Computer-Schnittstelle für Insekten: Heuschrecken-Hirn detektiert Krebs

Ein "Cyborg" aus Insekt und Computer kann Krebszellen von gesunden unterscheiden, demonstrieren Wissenschaftler an der Michigan State University.

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Heuschrecke, hier nicht ferngesteuert.

(Bild: Charles J. Sharp / Wikipedia / cc-by-sa.40)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Jessica Hamzelou
Inhaltsverzeichnis

Heuschrecken haben hervorragende Riecher in ihren Fühlern. Diese lassen sich nun auch als Sensor nutzen – nämlich, indem man ein "Cyborg"-Insekt schafft. Wie das konkret umgesetzt werden kann, hat nun eine US-Forschergruppe demonstriert.

Die Tiere können bereits jetzt im Labor die verräterischen Anzeichen von menschlichem Krebs erkennen, wie eine neue Studie zeigt, der bislang allerdings noch das Peer-Review fehlt. Das Team, das hinter dieser Arbeit steht, hofft, dass sie eines Tages zu einem auf Insekten basierenden Atemtest führen könnte, der in der Krebsvorsorge eingesetzt werden kann. Alternativ will man von der Heuschrecke lernen, um den Test dann künstlich nachzubauen.

Anderen Tieren wurde bereits beigebracht, Anzeichen dafür zu erkennen, dass Menschen krank sind. So können beispielsweise Hunde darauf trainiert werden, zu erkennen, wenn der Blutzuckerspiegel ihrer Besitzer abfällt oder wenn diese an Krebs, Tuberkulose, COVID-19 oder sogar Rinderwahn erkranken.

In allen Fällen geht man davon aus, dass die Tiere chemische Stoffe wahrnehmen, die der Mensch durch seinen Körpergeruch oder seinen Atem abgibt. Die Zusammensetzung dieser volatilen organischen Substanzen (VOCs) kann je nach Stoffwechsel des Menschen variieren, der sich vermutlich verändert, wenn wir krank werden. Aber Hunde sind teuer in der Ausbildung und Pflege. Und die Herstellung eines Geräts, das die Nase eines Hundes nachahmt, hat sich bislang als äußerst schwierig erwiesen, meint Debajit Saha, einer der beteiligten Wissenschaftler.

"Die Veränderungen im Geruch bewegen sich fast im Promillebereich", sagt Saha, der an der Michigan State University im Bereich Neural Engineering tätig ist. Das macht es schwer, sie selbst mit modernsten Technologien zu erkennen. Aber Tiere haben sich in der Evolution so entwickelt, dass sie solche subtilen Veränderungen in Düften interpretieren können. Heuschrecken sind in ihrer Domäne besonders gut – und einfach zu halten. Daher beschlossen er und seine Kollegen, ein Insektengehirn zu "kapern".

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Die Heuschrecken wurden in den letzten Jahren zudem weitläufig erforscht, was mögliche Gehirnschnittstellen angeht. In einem ersten Versuch legten sie das Gehirn einer lebenden Heuschrecke chirurgisch frei. Saha und seine Kollegen setzten dann Elektroden in die Hirnlappen ein, die Signale von den Fühlern der Insekten empfangen, mit denen sie Gerüche wahrnehmen.

Das Team züchtete dann drei verschiedene Arten menschlicher Mundkrebszellen im Labor – sowie menschliche Mundzellen, die frei von Krebs waren. Mit einer Absaugeinrichtung fingen sie die von den einzelnen Zelltypen abgegebenen Gerüche ein und leiteten sie an die Fühler der Heuschrecken weiter.

Die Gehirne der Insekten reagierten auf jeden der Zelltypen unterschiedlich. Die aufgezeichneten Muster der elektrischen Aktivität waren so unterschiedlich, dass das Team, als es den Geruch eines Zelltyps auf die Fühler pustete, allein anhand dieser Aufzeichnung korrekt erkennen konnte, ob die Zellen krebsartig waren. Es ist das erste Mal, dass ein lebendes Insektenhirn als Instrument zur Krebserkennung getestet wurde, sagt Saha.

Natalie Plank, die an der Victoria University of Wellington in Neuseeland Gesundheitssensoren auf der Basis von Nanomaterialien entwickelt, hält die Arbeit für "super cool". "Die Möglichkeit, einfach etwas auszuatmen und dann zu wissen, ob man ein Krebsrisiko hat, ist wirklich beeindruckend", sagt sie.

In dem Experiment nahm das Team Gehirndaten von mehreren Heuschrecken auf und kombinierte deren Reaktionen. Derzeit sind Aufzeichnungen von 40 Neuronen erforderlich, um ein klares Signal zu erhalten, was bedeutet, dass das System zwischen sechs und zehn Heuschreckengehirne benötigt, um verlässlich zu arbeiten. Saha hofft jedoch, Elektroden verwenden zu können, die die Signale von mehr Neuronen gleichzeitig aufzeichnen können, was es ihm ermöglichen würde, Aufzeichnungen aus dem Gehirn einer einzigen Heuschrecke zu nutzen. Er hofft auch, das Insektenhirn samt Fühler in ein tragbares Gerät einbauen zu können, das dann an echten Menschen getestet werden kann.

James Covington, ein Ingenieur, der an der University of Warwick im Vereinigten Königreich Sensoren zur Krankheitserkennung entwickelt, ist allerdings nicht davon überzeugt, dass ein solches Gerät jemals in Krebskliniken eingesetzt werden wird. "Wissenschaftlich gesehen ist es wirklich interessant", sagt er. "Aber es gibt so viele Herausforderungen, bis etwas für die Krebsvorsorge zugelassen werden kann."

Eine weitere ungeklärte Frage ist, ob sich Menschen beim Einsatz von Insekten wohlfühlen – aus ethischen Gründen. Honigbienen, die darauf trainiert sind, Sprengstoff aufzuspüren, werden in der Regel anschließend wieder freigelassen, so Covington. "Die Bienen dürfen dann wieder ein schönes Leben führen", sagt er. Aber für die Heuschrecken wäre der "Job" eben eine einmalige Sache.

Saha sagt, dass man davon ausgeht, dass Heuschrecken keinen Schmerz empfinden und daher keine Betäubung benötigen. Einige Forschungsergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass die Tiere die Dinge wahrnehmen, die wir als "schmerzhaft" empfinden würden, und Vermeidungsreaktionen zeigen. Sie entwickeln nach einer Verletzung eine "dauerhafte Empfindlichkeit", ähnlich wie bei chronischen Schmerzen. "Das Insekt ist tot, was seine Körperfunktionen angeht", betont Saha. "Wir halten nur noch sein Gehirn am Leben."

Wenn das Team herausfinden könnte, welche Rezeptoren auf den Fühlern der Insekten für die Krebserkennung am wichtigsten sind, könnten sie vielleicht im Labor eigene Varianten davon herstellen und diese stattdessen verwenden, sagt Expertin Plank. In ihrer eigenen Forschung verwendet sie im Labor hergestellte Proteine, die die Rezeptoren von Fruchtfliegen nachahmen. "Langfristig gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie sich das Verfahren zu einem Massenscreening entwickeln könnte", sagt sie.

(jle)