Was das Ende des Internet Explorers bedeutet

Am 15. Juni erschien das letzte Update für Microsofts Internet Explorer – von reichlich Ausnahmen einmal abgesehen. Damit endet die Karriere einer Software.

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Internet Explorer

(Bild: dpa, Jens Schierenbeck)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Jan Mahn
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Für Nutzer von Windows 10 mit den regelmäßigen Funktionsupdates (aktuell 21H2) endete am 15. Juni 2022 eine Ära: Der Internet Explorer 11 hat seine letzten Sicherheitsupdates bekommen. Per Windows Update will Microsoft die nicht mehr gepflegte Software jetzt automatisch entfernen, alle Verknüpfungen zeigen dann auf den neueren Microsoft-Browser Edge. Windows-11-Nutzer haben IE 11 gar nicht erst installiert bekommen; der Internet Explorer verschwindet damit aus fast allen Privathaushalten und vielen Unternehmen.

Doch Microsoft fällt es sichtlich schwer, diesen alten Zopf gänzlich und radikal abzuschneiden: In Windows 7 und 8.1, in allen Windows-Server-Ausgaben und in Windows 10 LTSC bekommt der IE 11 so lange Sicherheitsupdates, wie die jeweiligen Betriebssysteme gepflegt werden. Windows 8.1 stirbt am 10. Januar 2023. Im gleichen Moment enden auch die "Extended Security Updates" (ESU), die kostenpflichtigen Windows-Updates für notorische Windows-7-Nutzer in Unternehmen. Bei Windows 10 Enterprise LTSC 2019 sieht das aber ganz anders aus. Es bekommt noch Updates bis zum 9. Januar 2029. Am längsten überlebt der untote Browser im Windows Server 2022, der bis zum 31. Oktober 2031 versorgt wird.

Der Internet Explorer sei eingestellt, behauptet Microsoft. So ganz stimmt das aber nicht, denn in vielen Windows-Versionen lebt er weiter.

Dennoch kann man das Support-Ende am 15. Juni als Beginn der Post-IE-Ära verstehen. Entfallen ist das letzte Argument, beim Entwickeln von Webanwendungen auch nur einen Gedanken an den Internet Explorer zu verschwenden. Internet-Explorer-Kompatibilität kann fortan aus Lastenheften für Softwareprojekte verschwinden und kein Webshop-Betreiber muss sich mehr sorgen, dass ihm ein paar Prozent Umsatz verloren gehen, weil das Shop-Layout bei den paar Prozent IE-Nutzern zerstückelt aussieht. Wenn der Onlinekunde zu Hause aus jahrzehntelanger Gewohnheit auf seinem Windows-PC auf das IE-Logo klickt, wird er ab jetzt zu Edge umgeleitet. Vorbei sind also alle Extrawürste, die Webentwickler für die IE-Engine gebraten haben, die es mit Webstandards nicht immer so genau nahm. Vergleichsweise neue Konzepte wie Flexboxen und Layouts mit Grids hatte der IE nie oder nur bruchstückhaft gelernt. In den Papierkorb dürfen Entwickler ab jetzt guten Gewissens jene CSS-Zeilen werfen, die mit dem Präfix ms- beginnen.

Dass in den letzten Jahren überhaupt noch private Windows-Nutzer zum IE griffen, war vor allem einem Kommunikationsproblem geschuldet. Schon seit der Vorstellung von Microsoft Edge im Jahr 2015 war klar, dass die Tage des Internet Explorers gezählt waren. Edge sollte ein Befreiungsschlag werden und den Browser-Markt noch einmal aufmischen. Die neue HTML-Rendering-Engine namens EdgeHTML sollte, so Microsofts Plan, schneller sein als die von Chrome, Safari und Firefox – und anders als die Trident-Engine des Internet Explorer moderne Webstandards unterstützen. Seit dem Erscheinen von Edge predigte Microsoft bei Konferenzen und in Blogbeiträgen: Nutzen Sie den Internet Explorer nicht mehr fürs alltägliche Surfen, sondern nur noch, um veraltete Webanwendungen in Unternehmen damit zu starten. Edge ist die Zukunft. Doch diese Botschaft kam bei einem kleinen Teil der Surfer lange nicht an, sie ignorierten die recht penetranten Popups, die zum Testen von Edge einluden und surften weiter wie seit 1995 mit ihrem gewohnten Internet Explorer. Schließlich verlor sogar Microsoft selbst die Lust am Fummeln und gab den IE-Support für eigene Software auf: Teams läuft seit Ende 2020 nicht mehr im IE, Office 365 seit 2021.

Das Kapitel EdgeHTML als eigene Browser-Engine ist mittlerweile auch Geschichte, ab 2020 wurde ein neuer Edge auf Basis der Chromium-Engine ausgerollt, dem Open-Source-Projekt, das auch in Googles Chrome-Browser steckt. Laut dem Statistikanbieter Statcounter hat Edge in Deutschland eine Verbreitung zwischen 6 und 7 Prozent, der IE rutschte im Mai 2021 erstmals unter 1 Prozent.

Caniuse.com dokumentiert, welche Browserversionen eine Funktion unterstützen. Der Internet Explorer ist in vielen Bereichen im Jahr 2013 steckengeblieben und verursachte zusätzlich Arbeit.

