Netzneutralität: EU-Regulierer schließen "Nulltarife" bei Zero Rating klarer aus

Die europäischen Regulierungsbehörden haben ihre Leitlinien für ein offenes Internet überarbeitet. Für Tarifoptionen wie "Stream On" bleibt kein Spielraum mehr.

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(Bild: Graphics Master/Shutterstock.com)

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Für das umstrittene Zero Rating, bei dem Mobilfunkanbieter den Datenverkehr bestimmter Dienste nicht auf das im Tarif enthaltene Volumen anrechnen und so eigene Angebote oder die von Partnern bevorzugt behandeln können, wird der Spielraum in der EU deutlich enger. Das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (Gerek) schließt diese seit Jahren umstrittene Praxis nun klarer aus, verbietet sie aber nach wie vor nicht völlig.

Das auch als Berec (Body of European Regulators for Electronic Communications) bekannte Gremium hat dazu seine Leitlinien für ein offenes Internet aus 2016 überarbeitet und dabei die Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu "Nulltarif"-Optionen deutscher Netzbetreiber berücksichtigt. Die Luxemburger Richter entschieden damit, dass Zero Rating-Optionen wie "Stream On" der Deutschen Telekom und "Vodafone Pass" mit dem im EU-Recht verankerten Grundsatz der Gleichbehandlung des Datenverkehrs unvereinbar sind.

Das Gerek erläutert dazu in seiner neuen Orientierungshilfe zur EU-Verordnung für die Netzneutralität: Der EuGH habe festgestellt, dass eine "Nulltarif"-Option "eine Unterscheidung innerhalb des Internetverkehrs auf der Grundlage kommerzieller Erwägungen vornimmt, indem sie den Verkehr mit Partneranwendungen nicht auf das Basispaket anrechnet". Diese Unterlassung bleibe unabhängig davon bestehen, "ob es möglich ist, nach Verbrauch des Grundpakets weiterhin frei auf die von den Partnern des Internetzugangsanbieters bereitgestellten Inhalte zuzugreifen".

Ein preisgestaffeltes Angebot, bei dem alle Anwendungen jenseits der im "Nulltarif" eingeschlossenen blockiert oder verlangsamt werden, sobald die Datenobergrenze erreicht ist, werten die EU-Regulierer so als zweifachen Verstoß gegen die gesetzlichen Vorgaben zum Verkehrsmanagement: Dabei liege zum einen eine "technische Diskriminierung" vor. Andererseits stelle eine Preisdifferenzierung, die nicht anwendungsunabhängig ist, "eine nicht-technische Ungleichbehandlung des Verkehrs dar und würde zur Unzulässigkeit des gesamten Angebots führen".

Laut dem Gerek ist ferner eine Praxis untersagt, "bei der ein Internetdienstanbieter den Zugang zu bestimmten Inhalten, einer oder mehreren Anwendungen (oder Kategorien davon) blockiert, verlangsamt, einschränkt, stört, verschlechtert oder diskriminiert". Zu dieser Regel gebe es nur wenige Ausnahmen. Auch Angebote, bei denen der Internetzugang "auf eine begrenzte Anzahl von Anwendungen oder Endpunkten beschränkt wird", seien nicht statthaft.

Anders als bei unzulässigen "Nulltarif"-Optionen und ähnlichen Modellen "gibt es differenzierte Preisgestaltungspraktiken, die typischerweise zulässig sind", erläutern die Experten aber auch. Voraussetzung dafür sei, dass "alle Elemente des Tarifs anwendungsunabhängig sind". Als Beispiele für solches legitimes Zero Rating nennen sie etwa "anwendungsspezifische Angebote, bei denen der Datenverbrauch während eines bestimmten Zeitraums" etwa während des Wochenendes oder außerhalb der Spitzenzeiten nicht auf die allgemeine Datenobergrenze des Tarifs angerechnet oder anders bepreist werde.

Entscheidend dabei sei, dass "der gesamte Datenverkehr gleich behandelt wird und keine bestimmte Anwendung oder Kategorie" davon bevorzugt werde, heißt es weiter. Abgestufte Tarife mit verschiedenen Qualitätsmerkmalen für Parameter wie Geschwindigkeit, Latenz, Jitter und Paketverlust, Volumina, Vertragslaufzeiten und Pakete mit oder ohne subventionierte Geräte blieben ebenfalls zulässig. Dies gelte auch für anwendungsneutrale Tarifpläne für eine breite Öffentlichkeit wie alle Verbraucher oder eine bestimmte Zielgruppe wie Jugendliche, Schüler, Studenten und Senioren.

Ursache der Auseinandersetzungen zwischen Verbraucherschützern und Mobilfunkern: Die EU-Verordnung für ein offenes Internet ist nicht wasserdicht und öffnet breite Hintertüren für Spezialdienste, mautpflichtige "Überholspuren" und Zero Rating. Schon laut den ersten Gerek-Leitlinien dazu sollte Providern eigentlich kein großer Spielraum mehr für Preisdiskriminierungen einschließlich Zero Rating bleiben. Wenn damit nur einzelne Applikationen begünstigt würden, verstoße dies gegen die Nutzerrechte, befanden die Regulierer schon 2016. Anders sei es, hatten sie damals noch erklärt, wenn eine ganze Anwendungskategorie wie sämtliches Videostreaming nicht angerechnet werde.

Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur (BNetzA), begrüßte die insgesamt deutlich angewachsene Orientierungshilfe: Das Gerek sichere damit das offene Netz, was auch der hiesigen Regulierungsbehörde helfen werde, die Netzneutralität zu gewährleisten. Die BNetzA hatte die auf dem deutschen Markt befindlichen Zero Rating-Optionen bereits Ende April mit Übergangsfristen untersagt. Vodafone brachte daraufhin Anfang Mai ein neues Mobilfunk-Portfolio auf den Markt, die Telekom zog einen Monat später nach. Beide Betreiber bieten ihren Kunden nun Tarife mit höheren Datenvolumina an. Der frühere Verbraucherschützer Müller sieht sich damit in seiner Kritik an Zero Rating bestätigt.

Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz erinnerte gegenüber heise online daran, dass die EU-Kommission eine Pflicht für US-Plattformen wie Amazon, Apple, Google, Meta, Microsoft und Netflix plane, Geld für den Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur und den von ihnen produzierten Datenverkehr beizusteuern. Damit würde sie "die in der Vergangenheit gemachten Fehler" rund um die Netzneutralität wiederholen. Umso wichtiger sei es, dass die EU-Regulierer "die Vorgaben des EuGH entschlossen umsetzen und eine echte Netzneutralität sicherstellen". Die Kommission sollte ihren Teil dafür leisten, "das Urprinzip eines demokratischen und innovationsfreundlichen" Internets hochzuhalten.

Bei den in der vorausgegangenen Konsultation aufgebrachten Aspekten von 5G und Netzinvestitionen ist das Gerek der Ansicht, dass die Verordnung über das offene Internet erheblichen Spielraum für die Einführung neuer Mobilfunktechnologien lässt. Es stellt angesichts Bedenken von Bürgerrechtlern klar, dass die neue Funktion Network Slicing grundsätzlich mit der Netzneutralität vereinbar sei. Jede Schicht kann dabei verschiedene Qualitätsmerkmale aufweisen, eine also etwa mit hohen Übertragungsraten auf Streaming, eine andere mit geringer Latenz auf Online-Spiele ausgerichtet sein. Auch angesichts des stärkeren Aufkommens von IPv6 und möglicher Zusatzfunktionen halten die Regulierer derzeit keine Änderungen an der Richtlinie für nötig.

(bme)