Platz sind. Wie Peter J. Hore von der University of Oxford und Henrik Mouritsen von der Universität Oldenburg jetzt in Scientific American berichten, gelang den Wissenschaftlern, die den Mechanismus im ERC Grant Quantum Birds erforschen, jedoch wichtige Teilerfolge.

Insbesondere konnten die Forschenden eine spezifische Form des Proteins, dessen Konzentration in den Augen von Rotkehlchen im Herbst und Frühjahr zunimmt, durch genetisch veränderte Bakterien herstellen lassen. Im Sommer 2021 konnten die Forscher durch spektroskopische Messungen tatsächlich nachweisen, dass CRY4 als empfindlicher magnetischer Sensor funktioniert (Paper vom Juni 2021 in Nature und Video dazu). Allerdings war ihnen der Nachweis zu diesem Zeitpunkt nur im Labor gelungen. Ob sich CRY4 auch im Auge von Vögeln so verhält, war eine offene Frage. Das Paper von Leberecht und Kollegen liefert dafür nun jedoch starke Indizien.

Die Erforschung des Magnetsinns von Vögeln ist nur ein Beispiel für das Zusammenspiel von Quantenphysik und Biologie. 2017 formulierten der Kernphysiker Jim Al-Khalili und der Molekulargenetiker Johnjoe McFadden die These, dass es zur Erklärung solcher Phänomene gar einer völlig neuen Wissenschaft – der Quantenbiologie – bedürfe. Denn Mechanismen wie die Photosynthese oder Magnetorezeption würden offensichtlich durch eine relativ kleine Zahl hochgeordneter, kohärenter Teilchen bestimmt, die einen ganzen Organismus entscheidend beeinflussen können. Die These ist aber noch immer umstritten.

(wst)