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Was war. Was wird. Danke für die Musik.

65 Millionen begeisterte Abba-Pixel liefern ein Konzert "vom Band". In einer Welt voller Idioten ist nämlich Björn Ulvaeus kein Idiot, lernt Hal Faber.

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Lernmaschinen verstärken Antworten und fordern simuliertes Entzücken heraus. Die "Abbatare" sind leider "bloody alive!", aber wohl nur der Anfang – schlimme Dinge werden folgen.

(Bild: Shutterstock/natmac stock)

Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Hach, es hat alles geklappt. Der gute König Carl Gustav und Königin Silvia waren da und natürlich die Musik-Könige Björn und Benny und die Svensk Flicka. Die Show der Abbatare in London beeindruckte die Feuilletons und kann nun in Serie gehen, in London wie später in Las Vegas und anderswo, bis später einmal alles "vom Band" kommt, die Bilder und die Musik. 65 Millionen Pixel wurden angesteuert und jedes einzelne Pixelchen machte begeistert mit. "Es ist für uns Menschen wirklich erstaunlich einfach geworden, eine ganz eigene Art von Leben in etwas Digitales einzuhauchen. Etwas, das dann sehr menschlich erscheint. Das verflucht menschlich ist! Bloody alive! Mir wurde zumindest immer wieder bewusst, wie sehr wir Grenzen verschieben. Wir gehen hier einen Weg, auf dem uns viele Leute folgen werden. Und damit werden auch schlimme Dinge passieren. Die Welt hat noch lange nicht ausgeschöpft, was sich mit digitaler Stimmenimitation und Deepfakes anrichten lässt", philosophierte Björn Ulvaeus in diesem Interview hinter einer Abbawall. Der Musiker, der in seinem eigenen Verlag ein Buch über die Schädlichkeit von Fake News veröffentlicht hat und die Welt als eine Welt voller Idioten bezeichnete, ist kein Idiot. Er sieht die Gefahren im Zusammenspiel von digitalen Kopien und künstlicher Intelligenz, über die Hugh Kenner in seinem Buch "The Counterfeiters" (deutscher Titel: Kunst im Zeitalter von Xerox) schrieb: "Doch viele geschäftige Menschen /../ wenden ihre ganze Begabung auf, ein Umweltfeld zu entwickeln, das perfekt zugeschnitten ist auf eine Welt voll flinken kleinen Idioten, die wie Menschen aussehen. In dieser Welt 'verstärken' Lernmaschinen Antworten, indem sie einfache Begriffe ständig wiederholen und Willfährigkeit mit simuliertem Entzücken herausfordern. Es ist eine gefälschte Welt für gefälschte Personen."

"Die Welt hat noch lange nicht ausgeschöpft, was sich mit digitaler Stimmenimitation und Deepfakes anrichten lässt." – Wohl wahr. Eine gefälschte Welt mit gefälschten Personen steht ins Haus.

*** Der Komponist überquert mit einer Aktentasche auf dem Zebrastreifen eine Straße. Er geht in ein Gebäude mit vielen Maschinen. An einem Tisch packt er seine Aktentasche aus und füttert eine Maschine mit einem Stapel Kärtchen. Dann macht er sich ans Dirigieren. Stopp! das ist die falsche Beschreibung dieser schönen Dokumentation über Iannis Xenakis. Denn Xenakis dirigiert nicht, sondern raucht eine Zigarette, während sein Programm bei IBM am Berliner Ernst-Reuter-Platz abläuft. Der Mann, der ähnlich wie Abba einst mit seinem Musikzelt "Diatope" eine Welttournee plante (sie kam nur bis Bonn), wird heute 100 alt. Das ist den Zeitungsfeuilletons angesichts der Bedeutung von Abba zwar keine Rede wert, aber wir haben ja noch das Armeleutemedium Rundfunk, das sich um Aufklärung bemüht. Und dann gibt es noch die tapferen Menschen, die unverzagt Dokumentarfilme drehten, wie Mantas Kvedaravičius in Mariupol. Dort wurde er erschossen.

