Chatkontrolle: Justizminister Buschmann ist gegen flächendeckende Überwachung

Sehr skeptisch sieht Justizminister Buschmann die EU-Initiative für Kinderporno-Scans. Eine seiner Vorgängerinnen warnt vor dem Frontalangriff auf Bürgerrechte.

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(Bild: TATSIANAMA/Shutterstock.com)

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Die Kritik an dem Verordnungsentwurf der EU-Kommission zum Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch verstummt nicht. "Digitale Bürgerrechte sind keine Bürgerrechte zweiter Klasse", gibt nun auch Bundesjustizminister Marco Buschmann zu bedenken. "Ich bin sehr skeptisch, was den neuen Entwurf angeht, rechtlich und politisch."

"Eine generelle flächendeckende Überwachungsmaßnahme privater Korrespondenz gerade auch im digitalen Raum lehnt mein Haus ab", twitterte der FDP-Politiker. Er sei gegen eine "Chatkontrolle". Gegenüber dem "Spiegel" erläuterte er den Grund seiner Bedenken: "Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder die strenge Verhältnismäßigkeit heimlicher Ermittlungsmaßnahmen vor dem Hintergrund des besonders geschützten Brief- und Fernmeldegeheimnisses angemahnt."

Aus dem Justizressort hieß es weiter, die Chatkontrolle sei wohl auch nicht mit dem Koalitionsvertrag vereinbar. SPD, Grüne und die Liberalen haben darin versprochen, die digitalen Bürgerrechte und die IT-Sicherheit stärken und ein Recht auf Verschlüsselung schaffen zu wollen. Dieses müsste für die geforderten Kinderporno-Scans wohl umgangen werden. Das Ministerium will im Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch stattdessen auf gut ausgestattete Strafverfolgungsbehörden, zeitgemäße und präzise Instrumente und auf Prävention setzen.

Mit der auf europäischer Ebene ebenfalls umkämpften Initiative sollen auch Anbieter durchgängig verschlüsselter Messaging- und anderer Kommunikationsdienste wie WhatsApp, Apple mit iMessage, Signal und Threema über behördliche Anordnungen dazu verpflichtet werden können, Fotos und Videos von Kindesmissbrauch in den Nachrichten ihrer Nutzer ausfindig zu machen. Überdies will die Kommission die seit Jahren umkämpften Websperren auf breiter Front einführen. Auf flächendeckende Maßnahmen will sie aber angeblich verzichten: Anordnungen zum Aufdecken von Missbrauchsmaterial seien "zeitlich begrenzt und zielen auf eine bestimmte Art von Inhalten in einem bestimmten Dienst ab".

Zuvor hatte Digitalminister Volker Wissing (FDP) hervorgehoben: "Allgemeine Chatkontrollen sind nicht hinnehmbar. Wir brauchen einen geschützten Raum privater Kommunikation." Einige der Vorschläge aus Brüssel beunruhigten ihn daher. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stellte sich dagegen hinter das EU-Vorhaben und erklärte es zu ihrer Herzensangelegenheit. Wie sich die Bundesregierung zu dem Entwurf im EU-Ministerrat positioniert, ist noch unklar.

Schärfer als Buschmann geht Ex-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mit dem Vorhaben zu Gericht. Der Entwurf "überschreitet alle Vorstellungen", warnt die Vize-Vorstandsvorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung. "Er ist ein Frontalangriff auf die Bürgerrechte im digitalen Raum und hebelt das digitale Briefgeheimnis faktisch aus." Auch die seit Langem umkämpften Upload-Filter und die von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) bereits auf deutscher Ebene vorangetriebenen Websperren kehrten zurück.

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Der Vorschlag werde "das digitale Briefgeheimnis zerstören und den Sinn verschlüsselter Kommunikation ad absurdum führen", beklagt Leutheusser-Schnarrenberger. "Allein die Möglichkeit, dass ein Scannen und Filtern von Inhalten angeordnet werden kann, reicht bereits aus, um die Vertraulichkeit der Kommunikation de facto abzuschaffen." Die Liberale befürchtet, dass so Elemente eines "dystopischen Romans von George Orwell" rasch Wirklichkeit zu werden drohten.

Die Medienorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) zeigte sich ebenfalls alarmiert über den Entwurf. Die Forderung, vertrauliche Nachrichteninhalte auf den Geräten zu scannen, kommt ihr zufolge einem Verbot vertraulicher Kommunikation gleich. "Der Vorschlag missachtet zahlreiche Grundrechte und steht dem erklärten Ziel der EU-Kommission, Medienschaffende effektiver zu schützen, fundamental entgegen", rügt RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. Für Journalisten, die ihre Quellen schützen müssten, stellten verschlüsselte Nachrichtendienste unverzichtbare Werkzeuge im digitalen Alltag dar.

Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) wendet sich gegen die im Raum stehende Verordnung. Er sieht darin "die größte europäische Datenüberwachung aller Zeiten, die massiv in Grundrechte wie die Presse- und Meinungsfreiheit eingreifen würde". Journalisten sowie deren Informanten dürften nicht damit rechnen müssen, "dass ihre digitale Kommunikation einschließlich Fotos und Videos überwacht und ausgewertet" werden. Der DJV-Vorsitzende Frank Überall erinnerte zugleich daran, dass der Einsatz von Algorithmen bei der Datenauswertung fehleranfällig sei: "Software kann nicht erkennen, ob ein Foto oder ein Video womöglich ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument ist."

Eine Gegenposition vertritt die Kinderschutzorganisation Innocence in Danger. Vorständin Julia von Weiler schrieb an das Portal Netzpolitik.org: "Der Begriff Chatkontrolle ordnet das Vorhaben in eine Big-Brother-artige Totalüberwachung ein – und gibt meines Erachtens das Gesetzesvorhaben der EU falsch wieder." Sollte das Gesetz Wirklichkeit werden, "wären Kinder und Betroffene viel besser geschützt als vorher". Dafür trage allein die Tatsache Sorge, dass Provider die Risiken für gelingenden Kinder- und Jugendschutz evaluieren und adressieren müssten. Der Deutsche Kinderschutzbund hat sich indes größtenteils gegen die EU-Pläne ausgesprochen.

(tiw)