Neben der Chromium-Engine hat Edge aber noch eine weitere Rendering-Engine eingebaut: Die alte IE-11-Engine, die im sogenannten Internet-Explorer-Modus für ausgewählte Seiten zum Einsatz kommt. Diesen Kunstgriff hat sich Microsoft ausgedacht, damit all jene Firmenkunden nicht meutern, die Webanwendungen einsetzen, die wirklich nur mit dem IE funktionieren. Das sind vor allem solche mit ActiveX-Steuerelementen. Vor vielen Jahren mal in der damaligen Zukunftstechnik ActiveX entwickelte kleine Projekte wie das firmeninterne Werkzeug für die Reisekostenabrechnung zum Beispiel, oder gleich eine ActiveX-basierte Programmieroberfläche für Industriesteuerungen, deren robuste Hardware auch nach Jahrzehnten noch reibungslos funktioniert. Abseits von alten Unternehmenswerkzeugen begegneten uns ActiveX-Steuerelemente zuletzt vor rund vier Jahren beim Test von Überwachungskameras. Der zweite größere Anwendungsfall erledigt sich in wenigen Monaten von allein: Am 12. Oktober 2021 endet Microsofts Unterstützung von Silverlight, das im IE-Modus des Edge aktuell noch benutzt werden kann.

Admins, die etwa mit Windows 10 LTSC noch viele Jahre Updates für den IE 11 bekommen und daher damit liebäugeln, den Browserwechsel noch etwas zu verschieben, kann man nur raten: Tun Sie sich, Ihren Nutzern und den Webentwicklern den Gefallen und schalten Sie den untoten Browser ab. Zum alltäglichen Surfen kann man ihn niemandem mehr zumuten. Ihn auf einem Windows abzuschalten, das noch IE-Updates bekommt, ist einfach: Die passende Gruppenrichtlinie liegt unter Computerkonfiguration/Administrative Vorlagen/Windows-Komponenten/Internet Explorer und heißt "Internet Explorer 11 als eigenständigen Browser deaktivieren". Wenn Sie im Unternehmen keine Altlasten haben, die den Internet-Explorer-Modus von Edge brauchen, sind Sie bei der Wahl des neuen Standardbrowsers frei – und Microsoft ist nicht mehr der einzige Hersteller eines per GPO steuerbaren Browsers: Chrome konnte das von Anfang an und auch Firefox hat diese für große Windows-Netze entscheidende Funktion gelernt. Per Hand oder Skript löschen sollten Sie die Reste des Internet Explorer nicht – seine Bestandteile braucht der IE-Modus von Edge zum Funktionieren. Microsoft rät ausdrücklich davon ab, selbst etwas zu entsorgen.

Sollten Sie zu den Unglücklichen gehören, die eine alte Webanwendung weiter durchschleppen müssen, müssen Sie sich spätestens jetzt mit dem IE-Modus beschäftigen und die Seiten, die darin geöffnet werden sollen, konfigurieren. Wie das im Detail funktioniert, hat Microsoft ausführlich dokumentiert. Das alltägliche Surfen wird dann mit der Chromium-Engine abgewickelt, die internen Altlasten laufen mit dem IE-Unterbau. Der Nutzer bekommt das ohne genauen Blick auf die Adressleiste gar nicht mit.

In einem Video zum Edge-IE-Modus macht die Microsoft-Mitarbeiterin Aleks Lopez ein großes Versprechen: 99,7 Prozent der getesteten Anwendungen funktionieren nach ihrer Aussage im IE-Modus von Edge. Wer mit seinen eigenen Anwendungen Schwierigkeiten hat, ist eingeladen, sich unter der Adresse aka.ms/AppAssureRequest zu melden, damit ein Microsoft-Mitarbeiter das Problem "at no additional cost" lösen kann. Ein Problem, dem wir kürzlich begegneten: Sogenannten MHTML-Dateien, wie sie unter anderem Microsofts eigener "Problem Steps Recorder" erzeugt, fehlen im IE-Modus in Edge die eingebetteten Bilder.

Vor allem Webentwicklern kostete der 2013 erschienene Browser Nerven: IE 11 hatte schon bei Erscheinen Schwächen und lernte auch nicht mehr dazu. Anstatt sich um diese Probleme zu kümmern, erfand Microsoft 2015 Edge und ließ den Internet Explorer parallel weiter existieren. Die Privatanwender wechselten zum großen Teil, doch in vielen Organisationen blieb der IE Standard- und einziger Browser. Konsequent wäre es von Microsoft gewesen, mit dem Erscheinen von Edge den IE so zu beschneiden, dass er nur noch eine Liste von eingetragenen Legacy-Anwendungen in Unternehmen ansteuern kann – sofern sie ActiveX oder Silverlight verwenden.

Jede Minute, in der sich zwischen 2015 und heute ein Webentwickler mit den Unzulänglichkeiten von IE 11 ärgern musste, war verschwendete Zeit. Microsoft versäumte es damals, den Schlussstrich klar und verbindlich zu ziehen – und setzt diesen Zustand auch über den 15. Juni 2022 hinaus fort: Aus Privathaushalten ist das Relikt aus der Internetvergangenheit jetzt verschwunden, in einigen Unternehmen und Behörden wird der Browser, der keine Funktions-, sondern nur noch Sicherheitsupdates bekommt, aber sicher noch bis zum Ende der LTSC-Laufzeit 2029 oder 2031 als Standardbrowser durchgeschleppt. Solche Zeiträume passen nicht zu einem Web, das sich ständig weiterentwickelt. Verhindern können das nur die Webentwickler: Nur, wenn sie den IE-Support aktiv aus ihren Seiten ausbauen und sich weigern, neue IE-Probleme zu reparieren, wird der Internet Explorer vor 2031 als Standardbrowser in den letzten Organisationen aussterben.

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(jam)