Halbautonomer Rollstuhlroboter soll Kollisionen mit Fußgängern vermeiden

Gehbehinderte Menschen sollen sich mit einem halbautonomen Rollstuhlroboter genauso in Menschenmengen bewegen können, wie Menschen ohne Beeinträchtigungen.

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Diego Paez, einer der Mitentwickler des Rollstuhlroboters, bei einer Testfahrt auf einem Markt in Lausanne.

(Bild: École Polytechnique Fédérale de Lausanne (Screenshot))

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Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Schweizer École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) haben im Rahmen des EU-finanzierten CrowdBot-Projektes einen halbautonomen Roboterrollstuhl entwickelt, der Menschen mit einer Gehbehinderung sicher durch Menschenmengen manövrieren können soll. Dabei wollen die Forscher neben technischen und sicherheitsrelevanten Aspekten auch ethische Aspekte berücksichtigt haben. Erste Tests mit dem Rollstuhlroboter auf dem Wochenmarkt von Lausanne seien den Angaben der Wissenschaftler nach vielversprechend verlaufen.

Hinter dem Projekt steckt ein Forscherteam des Labors für Lernalgorithmen und Systeme (LASA) der EPFL. "Man hört viel über selbstfahrende Autos, aber nicht über Roboter, die sich unter Fußgängern bewegen könnten", sagt Aude Billard, Leiterin des LASA. "Die Robotertechnik entwickelt sich jedoch eindeutig in diese Richtung, sodass wir jetzt anfangen müssen, uns Gedanken darüberzumachen, was das alles bedeuten wird.“ Von der Frage ausgehend, wie sich Roboter sicher unter Menschen bewegen können, ohne ihnen Schäden etwa bei Zusammenstößen zuzufügen, entwickelten die LASA-Forscher einen Rollstuhlroboter, der halbautonome betrieben werden kann.

Als Basis nutzte das Forscherteam den Roboter Qolo (Quality of Life with Locomotion), der an der japanischen Universität Tsukuba entwickelt wurde. Dabei handelt es sich um einen Stehrollstuhl für Menschen mit Gehbehinderungen, die stehend in einem passiven Exoskelett eingeschnürt sind. Damit ist es möglich, dass sie sich selbstständig etwa auf eine Parkbank setzen können, ohne sich abschnallen zu müssen. Der Rollstuhl selbst wird von zwei Rädern elektromotorisch angetrieben und verfügt über zwei kleinere Stützräder. Insgesamt fällt die Fläche, die der Stehrollstuhl einnimmt, recht kompakt aus.

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Zunächst führte das LASA-Team Crashtests mit dem Stehrollstuhl aus, um mögliche Auswirkungen bei Kollisionen mit Menschen unterschiedlicher Größe zu ermitteln. Das Ergebnis mit Dummys habe gezeigt, dass etwa Kinder am Kopf und Schwangere im Bauchbereich besonders gefährdet seien. Dabei würden bereits Zusammenstöße mit geringen Geschwindigkeiten unter 6 km/h ausreichen, um schwere Verletzungen herbeizuführen.

Um das zu vermeiden, installierten die Forscher Kameras und Lidar-Sensoren an der vorderen und hinteren Rückseite des Rollstuhls. "Es ist wichtig, dass der Roboter eine 360°-Sicht auf seine Umgebung hat, damit er Hindernissen vor und hinter sich ausweichen kann. Er muss auch wissen, was sich hinter ihm befindet, falls er schnell ausweichen muss, um eine Kollision zu vermeiden", sagt Diego Paez, einer der beteiligten Wissenschaftler. Das Lidar-System erkenne grundsätzlich alle Arten von Hindernissen. Mit den Kameras ermittle das System, ob es sich dabei um Fußgänger handelt und wie sie sich bewegen.

Der so entstandene Rollstuhlroboter versucht grundsätzlich Hindernissen auszuweichen. Gelingt das nicht vollständig, sorgt ein Bumper nur bei Kontakt mit einem Hindernis dafür, dass er anhält. Grund dafür sei, dass der Rollstuhlroboter bei plötzlichem Anhalten in einer Menschenmenge eher einen Unfall auslösen würde, weil jemand auf ihn auflaufen könnte. Der Rollstuhlroboter soll sich aber so verhalten, wie Menschen, die sich durch eine volle Fußgängerzone bewegen. Sie kollidieren trotz ihrer ständigen Bewegungen auch nicht (oder zumindest selten) miteinander.

Um das beim Rollstuhlroboter zu gewährleisten, kommen Algorithmen zur Personenerkennung und der Abschätzung des von ihnen eingeschlagenen Weges zum Einsatz. Eine vom LASA-Team entwickelte Navigationstechnik ermögliche es dem Rollstuhlroboter, in nur wenigen Millisekunden den besten Weg durch die Menschenmenge zu ermitteln. Die Richtung des Rollstuhlroboters wird von dem Benutzenden über die Bewegung des Oberkörpers vorgeben. Die Algorithmen bestimmen dann zusammen mit den ausgewerteten Informationen aus den Sensoren, wie der Fahrweg konkret verläuft.

Das klappt allerdings nicht immer, wie die Wissenschaftler einräumen. Auf sehr schnelle Richtungswechsel von Personen und deren unterschiedliches Situationsverhalten könne das System noch nicht gut genug reagieren. Deshalb sammelt das Forscherteam Daten auf dem Lausanner Wochenmarkt, um die Systeme weiter anpassen zu können. Paez sieht bereits jetzt, dass die halbautonome Fahrweise funktioniert. Die Menschen würden sich in der Nähe des Roboters "normal“ verhalten.

An dem Kontrollsystem wolle man weiterarbeiten, um Kollisionen und Unfälle zu vermeiden. Hier könnte etwa die Geschwindigkeit noch verringert und ein besserer Aufprallschutz am Rollstuhlroboter installiert werden. Die Erkenntnisse der Forschungsarbeit sollte der Gesetzgeber künftig bei Assistenzrobotern, die sich in Menschenmengen bewegen, berücksichtigen, mahnt Billard. Sie verweist etwa auch auf Lieferroboter, die im öffentlichen Verkehr auf Fußwegen und in Fußgängerzonen unterwegs sein können.

(olb)