Pleite der Kryptowährungsbörse FTX: Neuer Chef zieht desaströse Bilanz

Der neue Chef der insolventen Kryptobörse FTX sieht ein totales Versagen der vorigen Führung. Derweil redet sich Ex-Chef Sam Bankman-Fried um Kopf und Kragen.

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(Bild: Shutterstock)

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Der zum neuen Chef der Kryptowährungsbörse FTX bestellte Restrukturierungsexperte John J. Ray lässt kein gutes Haar am ehemaligen CEO Sam Bankman-Fried und dessen Führungsriege. "Noch nie in meiner beruflichen Laufbahn habe ich ein derartiges Versagen der Unternehmenskontrolle und ein derartiges Fehlen vertrauenswürdiger Finanzinformationen erlebt wie in diesem Fall", erklärte Ray in einer Eingabe an das US-Insolvenzgericht in Delaware.

Kompromittierte Börsensysteme, eine mangelhafte Kontrolle durch die Regulierer im Ausland sowie eine Machtkonzentration in den Händen einer kleinen Gruppe von unerfahrenen, unbedarften und kompromittierten Personen, machten diesen Fall seiner Ansicht nach beispiellos.

Einer der Mängel, die Ray aufzählt, ist das Fehlen einer zentralen Kontrolle über die Barmittel in der FTX-Unternehmensgruppe. Es habe keine genaue Liste der Bankkonten und der Zeichnungsberechtigten gegeben und auch keine zureichende Beachtung der Kreditwürdigkeit der Bankpartner. Entsprechend könne man die vorhandenen Barmittel auch noch nicht genau beziffern. Ebenfalls fehle es an klaren Aufzeichnungen über das Personal, so dass sich bislang noch nicht umfassend sagen lasse, wer alles für die FTX Group gearbeitet habe.

Auch die Buchhaltung bezüglich digitaler Vermögenswerte sei mangelhaft gewesen. Dazu kämen inakzeptable Managementpraktiken, etwa die Verwendung eines ungesicherten Gruppen-E-Mail-Kontos als Root-User mit Zugang zu privaten Schlüsseln und vertraulichen Informationen der ganzen Firmengruppe. Ebenfalls sei eine Software zum Einsatz gekommen, die zur Verschleierung des Missbrauchs von Kundengeldern gedient habe. Entsprechend sei es bislang auch nur gelungen, einen Bruchteil des vermuteten Digitalvermögens aufzufinden und sicherzustellen.

Als besonders gravierend bezeichnete Ray auch das Fehlen von dauerhaften Aufzeichnungen über Entscheidungsfindung bei FTX. Sam Bankman-Fried habe häufig über eine Anwendung kommuniziert, bei der Nachrichten nach kurzer Zeit automatisch gelöscht wurden. Er habe auch die Belegschaft aufgefordert, es ihm gleichzutun.

Solche Vorwürfe bekommen aus dem Munde John J. Rays noch mehr Gewicht, weil dieser in seiner Karriere schon mit harten Fällen zu kämpfen hatte. So oblag ihm etwa, die rauchende Ruine des insolventen Energiekonzerns Enron aufzuräumen – einer der größten Unternehmensskandale der USA.

Ebenfalls nahm Ray auch Bankman-Frieds aktuelles Verhalten aufs Korn. Von seinem Aufenthaltsort auf den Bahamas gebe er weiterhin unberechenbare und irreführende öffentliche Erklärungen ab. Er betonte, dass Bankman-Fried nicht mehr zum Unternehmen gehöre und auch nicht dafür spreche.

Das bezieht sich auf ein Interview, das Bankman-Fried via Twitter-Direktnachrichten einer Journalistin des Online-Magazins Vox.com gab. Darin nimmt der ehemalige FTX-Chef kein Blatt vor den Mund: "Scheiß auf die Regulatoren. Sie machen alles nur noch schlimmer", erklärte er der Journalistin. Echten Verbraucherschutz könnten sie nicht gewährleisten und überhaupt interessiere das in der Finanzindustrie auch niemanden. Er habe vor, mit Delaware in einen Rechtsstreit zu treten, womit er offenbar das Insolvenzgericht meint.

