4W

Was war. Was wird. Von herbstlichen Farben und Schrecken.

Man braucht schon Twitter-Chaostage, um manche Verschwörungstheorie doch für einen realistischen Plan übler Kerle zu halten, schüttelt Hal Faber den Kopf.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 15 Kommentare lesen
Blaubeeren, Herbst, Hügel

Nur ruhig. Alles wird gut. Oder nicht? Ein irres Lachen klingt durch die Herbstlandschaft. Alles wird gut.

(Bild: Ilona Ilyés, Gemeinfrei (Creative Commons CC0))

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

*** Was ist das bloß für ein farbenprächtiger Herbst: Rote Welle im Golfteich, weißer Haken in blauer Wolke und auf dem Krypto-Markt sehen alle schwarz, nämlich in das tiefe Loch, das FTX hinterlassen wird. Die Trauer ist groß in Deutschland, eines der krypto-besessensten Länder der Welt, wie die Zeitung für kluge Köpfe meldet. It’s just not funny. Doch Trauer herrscht auch im Internet, gemischt mit Schrecken und Staunen. Unter der Woche hat Elon Musk Historisches geleistet und Twitter ruiniert: "Es gibt praktisch keine positiven Signale mehr, die noch irgendwie durchdringen. Nicht für Unternehmen, die Twitter durch Werbung am Leben halten könnten, nicht für Twitters verbliebene Angestellte, nicht für Menschen und Minderheiten, die Twitter für ihre politischen und gesellschaftlichen Anliegen brauchen."

Musk hat mit seinen Verifikations-Spielchen eine neue Variante von "free speech" zugelassen, die anderswo als Parodie gelten würde. So traf es zwei Firmen, die zu dem Edelsten gehören, was der US-amerikanische Kapitalismus zu bieten hat. Eli Lilly sackte an der Börse ab, als der Tweet vom kostenlosen Insulin die Runde machte und der Rüstungskonzern Lockheed Martin strauchelte, weil man angeblich alle Verkäufe nach Saudi-Arabien, nach Israel und selbst die an die USA gestoppt habe. Schwerter zu Pflugscharen! Sogar ein gewisser Jesus hatte seine fünf Minuten Ruhm und Chiquita brüstete sich, dass man seit 1956 keine Regierung mehr gestürzt habe. Was Elon Musk antreibt, ist schwierig zu erklären. Bedienen wir uns beim Perlentaucher, der sich seinerseits bei der New York Review of Books bediente: "Für Musk bedeutet Twitter zu viel. Es ist ein Ventil für seine unermesslichen Ressentiments, ein Brutkasten für seine reaktionäre Politik, eine Arena für ironievergiftete Memes, eine Bühne, auf der er eine Fangemeinde kultiviert, ein Megaphon für die Vermarktung seiner verschiedenen Unternehmungen, ein Ort, an dem seine Gefühle verletzt werden, eine Highschool-Cafeteria voller cooler Kids, an denen er sich rächen kann."

*** Ich bin ja nun ein alter weißer Sack und dachte, mich könne nichts mehr überraschen. Die letzten Tage bei Twitter aber stellen alles in den Schatten, an was ich mich erinnern kann. Das gerade noch verhinderte Platzen von HP, das durch Leo Apotheker alle seine Wurzeln abschneiden sollte? Die lautstarke Implosion eines Telecom-Giganten wie Nortel, den man für unzerstörbar hielt? Das traurige Ende von Compaq, die einst den "IBM-kompatiblen PC" definierten? Der Absturz von Gateway, der das endlich allen verständliche Zeichen für das Platzen der New-Economy-Blase setzte? Es gibt viele völlig irre Ereignisse in der Geschichte der IT und des Internet, den geneigten Lesern dürften sicher noch viele einfallen. Eine derart chaotische und gleichzeitig politisch aufgeladene wie die Übernahme von Twitter durch Musk und sein folgender erratischer Dicke-Hose-Machismo dürften dagegen lange Zeit die Spitze dessen markieren, was die selbsternannten IT- und Internet-Götter, ideologisch verbrämt als Freiheitsversprechen, verbrochen haben.

*** Wer Rache als muskistisches Motiv für unwahrscheinlich hält, kann zu einer Verschwörungstheorie greifen, die den praktischen Vorteil hat, den Crypto-Crash gleich mit zu erklären. Für David Troy, dem Autor von Twittervision, gehört Musk zusammen mit dem Twitter-Erfinder Jack Dorsey und Saudi-Arabien zu einer kleinen, verschworenen Gemeinschaft, die den Dollar als Leitwährung vernichten wollen. Er vergleicht den Ansatz mit dem Versuch des ehemaligen Generals Smedley Butler und des Millionärs Robert Sterling Clark, durch eine Spekulation gegen den Dollar den Sturz des US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt herbeizuführen, um anschließend nach dem Vorbild von Mussolini mit einem Marsch auf Washington eine faschistische Regierung zu installieren. Musk und seine Kumpane, zu denen Troy auch Peter Thiel zählt, wollten eine "multipolare Weltordnung" installieren. Wem die Worte bekannt vorkommen: Auch Vladimir Putin sprach in seiner letzten großen Rede auf dem Valdai-Forum von den "neuen Zentren der multipolaren Weltordnung, die der Westen anerkennen müsse.

