ITU-Funktionär rechtfertigt Chinas Vorpreschen bei Normen und Standards

Malcolm Johnson, Vize-Generalsekretär der ITU, will die Politik aus technischen Organisationen raushalten. Doch es droht ein Showdown zwischen Ost und West.

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Wehende Flaggen Chinas und der USA

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

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Der Vormarsch chinesischer Akteure in Normungs- und Standardisierungsorganisationen, der vielen Beobachtern im Westen Sorge bereitet, beunruhigt den scheidenden Vize-Generalsekretär der Internationalen Fernmeldeunion (International Telecommunication Union, ITU), Malcolm Johnson, nicht. Chinas zunehmendes Engagement sei prinzipiell eine "gute Sache", erklärte der britische Regierungsvertreter am Mittwoch bei einer Videokonferenz, die der Multilaterale Dialog Genf der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) organisierte.

Die Aktivitäten chinesischer Abgesandter hätten auch bei der ITU deutlich zugenommen, konstatierte Johnson zwar. Noch vor 15 Jahren hätten aber die USA, Japan, Südkorea und Europa dort neue Vereinbarungen über Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) mehr oder weniger allein vorangetrieben. Die ITU habe in Folge eine internationale "Kluft" in Standardisierungsfragen ausgemacht und vereinbart, diese so gut wie möglich zu schließen.

"Wir wollten die Entwicklungsländer stärker einbeziehen", betonte Johnson. Die über 190 Mitgliedsstaaten der UN-Sonderorganisation verstünden die Welt der Standards nur, wenn sie diese mitentwickelten und implementierten. Alle Nationen, und vor allem die bei der ITU ebenfalls zugelassenen nationalen Firmenvertreter, wollten zwar ihre eigene Technik vorantreiben. Letztlich werde bei dem Weltnachrichtenverein das meiste aber nach Konsensprinzip entschieden, sodass alle Seiten Kompromisse machen müssten. Schließlich entscheide dann der Vorsitzende einer Arbeitsgruppe.

Die kommunistische Regierung in Peking versucht laut einer jüngst veröffentlichten Studie mit einigen Vorschlägen, "Normung als Instrument zur Förderung von Technik zu missbrauchen, die demokratische Werte und Menschenrechte in Frage stellen". Die Forscher verweisen dabei auf die – noch recht vage – Initiative des Netzausrüsters Huawei auf ITU-Ebene für ein neues Internet-Protokoll unter dem Titel "New IP", mit dem China sein Modell des staatlich kontrollierten Netzes inklusive Massenüberwachung und Filter salonfähig machen könnte.

Ein Dorn im Auge ist europäischen Normungsexperten auch die Vielzahl von Standardisierungsaktivitäten Chinas auf allen Ebenen mit Top-Down-Strukturen und klaren politischen Zielen, die auf begrenzte Ressourcen in diesem Bereich und einen Graswurzelansatz im Westen träfen. Bei der ITU hat China bereits mehr führende Positionen inne als die USA. Johnson hat damit kein Problem: Die Leute müssten solche Stellungen einnehmen wollen, was freiwillig sei. Einige Unternehmen bemühten sich offenbar stärker als andere, ihre Interessen zu forcieren.

"Alle Mitglieder können einen Standard vorschlagen", erläuterte der 75-Jährige. Jede Firma habe unabhängig von ihrer Größe die gleiche Chance, was entscheidend sei für den Erfolg der ITU. Nötig sei dann aber möglichst breite Unterstützung, da nur die ganze Gruppe eine Norm voranbringen könne. Das Zusammenspiel sei entscheidend, da es auch um wichtige Entscheidungen wie Vereinbarungen zur weiteren Nutzung des Funkspektrums gehe. Käme es hier zu keiner Einigung, "würde es chaotisch" und jeder verlöre am Ende. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, wie abhängig die Welt von Internet-Technik wie Videokonferenzsystemen sei.

Malcolm Johnson, stellvertretender Generalsekretär der International Telecommunication Union (ITU). Seine Amtszeit läuft mit Jahresende aus.

(Bild: Screenshot)

Die 1865 gegründete ITU war verantwortlich für viele Durchbrüche, beispielsweise bei Satellitenkommunikation und Mobilfunk. Eines ihrer aktuellen Kernanliegen ist es, das Internet für alle erschwinglich zu machen und den digitalen Graben zu schließen. Spätestens seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar sind die Zeiten für multilaterale Kooperation besonders schwer geworden.

Just in diese Periode fällt nun die Wahl einer neuen ITU-Führungsspitze, für die die Mitglieder ausnahmsweise die Hand heben müssen. Das Rennen wird mit Raschid Ismailow und Doreen Bogdan-Martin auch noch zwischen einem Kandidaten der Russischen Föderation und einer Nominierten der Vereinigten Staaten von Amerika ausgetragen. Bogdan-Martin ist derzeit Direktorin des ITU-Büros für Telekommunikationsentwicklung. Ismailow war früher unter anderem Manager bei Huawei sowie stellvertretender Kommunikationsminister der Russischen Föderation. Alle Zeichen deuten auf eine Art Protokoll- und Stellvertreterkonflikt hin.

Für die Konrad-Adenauer-Stiftung stehen damit gegensätzliche Modelle des Internets zur Wahl: "Eines, das durch Offenheit und Vernetzung gekennzeichnet ist, und eines, das (staatlich) kontrolliert ist." Es gehe um nichts weniger als die Zukunft der digitalen Transformation.

Johnson hält diese Darstellung für übertrieben: Gewählt würden auf der Bevollmächtigtenkonferenz (Plenipotentiary Conference), die am 26. September in Bukarest öffnet, der künftige Generalsekretär, sein Stellvertreter und drei Direktoren. Alle fünf müssten dann als Sekretariat einstimmig entscheiden. Dabei gehe es nur um Managementfragen, nicht um politische Richtlinien.

Generell drängt Johnson darauf, die Politik aus technischen Organisationen herrauszuhalten. Von der "Code is law"-Erkenntnis, wonach über Programmzeilen und andere technische Vorgaben das Verhalten und die Handlungsmöglichkeiten von Benutzern reguliert werden, hält er wenig.

Zudem verweist der Verwaltungsexperte darauf, dass alle Vorschläge für Weltkonferenzen von sechs großen globalen Regionen kommen. Dies trage dazu bei, Konflikte zu lösen und Polarisierung zu vermeiden. In diesem Sinne sei förderlich, dass sich die EU und die USA über ein neues Gremium, das Trade and Technology Council, enger absprechen wollen: "Jede Konsolidierung von Ansichten auf regionaler Ebene hilft."

(ds)