Debatte über Entlastungen: Grünen-Chef will Reform des Dienstwagenprivilegs

Der Druck auf die Koalition steigt, weitere Entlastungen zu beschließen. Die Grünen schlagen vor, klimaschädliche Subventionen zu streichen: beim Dienstwagen.

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(Bild: Patrick Daxenbichler/Shutterstock.com)

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Die weiterhin hohe Inflation und besonders die stark steigenden Energiepreise belasten Privatpersonen und Unternehmen in Deutschland – und die Bundesregierung diskutiert fortgesetzt über mögliche Entlastungen. Beim dritten "Entlastungspaket", das voraussichtlich im September beschlossen werden soll, treffen unterschiedliche Vorstellungen aufeinander und von den Grünen kommt die Idee, zur Finanzierung von Entlastungen klimaschädliche Subventionen zu streichen, allen voran die Reform des Dienstwagenprivilegs.

Grünen-Chef Omid Nouripour hat zur Finanzierung zusätzlicher Entlastungen für die Bürger so einen Abbau klimaschädlicher Subventionen ins Spiel gebracht. "Man muss bei der Finanzierung der Entlastungsmaßnahmen auch über den Abbau klimaschädlicher Subventionen reden. Eine Reform des Dienstwagenprivilegs ist überfällig", sagte Nouripour der Deutschen Presse-Agentur.

"Wir müssen solche Förderungen gezielt umweltfreundlich gestalten. Zwei Drittel der privilegierten Dienstwagen sind Autos mit mehr als 200 PS." Es gehe darum, Klimaeffekte in die Dienstwagenbesteuerung einzubauen, und um Anreize für emissionsfreie Autos.

Wer seinen Firmenwagen auch privat nutzen kann, hat einen sogenannten geldwerten Vorteil, der versteuert werden muss. Wird kein Fahrtenbuch geführt, liegt die Besteuerung bei monatlich pauschal einem Prozent des Bruttolistenpreises des Fahrzeugs. Laut Umweltbundesamt liegt der tatsächliche geldwerte Vorteil für den Nutzer aber häufig deutlich höher. Demnach entgehen dem Staat dadurch Steuern von mindestens drei Milliarden Euro jährlich. Umweltverbände fordern seit langem eine Reform des steuerlichen Dienstwagenprivilegs. Im Grünen-Wahlprogramm heißt es, die Dienstwagenbesteuerung solle sozial-ökologisch umgestaltet werden.

"Die Frage ist grundsätzlich, ob die deutsche Automobilindustrie weltmarktfähig bliebe, mit einem Geschäftsmodell, das in erster Linie auf große Verbrenner setzt, die ganz viel CO₂ ausstoßen", sagte Nouripour. "Es ist Zeit für ein Umdenken, schnellstmöglich und das tun die Firmen ja auch." Manche Parteien täten so, als seien sie auf der Seite der Autoindustrie. Dabei seien sie allenfalls die Schutzpatrone der Vergangenheit. Es sei bedauerlich, dass das attraktivste Elektroauto derzeit von Tesla gebaut werde und nicht von den deutschen Autobauern. Das müsse sich ändern. "Es gibt in den Unternehmen ein Umdenken. Aber das muss auch politisch begleitet werden."

Nouripour sagte zu den steigenden Energiepreisen, parallel zur Gasumlage brauche es gezielte Entlastungen. "Das heißt, wenn die Gasumlage wirkt, müssen die Menschen wissen, mit welchen Maßnahmen sie rechnen können. Wir werden nicht die gesamte Belastung auffangen können." Es brauche ein Entlastungspaket mit gezielten Maßnahmen für kleine und mittlere Einkommen.

Die staatliche Gasumlage ab Oktober verteuert die Gasrechnungen. Mit der Gasumlage können Importeure ab Oktober wegen der starken Drosselung russischer Gaslieferungen Beschaffungskosten an die Verbraucher weitergeben.

