Geld für Klimaschutz gerecht verteilen – per Webapp ausprobieren

Um ärmere Länder bei der Emissionsminderung zu helfen, müssen Gelder besser verteilt werden. Mit einem Online-Tool kann sich jeder selbst daran versuchen.

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Monreal in der Eifel im Juli 2021

(Bild: M. Volk/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hanns-J. Neubert
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(This article is also available in English)

Wenn die Finanzierung des globalen Klimaschutzes gerecht sein soll, müssten zwischen 248 bis 1582 Milliarden US-Dollar in die armen Länder fließen, vor allem aus Nordamerika und Europa. Wie viel es mindestens sein müssen oder höchstens sein können, lässt sich jetzt mit einem Anwendung berechnen, das das Internationale Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien online gestellt hat. Je nach politischer Gewichtung von unterschiedlichen Kriterien für Gerechtigkeit kann man mehr oder weniger Geld zur Emissionsminderung und zum Schutz vor Klimafolgen fließen lassen.

Wenig überraschend, was damit klar wird: Die jährlichen 100 Milliarden US-Dollar bis 2020 für Klimaschutzvorhaben in armen Ländern hätten nicht viel bewirkt. Aber die Geberländer haben ihr Versprechen sowieso gebrochen, das sie 2009 auf der Weltklimakonferenz in Kopenhagen gaben. Gerade einmal 83 Milliarden kamen im Schlussjahr 2020 zusammen. Dank kreativer Buchführung aber auch nur rein rechnerisch, denn die Geberländer durften selbst festlegen, wie sie bilanzieren. Manche preisten denn auch gleich Entwicklungshilfe, Kredite oder gar Exportsubventionen ein. Laut Schätzung von Oxfam stand wohl nur rund ein Drittel davon für Klimaschutz und Anpassungen in armen Ländern zur Verfügung.

Auf der anderen Seite flossen 2019 und 2020 weltweit jährlich rund 630 Milliarden US-Dollar in die Klimafinanzierung, 90 Prozent davon aber ausschließlich in Technologien, wie Wärme- und Energiewenden, Windkraft, Photovoltaik oder CO₂-Abscheidung und -Speicherung. Nur zehn Prozent blieben für Schutzmaßnahmen übrig.

Redet man über Klimagerechtigkeit, meint man damit oft nur die faire Verteilung des verbleibenden CO2-Budgets von derzeit noch 280 Milliarden Tonnen bis zur 1,5-Grad-Grenze oder 1,03 Billionen Tonnen bis zur 2-Grad-Grenze. Dafür gibt es eine ganze Reihe interaktiver Webapps, die solche Verteilungen veranschaulichen, darunter den Climate Action Tracker, die Climate Equity Reference oder den indischen Climate Equity Monitor.

Aber inzwischen geht es nicht mehr nur darum, wer wie viel Treibhausgase emittieren darf oder einsparen muss. Es geht ums Geld. Bereits der Weltklimarat (IPCC) betonte im dritten Teil seines aktuellen Berichts, dass die Mittel für den Klimaschutz um das Drei- bis Sechsfache steigen müssten, um den Jahresbedarf für globale Klimainvestitionen bis 2030 zu decken.

An genügend Kapital und Liquidität ist weltweit kein Mangel. Nach Schätzungen der Internationalen Energieagentur IEA werden die Energieinvestitionen in diesem Jahr auf 2,4 Billionen US-Dollar steigen, ein Drittel davon allerdings für fossile Energien. Zusätzlich plant die Öl- und Erdgasindustrie bis 2030 sogar noch rund eine Billion US-Dollar für die Explorationen neuer Quellen.

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Wie dieses gewaltige Kapital kurzfristig und gerecht umverteilt werden könnte, dazu veröffentlichten Shonali Pachauri vom IIASA und ihre Kollegen aus Deutschland, der Schweiz, England und den USA eine Studie, auf der das neue Online-Tool beruht.

Das Papier beschreibt einen Weg, mit dem sich Klimapolitiker und -verhandler einem Konsens annähern könnten, indem sie bei Verhandlungen finanzielle Gerechtigkeitsgrundsätze in die bisher üblichen kosteneffizienten Minderungsszenarien einbauen.

In der Webapp lassen sich systematisch faire Beiträge zum kurzfristigen, regionalen Investitionsbedarf für Klimaschutzmaßnahmen bis 2030 erforschen und Größen und Richtungen der notwendigen Finanzströme anschaulich darstellen.

Hierfür stellen die Wissenschaftler unterschiedliche Merkmale zur Auswahl, die jeweils bestimmte Gerechtigkeitsüberlegungen widerspiegeln, die sich je nach politischer oder moralischer Sichtweise möglicher Verhandlungspartner einstellen lassen. Diese Indikatoren leiteten die Autoren von globalen Klimaschutzpfaden ab, die der dritte Teil des aktuellen IPCC-Reports auflistet.

Die Webanwendung benötigt nur unterschiedliche Variationen in drei Kenngrößen, nämlich Maße für "Verantwortung" (responsibility), "Fähigkeit" (capability) und "Bedarf" (need).

Das Kriterium "Verantwortung" reduziert sich eigentlich auf das Schlagwort "polluter pays", der Verschmutzer zahlt. Je höher die kumulierten CO2-Emissionen der Vergangenheit, desto mehr Verantwortung trägt ein Verursacher dafür, den Klimawandel zu bremsen und seine Auswirkungen zu dämpfen. Die Entwickler berücksichtigen dazu nur die Kohlenstoffdioxid-Emissionen seit 1850 und seit 1990. Politisch ist nämlich umstritten, ab welchem Jahr die Akkumulationen gerechnet werden sollen. Für die alten Industriestaaten ist das Stichjahr 1990 günstiger, weil ab da auch die aufstrebenden Schwellenländer, darunter China, nennenswert zu den Emissionen beitragen.

Als Kenngrößen für die "Leistungsfähigkeit" lässt sich zum einen das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt heranziehen, zum anderen aber auch ein Wohlstandsindikator, der die Sachanlagen und die Infrastruktur einer Volkswirtschaft beziffert.

Die Kriterien "Verantwortung" und "Leistungsfähigkeit" stehen jedoch in einem engen Zusammenhang, was man bei den Einstellungen in der Webapp beachten sollte. Denn der heutige Wohlstand in den reichen Ländern, die "Leistungsfähigkeit", beruht ja vor allem auf vergangenen Emissionen, dem Kriterium für die "Verantwortung".

Der "Bedarf" eines Landes schließlich lässt sich zum einen als Grad der Benachteiligung beim Zugang zu einem angemessenen Lebensstandard (Decent Living Standard DLS) einstellen. Zum anderen kann der Schwerpunkt auch auf dem Klimarisiko für eine Bevölkerung liegen.

Schließlich lässt sich auch noch eine obere oder untere Grenze für den Investitionsbedarf einstellen, je nachdem welche finanzielle Belastungen man den Bürgern für die Klimafinanzierung aufbürden will, gemessen am Bruttoinlandsprodukt. Doch egal, welche Kombination man im Web-Tool auch auswählt: Die internationalen Klima-Finanzströme müssen in jedem Fall ganz erheblich aufgestockt werden.

(jle)