Wie Dänemark zum Vorreiter bei der Digitalisierung wurde

Die dänische Regierung hat ihr Land mit der Brechstange digitalisiert: Bürger sind dazu verpflichtet, übers Internet mit Behörden zu kommunizieren.

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Inhaltsverzeichnis

Am 12. November vergangenen Jahres gab es für die Digitalstrategen der dänischen Regierung mal wieder einen Anlass zum Feiern: An diesem Tag verkündete die EU-Kommission die jüngste Ausgabe ihres "Digital Economy and Society Index" (DESI). Laut der aufwendigen Studie ist Dänemark in der EU der Spitzenreiter bei der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft – vor Finnland, Schweden und den Niederlanden.

Der DESI ist nicht die einzige Vergleichsstudie, in der Dänemark glänzt. Zum Beispiel steht das 5,8-Millionen-Einwohner-Land auch im weltweiten E-Government-Ranking der Vereinten Nationen auf Platz eins, vor Südkorea und Estland. In Untersuchungen zu Themen wie E-Health und digitaler Bildung schneiden die Dänen ebenfalls regelmäßig gut ab.

(Bild: Quelle: EU-Kommission)

Für die Erfolge gibt es viele Erklärungen. So hat das Land eine exzellente digitale Infrastruktur: Laut DESI können 93 Prozent der Haushalte einen Internetanschluss mit Gigabit-Geschwindigkeit nutzen (via Glasfaser oder TV-Kabel mit DOCSIS 3.1), während dieser Wert in Deutschland bei 33 Prozent liegt. Vergleichsweise hoch ist in Dänemark auch der Anteil der PC- und Smartphone-Nutzer an der Gesamtbevölkerung.

Eine weitere Grundlage schuf die dänische Regierung bereits 1968, als sie eine zentrale Personenkennziffer einführte. Die sogenannte CPR-Nummer ("Centrale Personregister") wird von praktisch allen Behörden und auch im Gesundheitssystem verwendet. So sind Verwechslungen ausgeschlossen, Ämter können Anträge automatisiert verarbeiten und Bürgerdaten untereinander austauschen.

2010 beförderte die Regierung die CPR-Nummer ins Internet: Sie führte eine digitale Identität namens NemID ein, mit der Bürger sich auf Behördenwebseiten einloggen sowie Dokumente digital unterschreiben können. Entwickelt und betrieben wird die NemID-Infrastruktur von einer privaten Firma, dem Finanzdienstleister Nets. Von Anfang an verwendeten auch die dänischen Banken NemID, sodass der Dienst sich schnell in der Breite der Bevölkerung durchsetzte.

„Wir Dänen sind seit Langem an zentrale staatliche Datenbanken gewöhnt“, sagt Mette Lindstrøm Lage, stellvertretende Direktorin der staatlichen Digitalisierungsagentur.

(Bild: Bild: Agnete Schlichtkrull)

Hinzu kommen kulturelle und politische Faktoren. In Dänemark kooperieren Kommunen, Regionen und die Zentralregierung stärker als die Akteure im deutschen föderalen System, wo die Kommunen regelmäßig darüber klagen, dass sie in Sachen Digitalisierung nicht eingebunden und zu wenig unterstützt werden. "In Dänemark gibt es eine lange Tradition der strategischen Zusammenarbeit im öffentlichen Sektor", sagt Mette Lindstrøm Lage, stellvertretende Direktorin der staatlichen dänischen Digitalisierungsagentur, im Gespräch mit c't.

Gleichzeitig sehen die meisten Dänen das Thema Datenschutz entspannter als etwa die Deutschen. "Wir sind seit Langem an zentrale staatliche Datenbanken gewöhnt, auch an elektronische Patientenakten mit Informationen über Krankheiten", sagt Lindstrøm Lage. Als weiteren Faktor nennt sie die Gesetzgebung zur Digitalisierung: Zwischen 2012 und 2015 machte die Regierung in vier "Wellen" die Nutzung zahlreicher Onlineformulare für Bürger obligatorisch.

