Wie eine Initiative Emissionen in Echtzeit tracken will – auf die Fabrik genau

Klimasünder sollen sich nicht mehr verstecken können. Das ist der Ansatz der neuen Initiative Climate Trace. Kann das gelingen?

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Gaskraftwerk Bremen-Hastedt

(Bild: heise online / anw)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
Inhaltsverzeichnis

Was der frühere US-Vizepräsident Al Gore am 9. November auf der UN-Klimakonferenz in Sharm El-Sheikh vorstellte, war vielen Medien eine Sensationsmeldung wert. Gore präsentierte nämlich ein Online-Werkzeug, das in nie gekannter Genauigkeit und Auflösung fast 80.000 einzelne Quellen von Kohlenstoffdioxid, Methan und Lachgas auf der Erde darstellen konnte. Bald dürften es Hunderttausende sein.

Entwickelt hat es die Climate-TRACE-Koalition, wobei TRACE für Tracking Real-time Atmospheric Carbon Emissions steht, also die Verfolgung atmosphärischer Kohlenstoffemissionen in Echtzeit. Die interaktive Weltkarte zeigt sogar die Emissionen einzelner Fabriken oder Schiffe. Nie war es leichter, Umweltsünder an den Pranger zu stellen. Aber nie war es auch leichter für Politiker, sich zu informieren, oder für Wirtschaftsentscheider, um den Erfolg von Klimamaßnahmen zu überwachen. Verstecken geht jetzt mehr, fehlerhafte oder unwahre Emissionsmeldungen fliegen auf.

Im Jahr 2019 bewarb sich eine kleine Gruppe gemeinnütziger Organisationen für die AI Impact Challenge von Google, darunter das nichtkommerzielle Umweltunternehmen WattTime aus den USA und die Carbon-Tracker-Initiative aus England. Google gewährte dem Projekt nicht nur einen Zuschuss in Höhe von 1,7 Millionen US-Dollar, sondern schickte dem Projekt auch gleich sieben erfahrene Experten für Datentechnik und maschinelles Lernen, um ein halbes Jahr zu helfen.

Nachdem Al Gore das Projekt im Juli 2020 das Projekt öffentlich vorstellte, bestand das Konsortium bereits aus fünf weiteren gemeinnützigen Organisationen und zwei Tech-Unternehmen. Inzwischen sind mehr als hundert Organisationen, Institute, Klima- und Geoforscher und weitere Datenexperten dabei.

Gewiss, Klimaforscher messen Emissionen nicht erst seit gestern und wissen, wie viele und welche Treibhausgase in der Atmosphäre sind. Aber woher sie genau kommen, ist weniger klar.

In Europa zum Beispiel erfasst das Forschungsnetzwerk Icos Echtzeitdaten der Atmosphäre an nur rund 40 über ganz Europa verteilten Bodenmessstationen. Der Erdbeobachtungsdienst Copernicus betreibt mit diesen und weiteren Daten dann Re-Analysen, programmiert also Modelle aus historischen Daten.

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Unter dem Dach von Climate TRACE überlegten sich dagegen Datenanalysten, Softwareprogrammierer, Geografen und Hacker, wie sie ihre Fähigkeiten zur Bewältigung der Klimakrise einsetzen könnten. Das war ein neuer Ansatz, dessen Motto Al Gore 2021 so twitterte: "Wir können nur das managen, was wir messen können".

Die Treibhausgasdaten, auf die sich heute Politiker und das UN-Klimawandelsekretariat UNFCCC verlassen, sind ein Flickenteppich von manchmal hochwertigen, manchmal sehr veralteten oder lückenhaften Berichten, die die Länder zur Verfügung stellen. Einige Entwicklungsländer haben zudem nicht die Kapazitäten und Möglichkeiten, solche Daten überhaupt zu erfassen. Hinzu kommt, dass die meisten Berichte auf freiwilligen Selbstauskünften der Emittenten selbst beruhen, die nicht unbedingt vertrauenswürdig sind.

Aber durch die relativ neue und weite Verbreitung kostengünstiger Erderkundungssatelliten gibt es inzwischen auch mehr frei zugängliche, hoch aufgelöste Satellitendaten. In Verbindung mit Fortschritten in der künstlichen Intelligenz und beim maschinellen Lernen öffnen sich jetzt fortschrittliche Arten der technischen Emissionsüberwachung in nahezu Echtzeit.

Einige Länder verfügen nämlich über öffentliche, erstaunlich detaillierte und zeitlich hoch aufgelöste Emissionsdaten auch für einzelne Industrieanlagen. Die lassen sich zum Trainieren maschineller Modelle hervorragend nutzen.

WattTime verwendet beispielsweise Bilder der Satelliten Sentinel-2, Landsat-8 und der 200 Planet-Satelliten, um Bilder von Kraftwerken zu sammeln, um sie mit den echten Emissionsdaten am Boden zu verknüpfen. Das maschinelle Modell lernt daraus, die Leistung eines Kraftwerks anhand bestimmter Attribute der Satellitendaten zu erkennen.

Die Meeresschutzorganisation OceanMind misst Emissionen der Schifffahrt. Sie stützt sich dabei auf die Daten des automatischen Identifikationssystems (AIS), die von Schiffen übermittelt werden müssen. Sie liefern Informationen über Schiffsidentität, Geschwindigkeit, Kurs und aktuelle Zeit, womit man die Routen von Schiffen recht genau verfolgen kann. Die werden dann mit Daten zu Schiffstyp, Motorleistung und Registrierungsland aus Schiffsregistern, und mit den Emissionsdaten des Schiffes kombiniert, die man bei Reedereien erfragen kann. Daraus entwickelt OceanMind dann Modelle, mit denen sich die Emissionen einzelner Schiffe aus den reinen Satellitendaten erkennen lassen.

Um überhaupt Emissionen von Industrieanlagen per Satellit messen zu können, muss man zuerst wissen, dass es so eine Anlage überhaupt gibt. Beispielsweise sind Kraftfutterbetriebe eine wichtige Quelle für Methanemissionen. Sie zu regulieren, scheiterte bisher, weil nicht bekannt ist, wie viele es davon gibt und wo sie liegen. Sie zu finden, gelingt einem weiteren Koalitionspartner, dem KI-Unternehmen Synthetaic. Auf Hochleistungsrechnern, mit Hilfe generativer KI und tiefer neuronaler Netze, gelingt es ihm, solche Betriebe anhand von Satellitenbildern zu kartieren.

Aber so plausibel Methoden der Climate-TRACE-Koalition auch erscheinen, einige Klimaforscher sind noch skeptisch. Sie trauen einer neuen Überwachungsmethode erst, wenn sie in einem Fachjournal veröffentlicht ist. Aber die würde nicht mehr lange auf sich warten lassen, wie Mitgründer Gavin McCormick und Direktor von WattTime verspricht.

(jle)