Wackeliges Geschäftsmodell: Weitere Massenabmahnungen wegen Google-Fonts

Wer steckt hinter den Zahlungsaufforderungen für den Google Fonts-Einsatz und warum wackelt das Geschäftmodell der Abmahnanwälte? c't analysiert die Situation.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Joerg Heidrich
  • Niklas Mühleis
Inhaltsverzeichnis

Zigtausend Website-Betreiber erhielten innerhalb kurzer Zeit Schreiben mit Zahlungsaufforderungen von zwei Anwälten. Gegenstand ist die Einbindung von Google Fonts auf Webseiten. Seit geraumer Zeit rollen regelmäßig neue Abmahnwellen in Sachen Google Fonts an. c't analysiert, was an dem bereits im Januar 2022 in München ergangenen Gerichtsurteil dran ist. Es gilt als die Keimzelle der Abmahnwelle und wirft in seiner vermeintlichen Eindeutigkeit Fragen auf.

Außerdem beleuchten wir die derzeit rausgeschickten Mahnschreiben und deren Verfasser. Einer hatte einer Bürgerrechtsorganisation Spendengelder überwiesen, mit der Bitte um eine Spendenquittung. Doch die lehnte ab und schickte das Geld zurück. Ablehnend sollten sich auch die Betroffenen verhalten: Wir geben Tipps, wie Sie sich gegen die Abmahnschreiben wehren können.

Mit schweren Vorwürfen wartet der Rechtsanwalt in seinem Schreiben auf: Der Empfänger des Briefs habe das allgemeine Persönlichkeitsrecht seines Mandanten verletzt und dieser habe einen "tatsächlichen und wirtschaftlichen Nachteil" erlitten. Die Ursache für diesen "Kontrollverlust" des Mandanten: die von ihm besuchte Website verwendet Google-Fonts.

Diesen Vorgang hatte Anfang des Jahres das Landgericht München zu bewerten (Az.: 3 O 17493/20). Das ergangene Urteil stellt so etwas wie die Keimzelle dar, aus der sich die gesamte derzeitige Abmahnwelle entwickelt hat. In seinen äußerst knapp formulierten Entscheidungsgründen zum Urteil führt das Gericht aus, dass durch den Einsatz von Google-Fonts auf Websites "unstreitig" die dynamischen IP-Adressen von Nutzern an die Server von Google in den USA übermittelt werden.

Dort sei laut dem "Schrems II"-Urteil des EuGH (Az.: C-311/18) kein angemessenes Datenschutzniveau garantiert. Weil der Vorgang das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung verletze, bestehe ein Anspruch auf Unterlassung und Auskunft über die Verarbeitung der Daten.

Schriftarten gegen Nutzerdaten

Google Fonts bietet attraktive Schriftarten, birgt aber auch ein gewisses Risiko, falls man die Schriften nicht selbst hostet.

Mit dem Google-Fonts-Dienst stellt der Suchmaschinengigant über 1000 Schriftarten zur kostenlosen Nutzung bereit. Wer diese Schriften auf der eigenen Website verwenden möchte, kann dies sogar tun, ohne die Fonts auf dem eigenen Server bereitzuhalten. Doch das ist keine gute Idee: Sobald ein Besucher die Webseite aufruft, lädt der Browser die Fonts direkt von den Google-Servern und übermittelt dabei Nutzerdaten an Google.

Das Besondere an der Münchner Entscheidung ist die Tatsache, dass die Richter dem Kläger auch einen Schadenersatzanspruch aus Art. 82 Abs. 1 DSGVO zugestanden: In dem Kontrollverlust des Klägers über seine personenbezogenen Daten sah das Gericht eine immaterielle Verletzung des Klägers. Bei Google handele es sich um ein Unternehmen, das "bekanntermaßen Daten über seine Nutzer sammelt", so die Argumentation. Aus der Datenweitergabe an Google resultiere ein "individuelles Unwohlsein", das so erheblich sei, dass es einen Schadenersatzanspruch rechtfertige.