*** Musik kann wie bei dem ehemaligen Widerstandskämpfer Xenakis mathematische Sphären erschließen, aber auch Utopien verkünden. Was heute die Europahymne ist, diese "Ode an die Freude", wurde von chilenischen Protestierenden gesungen, als der Diktator Augusto Pinochet gestürzt wurde. 1989 wurde sie am Tiananmen Square gespielt. Nach dem Tōhoku-Erdbeben spielte man sie im Gedenken an die Opfer des Tsunamis. Zur Feier der ukrainischen Unabhängigkeit von 1991 nutzte die Komponistin Wiktorija Poljowa Beethovens Musik im Jahre 2011 als Vorlage. "Ein Jahrzehnt später spielte das ukrainische Nationalorchester ihre Neuinterpretation, kurz bevor ein Tyrann des 21. Jahrhunderts mit einem Napoleon-Komplex und einer Seele, die taub für Musik ist, mit seiner Machtlust das kleine Land überfiel", heißt es in diesem Text der Bulgarin Maria Popova. Sie sang als Jugendliche die Hymne auf die Freiheit mit einem Chor auf Bulgarisch und erinnert sich daran, dass es Probleme gab, die "Freude" adäquat zu übersetzen. Wann kann Beethoven, wann Poljowa in der Ukraine wieder mit aller Freude gespielt werden? Muss dazu Russland in seine Einzelteile zerschlagen werden, wie der Kleptokratie-Experte Casey Michel schreibt? Und wo kommt das Material her, mit dem man die barbarisch zuschlagende russische Armee bekämpfen kann? Wer sich die Informationspolitik dieser Tage anschaut, bekommt den Eindruck, dass Desinformation betrieben wird. Die Regierung ist ja wandelbar, wie der Kanzler selbst. Aus dem Scholzomaten ist unterdessen die Scholzosphinx geworden, mit erbaulichen Sätzen vom Kirchentag wie "Der Krieg wirft viele Fragen auf wie: Darf Gewalt mit Gewalt bekämpft werden? Schafft man Frieden nur ohne Waffen? Wir sollten beides mit Respekt diskutieren." Aber eben gefolgt von Sätzen wie "Putin darf mit seinem zynischen, menschenverachtenden Krieg nicht durchkommen." Gut, das war kirchentagstauglich, wo auch gesungen wird. Man kann gespannt sein, was Scholz der Netzgemeinde predigen wird.

*** Wir bleiben lieber beim Wahren, Schönen und Guten: Außer sich vor Freude sind Kunstkritisiernde über eine Ausstellung, die von der Höhlenmalerei bis zu den NFTs reicht. Da wird der "Meisterprogrammierer" Beeple a.k.a. Michael Winkelmann gefeiert, dessen Human One über einen Planeten läuft und dabei NFT-gesicherte Abzüge im Werte von 25 Millionen Dollar erzeugt hat. Dass die künstlerisch angehauchte, nicht eben besonders schwer zu programmierende Szene eine ganz besondere Form der Geldwäsche ist, steht anderswo. Dort werden NFTs als höchste Emanation des Marxschen Warenfetisch gewertet, die der typischen künstlichen Verknappung unterliegen, ohne die es im Kapitalismus nicht geht. Für die Steigerung, wenn ein gelangweilter Affe bei einem Phishing-Manöver geklaut und dann verkauft wird, dürfte sich auch ein Verweis auf Marx finden lassen. Expropriateure locken Expropriateure an. Wobei der Schwindel nicht auf NFTs beschränkt sein muss, wie Nachrichten aus Abu Dhabi zeigen, dem Paradies für Abzocker aller Art.

"All Cops Are Busy": Das Internet darf kein spaßfreier Raum sein – jedenfalls nicht, solange Jan Böhmermann online ist.

Das Internet ist bekanntlich kein rechtsfreier Raum, aber irgendwie Ländersache. Mit dem wunderschönen Projektnamen TATÜTATA.fail und dem Untertitel "404:All Cops are busy" hat der oberste deutsche Polizeisohngewerkschaftler Jan Böhmermann gezeigt, dass Deutschland ein föderalistisches Land, in dem Polizeien höchst unterschiedlich im Internet auf Tätersuche gehen. Was in Baden-Württemberg zu Ermittlungen und Verurteilungen führen kann, ist in Berlin noch lange nicht abgeschlossen. In Bremen passierte gar nichts, weil angeblich das Computersystem für die Aufnahme einer Anzeige ausgefallen war. Das mehrjährige Projekt des ZDF-Magazins Royale war offenbar so kräftezehrend, dass alle Beteiligten nun erschöpft in die Sommerpause gehen, bis auf die Rechtsabteilung natürlich. Die hat schon mal den Disclaimer formuliert: "Obwohl beim Studiendesign auf größtmögliche Vergleichbarkeit geachtet wurde, hat das Experiment keinen Anspruch auf wissenschaftliche Signifikanz. Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ. Die Ermittlungsergebnisse aus ganz Deutschland können Sie in dieser Tabelle nachlesen." Der Link unter "Tabelle" geht in stilvoller Weise auf eine XLS-Datei. Auf der siebenteiligen Skala der Dummheit ist das die achte Ebene.

(tiw)