Kakaofreie Schokolade: Firmen haben neue Rezepturen

Unternehmen wollen die Nachteile des Kakao-Anbaus vermeiden und den CO₂-Fußabdruck verringern. Deshalb arbeiten sie an alternativen Zutaten und Produktionen.

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Die kakaofreien Schoko-Taler des britischen Start-ups WNWN Food Labs.

(Bild: WNWN Food Labs)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
Inhaltsverzeichnis

Schokolade hat eine dunkle Seite, die nicht von ihrer Farbe herrührt. Es hat vielmehr damit zu tun, dass ihr Genuss mit Kinder- und Sklavenarbeit sowie großflächiger Waldabholzung für den Kakaopflanzenanbau erkauft wird, sagt das britische Start-up WNWN Food Labs. Die Gründer Ahrum Pak und Johnny Drain haben sich deshalb der Entwicklung von kakaofreier Schokolade verschrieben. Ihre erstes Produkt, die in gerade mal anderhalb Jahren entwickelten Schokotäfelchen namens "Chocolate Thins", kamen im Juni dieses Jahres in limitierter Ausgabe auf den britischen Markt und war schnell ausverkauft.

Die Hürde für neue Produkte, einen gewohnten Geschmack und die damit verbundene emotionale Erwartung mit neuen Inhaltsstoffen zu treffen, ist hoch. Die Verkostung in der Familie der Autorin könnte einen – nicht ganz repräsentativen, aber ziemlich weiten – Querschnitt der möglichen Reaktionen auf die neue, kakaofreie Schokolade zeigen. Sie reichten vom "überraschend gut" der Autorin über einige "okay" bis zum "mag ich nicht" des jüngsten Testers, der nach einem halben Täfelchen den Rest zurückgab.

Die Chocolate Thins schmecken durchaus schokoladig, wie bei einem hohen Kakaogehalt leicht säuerlich und erinnern zum Schluss leicht an geröstetes Getreide. Mehrere Tester schmeckten Kaffeenoten heraus. Die Konsistenz bei Zimmertemperatur ist weicher, Toffee-artiger als die knackige Festigkeit von Schokolade. Bei einer Blindverkostung wäre möglicherweise nicht allen aufgefallen, dass die Täfelchen keinen Kakao enthalten.

WNWN Food Labs entstand, als die eigentlich im Londoner Finanzsektor tätige Pak während der Pandemie beschloss, ihrer Passion für eine nachhaltigere, weniger Abfall verursachende Lebensmittelproduktion zum Beruf zu machen. Auf dieses Ziel spielt auch der Firmenname WNWN an, der für "Waste not, want not" (Spare in der Zeit, so hast Du in der Not) steht. Über ihr Kontaktnetzwerk fand Pak schließlich Drain, der sich nach seinem Chemie- und Materialwissenschaftsstudium auf Fermentierung spezialisiert und unter anderem im "Nordic Food Lab", einer Art Spin-off des Kopenhagener Szene-Restaurants Noma neuen Buttersorten entwickelt hatte.

Das Gründer-Paar von WNWN Food Labs Ahrum Pak und Johnny Drain.

(Bild: Caitlin Isola)

Auslöser für die Idee, als erstes die problematische Schokoladenrezeptur auf nachhaltig anbaubare Zutaten umzustellen, war Drains feine Nase. Er hatte einmal bei der Suche nach Essen im Haus seiner Eltern nur Kartoffeln gefunden und bei ihrem Kochen an Schokolade erinnernde Duftnoten bemerkt. Hinzu kam, dass "es in letzter Zeit in der Lebensmitteltechnologie-Szene eine Bewegung gab, das traditionelle Fermentieren auf andere Produkte zu übertragen kann", sagt Pak.

Für die klassische Schokoladenherstellung werden die Kakaobohnen zuerst fermentiert, getrocknet und geröstet. Durch das anschließende Mahlen entsteht Kakaomasse, der für dunkle Schokolade Zucker und für Milchschokolade auch Sahne oder Milch zugemischt werden. Zum Schluss kommt etwas von der zuvor entfernten Kakaobutter hinzu.

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Um das Geschmacksprofil von Kakao und Schokoladen zu erzeugen, arbeitet WNWN Food Labs mit lokalen Zutaten wie Gerste und Johannisbrotkernmehl (Karob). "Gerste wird seit Hunderten von Jahren für Bier und Whisky verwendet und Karob-Bäume wachsen von Griechenland bis Portugal", sagt Drain. Genauere Details darüber, wie sie beim Verarbeiten dem Schokoladenaroma nahezukommen versuchen, wollen die Gründer nicht verraten. Nur so viel: Das Fermentieren, Rösten und weitere Verarbeiten sei dem von Schokolade sehr ähnlich.