"Zwang ist das beste Mittel' um die Beteiligung auf 100 Prozent zu bringen." – Jesper Lund' IT-Pol

Aus Sicht von Jesper Lund, dem Vorsitzenden des IT-Politischen Forums (IT-Pol), ist dieser Digitalzwang sogar der wichtigste Faktor für den Erfolg der Regierung in den einschlägigen Vergleichsstudien. "Zwang ist das beste Mittel, um die Beteiligung auf 100 Prozent zu bringen." Der dänische Verein IT-Pol setzt sich für die Wahrung von Bürgerrechten im digitalen Raum ein.

Die dänische Regierung begründete die Digitalpflicht anfangs vor allem finanziell. Die Finanzkrise von 2007/2008 habe den Staatshaushalt strapaziert, der öffentliche Sektor müsse mit weniger Angestellten auskommen, heißt es in einem im August 2011 veröffentlichten Strategiepapier. Durch Digitalisierung könne man ab 2020 jährlich 3 Milliarden Kronen (400 Millionen Euro) einsparen. "Die Zukunft des Wohlfahrtsstaats steht auf dem Spiel."

In den folgenden Jahren verlagerte der Staat seine Kommunikation mit den Bürgern schrittweise ins Netz. Von Dezember 2012 an konnten Bürger die ersten zehn Verwaltungsangelegenheiten nur noch per Onlineformular regeln. Dazu gehörten der Wechsel der Anschrift, der Antrag auf eine Krankenversicherungskarte sowie die Anmeldung zu Kindergarten und Schule.

2013 folgten knapp 30 weitere Verfahren, 2014 wiederum knapp 30. Im selben Jahr verpflichtete die Regierung außerdem alle Einwohner (ab einem Alter von 15 Jahren), Nachrichten von Behörden in einem Onlinepostfach zu empfangen. Laut der damals von der Digitalisierungsagentur verschickten Pressemitteilung ging Dänemark diesen Schritt als erstes Land der Welt. 2015 stellten die Behörden weitere 25 Verwaltungsverfahren auf verpflichtende Onlineformulare um. Fast alle Verfahren sind inzwischen an das zentrale Portal borger.dk angebunden.

Auf borger.dk finden die Dänen fast alle staatlichen Onlinedienste – egal, ob diese von den Kommunen, den Regionen oder der Zentralregierung bereitgestellt werden.

Für Einwohner, die keinen Computer und kein Smartphone besitzen, stellen die Kommunen in Servicecentern PCs bereit. Dort sollen Behördenmitarbeiter denjenigen helfen, die zum Beispiel mangels Sprachkenntnissen oder aufgrund körperlicher Einschränkungen die Onlineformulare nicht ausfüllen können.

Bürger können auch eine Ausnahme von der Pflicht zur Nutzung des staatlichen Onlinepostfachs beantragen und erhalten dann weiterhin Briefe per Post. Das Gesetz sieht dies jedoch nur in bestimmten Fällen vor, etwa wenn man keinen Internetzugang zu Hause hat oder den Dienst aufgrund einer Behinderung nicht nutzen kann. Datenschutzbedenken oder eine grundsätzliche Vorliebe für Papier zählen nicht.

Das dänische Vorgehen ist bis heute ziemlich einmalig. Verpflichtungen zur Nutzung staatlicher Onlinedienste gibt es zwar auch in anderen Ländern, doch dabei geht es meistens nur um wenige Verfahren, vor allem für Unternehmen und spezielle Berufsgruppen wie Ärzte oder Notar, seltener für Normalbürger.

Die dänische Regierung sieht die Pflichtdigitalisierung heute naturgemäß als erfolgreichen Weg an. "Es ist eine gute Idee, aber es muss natürlich Alternativen geben. Wir schließen niemanden aus", sagt die Beamtin Lindstrøm Lage. Wer die digitalen Methoden nicht nutzen könne, werde von den Behörden gut unterstützt. Laut den offiziellen Zahlen nutzen aktuell 7,5 Prozent der Einwohner das digitale Postfach nicht. 80 Prozent der Nutzer seien mit dem Angebot zufrieden oder sehr zufrieden, heißt es bei der Digitalisierungsagentur.

Doch wurde auch das 2011 ausgerufene Ziel der Kosteneinsparung erreicht? Dazu nennt die Agentur auf Anfrage keine Zahlen. "Manche Bereiche wie Cybersicherheit verursachen Kosten, in anderen Feldern gibt es Einsparungen", sagt Lindstrøm Lage. Außerdem wisse man nicht, wie die Kosten des öffentlichen Sektors sich entwickelt hätten, wenn man nicht digitalisiert hätte.