*** Was wird von der Plattform Twitter nach dem Schauspiel mit der Abrissbirne übrigbleiben? Noch kann man die Abschiede genießen, wenn sie so großartig theatralisch sind wie beim Theatermagazin Playbill, das nicht mehr unterscheiden kann zwischen echten Nachrichten und heimtückischer Rhetorik. Noch ist Twitter wichtig als Kanal öffentlicher Kommunikation, etwa mit den vielen Nachrichten von mutigen Menschen aus der Ukraine, den schönen Bildern aus Cherson und dem Grauen von Butscha. Und natürlich gibt es auf Twitter auch noch die direkten Gemeinheiten von Politikern zu lesen, die das Bürgergeld nicht richtig berechnen können oder die vom Komasaufen auf dem Oktoberfest schwärmen. Man sollte sich auch an die Entstehung von Twitter erinnern, denn die Wurzel war TXTMob, ein von Aktivisten 2004 programmiertes Tool für die Proteste gegen die Nominierungsparteitage der Demokraten und der Republikaner. Man kann sogar so weit gehen und Twitter als Projekt von programmierenden Anarchisten bezeichnen. Insofern hat es eine gewisse Dialektik, wenn Twitter vom reichsten Mann der Welt im Säurebad der Zinszahlungen entsorgt wird.

*** Es war übrigens ein Twitter-Kanal, auf dem die ersten Nachrichten über das Harari-Projekt die Runde machten, bei dem Wirtschaftsinformatiker den Transhumanismus von Yuval Noah Harari nach allen Regeln der Kunst untersuchen. Menschen sind wie ein Algorithmus und was sie im Kopf haben, erinnert an eine Festplatte? "Menschliche Identität besteht auch nicht aus statisch beobachtbaren oder abrufbaren Erinnerungen wie Daten auf einer Festplatte. Die stur wiederholte Analogie ist rhetorisch clever, denn indem Harari den Menschen als Algorithmus ansieht, kann er ihn gleichzeitig mit unseren besten Computern vergleichen und als 'obsolete Datenverarbeitungsmaschine' ausweisen." Wir werden bald von Algorithmen abgelöst und können gleichzeitig uns vom Körper ablösen. Das schrieb Ray Kurzweil im Jahre 1999 zum Download des Geistes in den Personalcomputer: "Die ermittelten Algorithmen (des Gehirns) lassen sich mit den bereits bekannten Methoden zum Bau intelligenter Maschinen kombinieren. Außerdem kann man Aspekte der menschlichen Datenverarbeitung aufgeben, die in einer Maschine vielleicht nicht mehr nützlich sind."

Zu den Firmen, die nicht von Twitter-Parodien ins Trudeln geraten sind, gehört Beyond Meat; das schafften die schon ganz alleine. Einst ein mit 14,6 Milliarden Dollar bewertetes "Unicorn" ist die Fleischalternative nur noch 752 Millionen wert. Dem Einhorn wurde das Horn abgetrennt. Das ist unschön, aber kein Grund zum Traurigsein, denn es gibt genügend fleischlose Alternativen. Und das Beste kommt erst: In Kooperation mit dem Deutschen Tierschutzbund erscheint in der nächsten Woche der Lucky Luke für Vegetarier unter dem Titel Rantanplans Arche. Neben dem Tierwohl gibt es eine Handlung, in der die Bewohner von Cattle Gulch von vegetarischen Söldnern terrorisiert werden, wie sonst nur die Journalisten eines großen deutschen Medienhauses durch die "Kleber-Terroristen". Keine Rettung in Sicht? Aber da ist ja Lucky Luke, der Mann, der schneller schießt als sein Schatten und der gegen Quinoa Bob und Tofu Sam antritt, Was zu dem dämlichen hysterischen RAF-Vergleich zu sagen ist, sagt ein ehemaliges RAF-Mitglied und alter weißer Mann übrigens sehr deutlich: "Das symbolisch Alarmierende der Gruppe lässt sich als Versuch deuten, die allumfassende Ohnmacht der Gesellschaft gegenüber den Bedingungen, mit denen sie sich tagtäglich festigt und reproduziert, zu durchbrechen. Seit über 50 Jahren weiß jeder politisch Verantwortliche, dass das Konzept der Verwertung der Welt und die Strategie des ewigen Wachstums in eine globale Destruktion kippt. Wesentliches getan wurde nichts, es hat die meisten nicht interessiert."

Damit es nicht zu düster endet, sei auf eine weitere Premiere verwiesen. Am Donnerstag startet Das Vermächtnis der Zauberflöte, eine Mischung aus Mozart und Harry Potter. Das "Weihnachtsgeschenk für die ganze Familie" wurde von Roland Emmerich produziert. Der Trailer ist kopfkratzend. Immerhin wird die Arie der Königin der Nacht "zum Niederknien schön gesungen", heißt es in der Kritik. Für alles andere gibt es Glühwein auf den überall aufploppenden Weihnachtsmärkten.

(jk)