Besser als beim Original sei aber der CO₂-Fußabdruck der Herstellung. Pro Kilogramm Schokolade fielen 19 Kilogramm CO₂ an, bei WNWN aber nur vier. Nach den Täfelchen sollen als nächstes Schokoriegel folgen. Auch Pralinen und Gianduja-Schokolade mit Nuss seien schon möglich. Preislich werden die Produkte im Premium-Segment liegen, sagt Pak.

Kakaofreie Schokoladen entwickelt auch das deutsche Unternehmen "Planet A Foods" (umbenannt von vormals QOA Company) aus München. Der Antrieb des Gründer-Geschwisterpaars Sara und Maximilian Marquart, die aus der Lebensmittelchemie und den Materialwissenschaften kommen, war nicht nur die oft fehlende Nachhaltigkeit beim Kakaoanbau. "Der Schokoladenkonsum steigt, gleichzeitig nimmt aber der Kakao-Ertrag ab. Dadurch werden wir potenziell eine Kakao-Knappheit und damit eine Preissteigerung bekommen", sagt Geschäftsführer Maximilian Marquart. Ein Ersatz für Kakao würde also früher oder später benötigt.

Die beiden Gründer von "Planet A Foods" Sara und Maximilian Marquart.

(Bild: Planet A Foods)

Zuerst nahm "Planet A Foods" per gaschromatografischen Analysen des klassischen Herstellungsprozesses unter die Lupe. "Wir haben geschaut, wann welche aromagebenden Substanzen entstehen. Dann haben wir versucht, das zu rekonstruieren", erzählt Marquart. Die ersten Versuche führte er gemeinsam mit seiner Schwester mit einem Küchen-Thermomix-Gerät in seiner eigenen Küche durch. "Es eignet sich tatsächlich auch gut als Laborgerät, weil es rühren, die Temperatur relativ gut halten und damit reproduzierbare Ergebnisse liefern kann", erinnert er sich. "Am Anfang in der Produktentwicklung liefen bei mir in der Küche Tag und Nacht acht Thermomixe, um verschiedene Rezepturen auszuprobieren."

Beim Hochskalieren kam dann eine professionelle Produktionsausrüstung hinzu. Die Rezeptur fußt auf fermentiertem Getreide, unter anderem etwa Hafer. Details über weitere Zutaten, den neuen Fermentationsprozess und wie er an den industriellen Produktionsmaßstab angepasst wurde, darf der Gründer nicht verraten.

Das Team holte sich auch eine professionelle Chocolatière als Partnerin mit an Bord. "Wir hatten festgestellt, dass wir zwar sehr gut darin waren, Schokoladenmassen herzustellen, aber die Produkte echt grausam sind. Wir brauchten Expertise, wie wir etwa für den richtigen Schmelz sorgen und wie wir Riegel, Pralinen und andere Produkte wie Chocolate Chip Cookies machen können", sagt Marquart.

Verkostungs-Set von Planet A Foods.

(Bild: Planet A Foods)

Die überarbeitete Rezeptur überzeugte anschließend bei einer Verkostung sogar Lebensmittel-Experten. Nach einem ersten Markttest mit Pralinen im letzten September sollen nun weitere neue Produkte entstehen, die sich nicht nur auf klassische Schokoladen-Formate beschränken. "Wir wollen zum Beispiel in den Bereich Kekse, Füllungen und Überzüge hinein", so der Gründer. Darüber hinaus kooperiert das Start-up mit lokalen Eisdielen und veranstaltet im August in München erste Schokoladeneis-Verkostungen.

"Jährlich konsumieren wir weltweit ungefähr 8,316 Millionen Tonnen Speiseeis und Schokolade ist Studien zufolge unsere liebste Geschmacksrichtung. Um diesen Bedarf zu decken, brauchen wir rund 45.000 Tonnen Kakaopulver mit einem geschätzten CO₂-Fußabdruck von 205.690 Tonnen. Unsere Schokolade erzeugt einen CO₂-Fußabdruck von nur etwa 85.330 Tonnen", sagt Technikvorstand Sara Marquart. Das entspricht einer Einsparung von 60 Prozent. "Bei purer Schokolade schaffen wir bereits 80 Prozent Reduktion", ergänzt Maximilian Marquart.

(jle)