Zur Finanzierung eines neuen Entlastungspakets sprach sich der Grünen-Chef auch für eine Übergewinnsteuer aus. "Krisenbedingt hohe Firmengewinne berühren das Gerechtigkeitsempfinden vieler Menschen. Es gibt Staaten in der Europäischen Union, die bereits eine Übergewinnsteuer eingeführt haben. Spanien nutzt die Einnahmen übrigens zur Finanzierung eines kostenlosen ÖPNV", sagte Nouripour. Bei einem Entlastungspaket gebe es etliche Elemente, über die man diskutieren müsse – "von der Wohngeldreform über die Erhöhung des Kindergeldes oder eine Neuauflage der Energiepreispauschale".

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Nouripour stellte die Einhaltung der Schuldenbremse im kommenden Jahr in Frage. "In Zeiten einer anhaltenden Pandemie und eines Krieges mit all den Folgen, die er mit sich bringt, muss man mehr Geld in die Hand nehmen, als es uns die Schuldenbremse bisher ermöglicht." Es seien außerdem massive Investitionen notwendig für den in den letzten Jahren "verschlafenen Umbau" der Gesellschaft beim Klimaschutz und bei der Digitalisierung.

Die Debatte rund um das geplante dritte "Entlastungspaket" zur Dämpfung der Folgen der hohen Inflation hat am Wochenende auch weitere Ideen hervorgebracht. Entscheidend sei, dass an der Debatte über die Entlastungen auch diejenigen beteiligt würden, die am stärksten betroffen seien, sagte etwa die Vizepräsidentin des Sozialverbands Deutschland, Ursula Engelen-Kefer. "Genau deshalb erwarten wir, dass der Bundeskanzler schnell zu einem Sozialgipfel einlädt", fügte sie hinzu. In einer "so dramatischen Situation" müsse man auch dringend über das zeitweilige Aussetzen der Schuldenbremse und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer sprechen. Beides lehnt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) bislang ab.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) räumte in einem am Samstag veröffentlichten Interview des Deutschlandfunks ein: "Richtig ist, dass jenseits der Transferempfänger es in Deutschland gar nicht so einfach ist, schnell zielgenau zu entlasten." Eine Maßnahme wie die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) diese Woche angekündigte geplante Absenkung der Mehrwertsteuer auf Erdgas von bisher 19 auf 7 Prozent sei nicht so zielgenau wie andere Maßnahmen." Deswegen brauche es ein Gesamtpaket. Dafür müsse der Blick auf diejenigen gerichtet werden, "die es besonders brauchen".

DGB-Chefin Yasmin Fahimi forderte die Bundesregierung zu spürbaren Entlastungen auf, nicht nur für sozial Bedürftige. Die Maßnahmen müssten in der Breite spürbar sein, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Die Regierung könne zwar keine "große Käseglocke" über alle stülpen. Doch der Druck zur Entlastung bei den Energiekosten bleibe hoch. Nötig sei "eine genauere Debatte" darüber, wer wie stark entlastet werde. Auch viele Menschen mit niedrigen Jahreseinkommen oder kleinen Renten hätten keine Reserven.

Die wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Julia Klöckner (CDU) sagte der Mediengruppe Bayern (Samstag), nach der Entscheidung über die Senkung der Mehrwertsteuer auf Erdgas müsse die Regierung nun auch an Unternehmen denken, die angesichts hoher Energiepreise befürchten müssten, nicht mehr mit Angeboten aus dem Ausland mithalten zu können. "Arbeitsplätze werden abgebaut, Lieferketten und der Industriestandort Deutschland sind in Gefahr", warnte Klöckner. Sie erwarte von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), "dass er für die Unternehmen, die auf wettbewerbsfähige Energiepreise angewiesen sind, wirksame Maßnahmen ergreift". Dazu gehörten "die Absenkung der Stromsteuer" sowie Maßnahmen für einen niedrigeren Industriestrompreis.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr forderte Habeck auf sicherzustellen, dass die Mehrwertsteuersenkung beim Gas auch an die Verbraucher weitergegeben wird. In der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag) sprach sich Dürr zudem gegen weitere Entlastungen aus. Die Spielräume des Bundeshaushalts seien "begrenzt".

(tiw)