Das Urteil aus München ist in der Fachwelt hoch umstritten. Allein die gerichtliche Wertung, dass die Übermittlung in die USA "unstreitig" sei, zeigt, dass sich die am Urteil beteiligten Personen weder technisch noch rechtlich in der Tiefe mit der Funktionsweise von Google-Fonts auseinandergesetzt haben. Auch die übrigen, sehr knapp gehaltenen Entscheidungsgründe lassen eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Frage nach der Gewährung von Schadenersatz vermissen. Die Entscheidung vermittelt den Eindruck, dass dem Gericht nicht einmal im Ansatz die Sprengkraft des eigenen Urteilsspruches klar war.

Die unsichere Rechtslage machen sich nun eine ganze Reihe von Betroffenen zunutze – offenbar leiden sie alle unter einem "besonderen Unwohlsein" nach dem Besuch von Websites mit Google-Fonts. In der ersten Welle waren es vor allem Einzelpersonen, die E-Mails mit Geldforderungen versandten. Sie forderten Websitebetreiber darin auf, Ihnen als Entschädigung einen Betrag von 100 Euro zu überweisen.

Ab dem Spätsommer bauten die beiden Rechtsanwälte Kilian Lenard und Nikolaos Kairis das Geschäftsmodell aus. Sie agieren im Namen ihres jeweiligen Mandanten Martin Ismail beziehungsweise Wang Yu. Wie viele Abmahnungen sie versandt haben, ist unklar. Die von den Anwälten verwendeten Aktenzeichen legen nahe, dass es mehrere Hunderttausend Schreiben sind.

Nicht nur der Inhalt der von den beiden Anwälten versandten Standardschreiben ähnelt sich stark, sondern auch deren begrenzte juristische Qualität. In den Schreiben wird darauf hingewiesen, dass die Abgemahnten auf ihrer Website Google-Fonts einbinden. Hiernach gäbe es einen Anspruch auf Unterlassung, Auskunft und Zahlung eines Schadenersatzes. Es folgt das Angebot, auf weitere rechtliche Maßnahmen zu verzichten, sofern der Empfänger zeitnah Geld überweist. Rechtsanwalt Lenard schwebt eine Summe von 170 Euro vor. Rechtsanwalt Kairis verlangt nur 140 Euro, kommt jedoch zuzüglich Rechtsanwaltskosten auf eine Forderung von 239,60 Euro.

Im Fall des Duos Lenard/Ismail behauptet der Anwalt bemerkenswerterweise nicht einmal, dass sein Mandant persönlich auf der Website des Abgemahnten gewesen sei. Vielmehr habe eine "Interessengemeinschaft Datenschutz" (IGD) bemerkt, dass die Site Google-Fonts verwendet. Diese IGD wird allerdings gar nicht von dem Anwalt vertreten – sein Mandant ist allein Martin Ismail. Wer hinter der Interessengemeinschaft steht, wird auf der IGD-Website nicht näher dargelegt. Im Impressum findet sich nur Ismail, unter einer auch in den Abmahnungen genannten Anschrift in Hannover. c’t hat dem Duo eine Liste mit Fragen über ihre Aktivitäten geschickt, jedoch bisher keine Antwort erhalten.

Auf der Website der IGD findet sich eine bemerkenswerte Stellungnahme, in der zunächst darauf hingewiesen wird, dass es sich bei den Beteiligten um tatsächliche Personen handelt. Auch die versandten "Nachrichten mit der Zahlungsaufforderung" und die Aufforderung, Google-Fonts zu entfernen, stellten kein "Fake" dar, heißt es weiter. Die verantwortlichen Webseitenbetreiber hätten vielmehr "nachweislich gegen die DSGVO verstoßen" und seien schadenersatzpflichtig. Das sei auch "von der derzeit herrschenden Rechtsprechung eindeutig klargestellt".