Die Frage, ob sein Eintreten für bessere Regulierung der Kryptobranche im Wesentlichen nur PR gewesen sei, bejahte Bankman-Fried. Auch seine Äußerungen über Business-Ethik bezeichnete er als die Dinge, die man eben öffentlich äußere, um gemocht zu werden. Die Umleitung von FTX-Kundengeldern in seine Investmentfirma Alameda Research begründete er unter anderem mit "chaotischer Buchführung". Es habe auch keinen übergreifenden Plan gegeben, Kundengelder für andere Zwecke zu verwenden. Es sei eine Menge von einzelnen Aktionen gewesen, die in die aktuelle Situation geführt hätten. In verschiedenen Varianten würden zahlreiche Kryptobörsen ähnlich agieren.

Die Anmeldung der Insolvenz bezeichnete er als Fehler. Er habe auf das gehört, was alle ihm gesagt hätten. Es wäre besser gewesen, er hätte die Verantwortung behalten und weiter nach Geldgebern gesucht. Die Auszahlungen an die Kunden hätten dann nach einem Monat wieder aufgenommen werden können. Worauf diese Einschätzung fußt, blieb unklar. Berichten der Finanzpresse zufolge waren Bankman-Frieds bisherige Versuche, Geldgeber für FTX aufzutreiben, komplett erfolglos.

Über seinen Twitter-Account teilte Bankman-Fried später noch mit, dass manches des im Interview Gesagten gedankenlos und überzogen gewesen sei. "Ich habe Dampf abgelassen und es gar nicht für die Öffentlichkeit intendiert." Er sprach von einer privaten Kommunikation, die publiziert worden sei.

Inwieweit sich Bankman-Fried für den Untergang seines Krypto-Imperiums wird verantworten müssen, ist noch offen. Eine erste Sammelklage gegen ihn wurde bereits in Miami eingereicht. Die Klageschrift erhebt den Vorwurf, dass die verzinsten Kryptowährungskonten von FTX in den USA mangels Lizenzen gar nicht hätten angeboten werden dürfen. Neben Sam Bankman-Fried nimmt die Klage auch Sportler, Schauspieler und sonstige Prominente ins Visier, die als Werbeträger für FTX aufgetreten waren. Darunter sind der Football-Spieler Tom Brady und das Modell Gisele Bündchen.

Aus der Politik wird derweil der Ruf nach Regulation laut, um solche Desaster künftig zu verhindern. Die EU-Finanzkommissarin Mairead McGuinness bezeichnete das Ende von FTX als "Weckruf". "Wir können solche Sachen nicht einfach weiterlaufen lassen", sagte sie dem Handelsblatt und forderte eine globale Kryptoregulierung.

In den USA meldete sich die US-Finanzministerin Janet Yellen zu Wort. Der Untergang von FTX zeige deutlich den Bedarf an effektiverer Kontrolle der Kryptomärkte. Es gelte nun, die bestehende Regularien der Finanzmärkte schnellstmöglich auch auf die Kryptowelt zu übertragen. Auch das US-Repräsentantenhaus plant für Dezember eine Anhörung zu dem Thema. Bankman-Fried soll dort Rede und Antwort stehen, ebenso wolle man auch Vertreter von Konkurrenten wie Binance zu Wort kommen lassen.

FTX war zeitweise eine der größten Kryptobörsen überhaupt, implodierte dann aber vor einer Woche binnen weniger Tage. Die Börse geriet in Zahlungsschwierigkeiten, nachdem Zweifel an den Kapitalreserven zu einer Kundenflucht und Mittelabzügen im Milliardenvolumen geführt hatten. Kurzzeitig sah es so aus, als ob der Konkurrent Binance den Großteil des angeschlagenen Kryptoimperiums rund um FTX übernehmen würde, doch Binance blies die Übernahme des strauchelnden Rivalen kurzerhand wieder ab. Am vergangenen Freitag beantragte FTX Gläubigerschutz in den USA. Die Ereignisse haben für sichtliche Nervosität auf den Kryptomärkten gesorgt und bereits andere Firmen in die Pleite gerissen.

(axk)