„Wenn Systeme verpflichtend sind, gibt es keinen echten Anreiz, sie zu verbessern“, warnt der dänische Bürgerrechtler Jesper Lund.

(Bild: Bild: Andreea Belu)

Jesper Lund sieht die Digitalpflicht als Irrweg. "Manche der öffentlichen IT-Systeme sind nicht nutzerfreundlich, und wenn ihre Nutzung verpflichtend ist, gibt es keinen echten Anreiz, sie zu verbessern", argumentiert er. Darüber hinaus hätten die Bürger wenig Einfluss auf ihre Interaktion mit den Behörden, was ein Gefühl der Machtlosigkeit erzeuge. "Man sollte den Menschen nicht die Möglichkeit nehmen, mit den Angestellten zu sprechen, wenn sie mit Ämtern zu tun haben."

Kritisch sieht Lund auch die NemID, weil das System die privaten Schlüssel der Bürger auf einem zentralen Server von Nets speichert – anders als etwa der deutsche E-Perso, der den Schlüssel in die Hand des einzelnen Bürgers legt. "Man muss diesem zentralen Server vertrauen", betont der Bürgerrechtler. Außerdem verweist er auf Sicherheitsmängel der NemID.

In Dänemark gab es bereits mehrere Fälle, in denen Kriminelle NemID-Zugangsdaten ausgespäht und damit Bankkonten ihrer Opfer geplündert haben. In einem Fall konnten die Angreifer vermutlich mit einem Keylogger in einer öffentlichen Bibliothek das Passwort mitschneiden. Die zusätzlich nötige TAN-Liste stahlen sie offenbar aus einem Briefkasten. In anderen Fällen fielen die Opfer auf gefälschte Webseiten herein, was bei der NemID relativ leicht passieren kann, da Nutzer den Dienst nicht mit einer bestimmten URL assoziieren.

Mit dem E-Perso wäre eine solche Phishingattacke nicht passiert: Hier können nur Onlinedienste auf Daten zugreifen, die ein Zertifikat des Bundesverwaltungsamts vorweisen und dort einen Registrierungsprozess durchlaufen haben.

Dänemark steigt aktuell allerdings von der NemID auf die MitID um, die besser abgesichert ist. Statt gedruckter TAN-Listen dienen Smartphone-Apps oder physische TAN-Generatoren als Sicherheitsanker. Außerdem werden Nutzer legitime Onlinedienste künftig auch an der URL erkennen können.

Was kann Deutschland also von Dänemark lernen, was nicht? Bereits entschieden hat die Bundesregierung, dass sie nach dänischem Vorbild eine zentrale Identifikationsnummer einführen will, damit Behörden leichter Daten austauschen können, wenn Bürger das erlauben. Ende 2025 soll dieses System startklar sein. Ein "Datenschutzcockpit" soll Nutzern dann zeigen, welche Behörden welche Daten haben. Datenschützer halten die Pläne dennoch für verfassungswidrig und könnten sie noch vor Gericht stoppen.

Auch Jesper Lund warnt Deutschland vor der Einführung einer Einheitsnummer: In der Praxis würden Bürger dadurch den Überblick darüber verlieren, welche Behörden welche Daten für welche Zwecke verarbeiten, meint er.

Noch in weiter Ferne liegt in der Bundesrepublik eine Pflicht zur Nutzung behördlicher Onlineformulare oder digitaler Postfächer. Ein Grund: Für viele Verwaltungsleistungen gibt es hierzulande noch gar keine digitalen Antragsverfahren, sondern nur Papierformulare. Vor allem kleine Kommunen hinken hinterher.

Nachgedacht wird über eine Digitalpflicht aber durchaus. "Ich bin überzeugt davon' dass wir auch eine politische Diskussion über das Thema 'digital first' und vielleicht sogar 'digital only' bekommen"' sagte Markus Richter, Chief Information Officer der Bundesregierung, im Dezember auf einer Konferenz. Die Diskussion stelle sich heute noch nicht, sei aber legitim. "Und da gibt es auch tolle Beispiele aus anderen Ländern."

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(cwo)