Die Stellungnahme enthält zudem eine Drohung: Das Unterlassen der Entfernung sowie die Nichtzahlung würden zu "weitergehenden rechtlichen Konsequenzen" führen. Wie diese aussehen, sagen die Rechtsanwälte nicht. Es sind auch keine Verfahren bekannt geworden, in denen das Abmahn-Duo seine Forderungen gerichtlich durchgesetzt hat. Möglicher Grund: Solche Verfahren wären für die Abmahner gefährlich, da bereits wenige ablehnende Entscheidungen deren Geschäftsmodell beenden würde.

Auf Ihrer Website versucht die IGD außerdem, sich ein gemeinnütziges Image zu geben: Die Interessengemeinschaft unterstütze Vereine mit Spenden, steht dort. Die Spendenempfänger werden allerdings "aus Datenschutzgründen" nicht genannt.

Nicht bei allen Empfängern ist die Unterstützung durch die IGD willkommen. So schickte die Bürgerrechtsvereinigung "Deutsche Vereinigung für Datenschutz" (DVD) eine Überweisung der IGD in Höhe von 3060 Euro unverzüglich zurück. Diese Summe habe ein Herr Ismail – interessanterweise nicht die IGD – auf das Konto der Bürgerrechtsorganisation überwiesen, verbunden mit der Bitte um eine Spendenquittung. In einer Stellungnahme lehnt die DVD das Vorgehen der IGD ab, das aus Sicht der DVD das Anliegen des Datenschutzes diskreditiert.

Für Erheiterung sorgen die Abmahnschreiben des Rechtsanwalts Nikolaos Kairis aus Meerbusch. Dieser vertrat zunächst einen nicht näher bezeichneten Herrn Wang Yu, ab Mitte Oktober 2022 dann plötzlich eine Frau Wang Yu. Diese residiert laut Schreiben am Pariser Platz in Berlin in einem Haus, in dem sich Büroräume und Briefkastenfirmen befinden, und ist Mitglied einer "Interessengemeinschaft Datenschutz". Die Vereinigung, die sich auch "VIVA Datenschutz" nennt, war für uns im Internet nicht auffindbar. Auch Anwalt Kairis hat auf unsere Anfrage bisher nicht reagiert.

In diesem Abmahnschreiben wird dem Empfänger unter anderem "Verletzung des allgemein Persönlichkeitsrechts" vorgeworfen. Dem zweiseitigen Brief ist "nachstechend" eine Rechnung über 239,60 Euro beigefügt.

Kairis bietet ebenfalls an, auf weitere Ansprüche zu verzichten, falls der Empfänger des Abmahnschreibens den Verstoß beendet und die geltend gemachte Summe zahlt. Allerdings habe ihn sein Mandant bereits "in anderen gleichgeschalteten Fällen mit der Klage mandatiert". Auffällig sind neben diversen Schreibfehlern in den Abmahnungen vor allem die übersandten Rechnungen.

Während sich dort anfangs gleich mehrere Fehler bei der Berechnung fanden, ist in späteren Schreiben lediglich die Geltendmachung der anwaltlichen Auslagenpauschale fehlerhaft – zugunsten des Anwalts. Falls tatsächlich Hunderttausend Abmahnungen versandt wurden, würden sich allein die falschen Berechnungen schnell zu zu Unrecht erhobenen Forderungen im siebenstelligen Bereich summieren.

Juristen sind sich nicht einig, wie Empfänger einer solchen Abmahnung damit umgehen sollten. Klar ist nur: Bezahlen sollte man die Forderungen nicht. Ansonsten reichen die Ratschläge von Ignorieren über Zurückweisen bis zu einem formalen Antwortschreiben per Anwalt.

In jedem Fall sollten Website-Betreiber schleunigst die Abruf-Version von Google-Fonts durch das lokal gehostete Angebot dieses Dienstes ersetzen.

Die Autoren vertreten im Rahmen ihrer Anwaltskanzlei Empfänger der genannten Abmahnungen. Die Kanzlei hat auch Strafanzeige gegen beide Anwälte und ihre Mandanten erstattet.

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(dwi)