Kommentar: Die Pressefreiheit stirbt mit Julian Assange​

Zum Tag der Pressefreiheit zeigen wir wieder mit spitzem Finger auf die Autokraten. Dabei sitzen die Schurken auch mitten unter uns, meint Volker Briegleb.

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(Bild: Katherine Da Silva/Shutterstock.com)

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Lesezeit: 3 Min.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Kommentar ist bereits am 3. Mai anlässlich des Tags der Pressefreiheit erschienen. Angesichts der Entscheidung des britischen Innenministeriums, den Weg für die Auslieferung Julian Assanges an die USA freizumachen, publizieren wir ihn erneut. Denn in allem, was der Text kritisiert, ist er brandaktuell.

"Die Pressefreiheit spielt eine unverzichtbare Rolle dabei, die Öffentlichkeit zu informieren, Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen und Geschichten zu erzählen, die sonst nicht erzählt würden. Die Vereinigten Staaten werden weiterhin für die mutige und notwendige Arbeit von Journalisten auf der ganzen Welt eintreten."

Während US-Außenminister Antony Blinken diese salbungsvollen Worte auf dem "Gipfeltreffen für Demokratie" im vergangenen Dezember spricht, vegetiert ein Journalist in einem britischen Hochsicherheitsknast vor sich hin. In Einzelhaft. Auf Betreiben genau der US-Regierung, die offensichtlich eine PR-Veranstaltung wie den "Summit for Democracy" braucht, um sich und der Welt zu beweisen, dass sie zu den Guten gehört.

Ein Kommentar von Volker Briegleb

In über 15 Jahren im Newsroom von heise online hat Volker Briegleb schon so manchen Trend kommen und auch wieder verschwinden sehen. Ist nicht sicher, ob das Internet oder Hertha BSC die größte Enttäuschung seines Lebens ist.

Der Journalist, der da seit inzwischen drei Jahren im Knast von Belmarsh sitzt, heißt Julian Assange. Als Chefredakteur der Enthüllungsplattform Wikileaks hat er dazu beigetragen, dass die von Whistleblowerin Chelsea Manning beschafften Informationen über US-Kriegsverbrechen einem globalen Publikum bekannt wurden. Und ein paar delikate E-Mails über das Innenleben der Democrats. Die US-Regierung will Assange deshalb den Prozess machen. Ein britisches Gericht hat seine Auslieferung verfügt, jetzt ist die Innenministerin am Zug.

"Journalismus bedeutet, Sachen zu drucken, die jemand nicht gedruckt sehen will. Alles andere ist Werbung", hat der Verleger William Randolph Hearst mal ein altes Journalisten-Sprichwort auf den Punkt gebracht, das inzwischen auch George Orwell zugeschrieben wird, weil das so schön passt. Nicht nur gemessen daran ist das, was Wikileaks macht, Journalismus. Wer Assange trotzdem abspricht, ein Journalist zu sein, leistet dem Spionage-Narrativ der US-Regierung Vorschub und macht sich mitschuldig.

Die US-Regierung – und es scheint dabei völlig egal zu sein, ob Barack Obama, Donald Trump oder Joe Biden im Weißen Haus sitzt – statuiert an Assange ein Exempel: Treibt es mit eurem Journalismus bloß nicht zu weit. Zugleich versucht Washington, seinen mutwilligen Verstoß gegen rechtsstaatliche Prinzipien, Grund- und Menschenrechte zu einer Frage der nationalen Sicherheit umzuframen. Und etliche spielen mit. Der Fall Assange ist deshalb auch ein schauriges Beispiel, wie tief sich eine "unabhängige" Justiz vor der Staatsräson bücken kann.

Das Narrativ ist klar: Menschenrechtsverletzungen gibt es nur unter bösen Autokraten wie Xi oder Putin. Die politisch Verantwortlichen des freien Westens treffen sich bei Opa Joes Feelgood-Summit, tragen die Pressefreiheit wie eine Monstranz vor sich her und zeigen mit spitzem Finger auf die Schurkenstaaten, die Journalisten einfach wegsperren oder gleich liquidieren. Und unsere Bundesregierung, allen voran die Außenministerin, duckt sich beim heiklen Thema Assange weg.

Was diese Machtpolitiker veranstalten, um einen Journalisten als Spion für immer wegzuschließen, ist einer freiheitlichen Gesellschaft unwürdig. Solange Julian Assange in einem Hochsicherheitsknast langsam verendet, weil er Sachen veröffentlicht hat, die der US-Regierung dann doch ein bisschen peinlich sind, sind die stets bemühten "westlichen Werte" nur rhetorischer Tand. Sie sind schlicht wertlos.

(vbr)