Kommentar: Mehr Diversität allein hilft nicht in der Tech-Branche

Wenn mehr Frauen in Tech-Unternehmen Einzug halten, heißt das noch nicht, dass alles besser wird. Dafür müsste die Macht neu verteilt werden.

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Frauen in der Techbranche

(Bild: CIRA/.CA domains)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Julia Kloiber

Unsere Welt ist voll von (vermeintlich) einfachen Lösungen für komplexe Probleme: Wir kompensieren den CO2-Ausstoß unserer geflogenen Kilometer, indem wir Bäume pflanzen. Regierungen führen Überwachung ein, um Kindesmissbrauch zu bekämpfen. Und Unternehmen setzen auf Diversität, um diskriminierende KI unter Kontrolle zu bekommen.

Es vergeht kein Monat, in dem ich nicht eingeladen werde, um über mehr Diversität in Tech-Unternehmen zu sprechen. Ich tue mich schwer mit diesem Thema. Nicht, weil ich gegen mehr Diversität in der Tech-Branche bin. Ganz im Gegenteil, jeder sollte unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe und Herkunft die Chance haben, in einem der bestbezahlten Bereiche der Wirtschaft zu arbeiten. Womit ich mich schwertue, sind Diskussionen, die suggerieren, dass mehr Diversität das Allheilmittel ist.

Die naive Hoffnung: Sobald mehr Minderheiten und Frauen in den Produkt- und Softwareteams sitzen, werden sich die Praktiken der Unternehmen automatisch zum Besseren wenden. So wirkt ein komplexes Problem einfach korrigierbar.

Aber was ist eigentlich das Problem? Es ist die Art und Weise, wie viele Technologieunternehmen Profite erwirtschaften, auf wessen Kosten sie das tun – und wie sie damit unserer Demokratie, der Umwelt und unserem Zusammenleben schaden. Überwachungskapitalismus, Datensammelwut, Polarisierung, Diskriminierung – die Liste der Probleme, die uns die Geschäftsmodelle bescheren, ist lang. Was, wenn in Zukunft zwar mehr Frauen, nicht-binäre Menschen und Minderheiten in den Technologieunternehmen repräsentiert sind, sich an den grundlegenden Problemen und Geschäftsmodellen aber wenig ändert?

TR-Kolumne von Julia Kloiber

Timnit Gebru, Alex Hanna, Meredith Whittaker, Frances Haugen sind die prominente Spitze eines Eisbergs von Menschen, die sich innerhalb von Big Tech für bessere Arbeitsbedingungen, gegen Diskriminierung und Manipulation eingesetzt haben. Sie alle arbeiten heute nicht mehr in den großen Techunternehmen – was zeigt: Ein kaputtes System lässt sich nicht von innen heraus fixen. Vor allem dann nicht, wenn die Konzerne nur diverser einstellen, an ihren internen Machtstrukturen aber wenig verändern wollen. Wenn auf der Arbeitsebene Diversität abgebildet ist, in der Führungsebene und bei den Erfolgsmetriken – nämlich vorrangig Profite für Aktionäre zu erwirtschaften – nichts Neues entsteht.

Die Diskussionen rund um Veränderung dürfen sich nicht auf Repräsentation beschränken, sie müssen Machtstrukturen in den Blick nehmen. Sie müssen Komplexität zulassen und dürfen sich nicht auf oberflächliche Quick Fixes beschränken. Um Veränderung anzustoßen, gilt es zu skizzieren, wie technologischer Fortschritt aussieht, der nicht auf der Ausbeutung von Ressourcen und Menschen beruht, und ihn einzufordern. Wie sehen soziale Netzwerke aus, die dafür konzipiert sind, Diskurs zu ermöglichen, anstatt zu polarisieren? Netzwerke, die nicht Tausende an prekär beschäftigten Content-Moderatorinnen und -Moderatoren benötigen, um Gewaltdarstellungen und Hass einzudämmen.

Um diese Veränderung in Gang zu bringen, muss Macht neu verteilt werden. Gruppen, die von den negativen Auswirkungen der großen Techunternehmen betroffen sind, dürfen nicht dafür verantwortlich gemacht werden, diese Auswirkungen auszubügeln. Sie müssen vielmehr die Ressourcen bekommen, um echte Alternativen zu entwickeln.

Dieser Text stammt aus: MIT Technology Review 8/2022

Das Silicon Valley ist ein "Club der weißen Männer" und damit ganz symptomatisch für die Repräsentation von Frauen in der Tech-Branche und in der Wissenschaft. In der neuen Ausgabe von MIT Technology Review geht es genau um diesen Gender Gap. Das neue Heft ist ab dem 10.11. im Handel und ab dem 9.11. bequem im heise shop bestellbar. Highlights aus dem Heft:

Ein Jahr nachdem Timnit Gebru von Google gefeuert wurde, hat sie ihr eigenes Research-Institut namens DAIR gegründet. Ihr Team arbeitet an langfristiger Veränderung. Slow Fixes, bei denen unterschiedliche Communities in die Arbeit einbezogen werden und mitgestalten. Sie bauen neue Strukturen, mithilfe derer sie die Probleme an der Wurzel packen und versuchen, diese langfristig und nachhaltig zu lösen. Damit stellen sie den Quick Fixes etwas Wirksames entgegen, das Macht dezentral denkt und Diversität nicht als Add-on oben drauf packt, sondern tief in den eigenen Strukturen verankert hat.

(jle)