SPD-Politiker Gabriel für längere Wochenarbeitszeit: "75 Prozent reichen nicht"

Der frühere SPD-Chef und Außenminister Sigmar Gabriel findet, die Deutschen sollten länger arbeiten. Das löse das Problem des Fachkräftemangels und der Rente.

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(Bild: Kovalevich28/Shutterstock.com)

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Der ehemalige SPD-Vorsitzende und frühere Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat sich für eine verlängerte Wochenarbeitszeit in Deutschland ausgesprochen. Damit ließen sich nicht nur die Einkommen anheben, sondern die Wirtschaft könnte so ihren Fachkräftemangel angehen. In einem Interview mit "Bild am Sonntag" fragte Gabriel: "Wollen wir Menschen nicht lieber wieder mehr verdienen lassen, indem wir etwas länger arbeiten?"

Diese Frage, sagte Gabriel weiter, müsse man in Tarifverhandlungen klären. Schließlich sei allein mit Zuwanderung das Fachkräfteproblem nicht zu lösen. Gabriel schließt sich mit diesen Aussagen der Position des Präsidenten des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm an. Dieser hatte sich kürzlich für eine 42-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ausgesprochen, weil wegen des baldigen Renteneintritts der geburtenstarken Jahrgänge die Arbeitskräfte und damit auch die Einzahlungen in die Rentenkasse knapp würden. Dem hatte sich auch Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) angeschlossen. Die höhere Wochenarbeitszeit sei laut Russwurm auch leichter durchzusetzen als eine Rente mit 70.

Gabriel bekräftigte im Interview, Russwurm habe berechtigterweise darauf hingewiesen, dass vor etwa 25 Jahren die Wochenarbeitszeit wegen der hohen Arbeitslosigkeit gesenkt worden sei. Heute jedoch sei das Problem genau entgegengesetzt: "Uns fehlen Menschen für die Arbeit, weil die Babyboomer in Rente gehen und danach der Pillenknick kommt", sagte Gabriel.

Der ehemalige Chef der SPD sowie frühere Bundesaußen-, -umwelt- und -wirtschaftsminister sagt Deutschland ein Jahrzehnt großer Belastung voraus: Man werde um massive Anstrengungen in den nächsten Jahren nicht herumkommen, sonst hinterlasse man den eigenen Kindern nichts als einen riesigen Schuldenberg. Für seine Forderung nach verlängerten Arbeitszeiten sieht er zudem Rückhalt in der Bevölkerung, denn die "allermeisten in unserem Land sind durchaus bereit anzupacken, sie brauchen aber wieder mehr Gewissheit, dass es sich auch wieder mehr lohnt", betonte er.

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Jedoch verhindere eine gewisse Lethargie der Deutschen, diese Bereitschaft auch auszuleben, sagte der heutige Vorsitzende des Vereins Atlantik-Brücke. Die Deutschen hätten sich ja inzwischen oftmals damit abgefunden, zu einer Art 75-Prozent-Gesellschaft zu werden, erklärte Gabriel – "75 Prozent Pünktlichkeit der Bahn, 75 Prozent Impfquote, 75 Prozent Arbeitszeit und manchmal sogar nur 75 Prozent Unterrichtsversorgung an Schulen." Gabriel liefert auch einen Grund dafür, warum 75 Prozent nicht genügten: Deutschlands Wirtschaft konkurriere mit anderen Gesellschaften, die "150 Prozent leisten" wollten.

Außerdem sprach sich Gabriel dafür aus, statt "kleinteilige Sozialprogramme" zu verfolgen, besser die "arbeitende Mitte" zu entlasten. Dieser Teil der Bevölkerung schaffe täglich die Voraussetzungen dafür, dass Deutschland wirtschaftlich erfolgreich sei, beziehe dafür aber oft zu niedrige Einkommen. Zuschüsse für Menschen mit wenigen oder keinen Chancen am Arbeitsmarkt seien hingegen keine nachhaltige Antwort auf die Belastung durch den Arbeitskräftemangel.

Fachkräftemangel

(tiw)