Plattformen in der Verantwortung: Digital Services Act in Kraft getreten

Mit dem Gesetz über digitale Dienste will die EU insbesondere Hass und politische Radikalisierung eindämmen. Das gilt auch für Twitter unter Elon Musk.

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(Bild: metamorworks / Shutterstock.com)

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Der am 27. Oktober im EU-Amtsblatt veröffentlichte Digital Services Act (DSA) ist in Kraft getreten. Hauptziel der Verordnung ist: Eindämmung von Hetze, Hass und politischen Extremismus im Internet und in sozialen Netzwerken. Im Gesetz über digitale Dienste sind daher verbindliche Verhaltensvorschriften für Online-Plattformen enthalten. Die neuen EU-weiten Sorgfaltspflichten gelten für alle digitalen Dienste, die Verbraucher mit Waren, Dienstleistungen oder Inhalten versorgen. Dazu gehören Verfahren zur schnelleren Entfernung illegaler Inhalte. "Online-Plattformen stehen im Mittelpunkt wichtiger Aspekte unseres Lebensalltags, unserer Demokratien und unserer Volkswirtschaften", erklärte die für Digitales zuständige Vizepräsidentin der EU-Kommission, Margrethe Vestager.

Sie müssten daher nun ihrer Verantwortung gerecht werden, in dem sie das Ausmaß illegaler und schädlicher Online-Inhalte verringerten sowie die Grundrechte und die Sicherheit der Nutzer besser schützten. Behörden aller Art können auf DSA-Basis Host-Providern künftig ohne Richtervorbehalt grenzüberschreitende Anordnungen schicken, um gegen illegale Inhalte wie strafbare Hasskommentare, Darstellungen sexuellen Kindesmissbrauchs oder die unautorisierte Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke vorzugehen.

Betroffene Plattformen müssen solche Angebote dann ohne unangemessene Verzögerung sperren oder blockieren und bei schweren Straftaten zudem der Polizei melden. In einem grenzüberschreitenden Kontext soll mit dem Gesetz für digitale Dienste die Wirkung einer Anweisung gegen illegale Inhalte in der Regel auf das Hoheitsgebiet des anordnenden EU-Lands beschränkt werden.

Die EU-Gremien wollen sicherstellen, dass Nutzern und den betroffenen Firmen Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen. Diese sollen die Wiederherstellung von Inhalten einschließen, die fälschlicherweise als rechtswidrig angesehen und entfernt wurden. Die Bestimmungen beziehen sich auch auf schädliche Inhalte wie Desinformation. Darauf zielen vor allem Auflagen für Empfehlungssysteme ab, die Plattformen etwa in ihren News-Feeds verwenden. Mit dem DSA müssen sie die Funktionsweise der dafür genutzten Algorithmen transparent machen.

Ferner sollen sehr große Online-Portale für automatisierte Entscheidungen stärker zur Rechenschaft gezogen werden. Zu den erfassten digitalen Services gehören Vermittlungsdienste wie Internetprovider und Domain-Registrierstellen. Eingeschlossen sind auch soziale Netzwerke wie Facebook, YouTube, Twitter und TikTok, E-Commerce-Anbieter sowie Cloud- und Webhoster. Ihre Pflichten variieren je nach Rolle, Größe und Auswirkungen. Für kleine Unternehmen gelten Ausnahmen. Gezielte Werbung wird untersagt, wenn es um sensible Daten geht – etwa aufgrund von sexueller Orientierung, Religion und ethnischer Zugehörigkeit.

Dies bezieht sich auf Plattformen mit Nutzerinhalten wie Facebook, Instagram oder eBay, nicht aber auf Portale mit selbst erstelltem Content wie Nachrichtenseiten. Für Minderjährige gilt ein "vollständiges Verbot" personalisierter Anzeigen. Sehr große Online-Plattformen, die über 45 Millionen EU-Bürger erreichen, müssen Risikoabschätzungen durchführen und ausgemachte Gefahren etwa für die Demokratie, die öffentliche Sicherheit, die Grundrechte und den Jugendschutz minimieren. Sie sollen ihre Daten und Angaben zu Algorithmen mit Behörden, Forschern und zivilgesellschaftlichen Organisationen teilen, damit diese ihre Arbeitsweise überprüfen und Angaben zu einem Lagebild beisteuern können.

Plattformbetreiber haben nun drei Monate Zeit, um die Zahl der aktiven Endnutzer auf ihren Portalen zu veröffentlichen. Auf Basis dieser Angaben wird die EU-Kommission entscheiden, ob es sich um strenger regulierte, sehr große Dienste handelt. Im Anschluss haben die nach bisherigen Schätzungen rund 30 betroffenen Unternehmen vier Monate Zeit, um den ihnen auferlegten besonderen Pflichten nachzukommen. Innerhalb dieses Zeitraums ist auch die erste jährliche Risikobewertung fällig.

Den allgemeinen Geltungsbeginn der Verordnung in allen Mitgliedsstaaten haben die EU-Gesetzgeber auf den 17. Februar 2024 festgelegt. Ab dann sind die Vorschriften auf alle betroffenen Unternehmen vollständig anwendbar. Bis dahin müssen die EU-Mitgliedsstaaten auch ihre Koordinatoren für digitale Dienste beauftragen, die als Schnittstelle zu einem Kontrollausschuss und zur Brüsseler Kommission dienen, die die zentrale Aufsicht über sehr große Plattformen hat. Hierzulande haben sich unter anderem die Bundesnetzagentur und die Landesmedienanstalten für den Posten "beworben", der völlig unabhängig sein muss.

Die Kommission wird nach eigenen Angaben auch ein Europäisches Zentrum für Algorithmische Transparenz (ECAT) einrichten, um ihre Aufsichtsfunktion mit internem und externem Know-how zu unterstützen. Die Institution soll ihr vor allem bei der Bewertung helfen, ob die Funktionsweise algorithmischer Systeme mit den Auflagen zum Risikomanagement übereinstimmt. Binnenmarktkommissar Thierry Breton erinnerte jüngst den neuen Twitter-Eigentümer Elon Musk daran, dass der DSA auch für ihn gilt. Der US-Unternehmer geriert sich gern als Verfechter der Meinungsfreiheit und hat seit seiner Übernahme der Plattform zahlreiche Moderatoren der Inhalte sowie Verbindungspersonen in Brüssel entlassen.

Auf Musks Tweet "Der Vogel ist befreit", antwortete Breton mit einem Winke-Emoji und der mit einem DSA-Hashtag unterlegen Ansage: "In Europa wird der Vogel nach unseren Regeln fliegen". Laut einer gerade veröffentlichten Einschätzung von Experten der Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi) schafft es die Verordnung zwar nicht, "die schädlichsten Firmen der digitalen Plattformen zu bändigen". Sie sei aber "dennoch nützlich".

Bei dem bereits als "Verfassung für das Internet" gepriesenen DSA werde vieles vor allem davon abhängen, wie gut er durchgesetzt werde. Vor allem fehle ein grundsätzliches Verbot personalisierter Werbung mit Tracking sowie von Beeinflussungstechniken wie "Dark Patterns". Zu dem Digitalpaket der EU gehört auch der Digital Markets Act (DMA), der neue Wettbewerbsinstrumente zum Einhegen marktmächtiger Plattformen mit sich bringt. Er ist bereits am 1. November in Kraft getreten und vom 2. Mai 2023 an voll anwendbar.

(mack)