Warum das Gesetz zur Digitalisierung der Verwaltung scheiterte

Das Onlinezugangsgesetz verpflichtet Ämter, Verwaltungsleistungen zu digitalisieren. Das Ziel von 580 Verwaltungsleistungen bis 2023 wurde deutlich verfehlt.

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(Bild: Peshkova / shutterstock.com)

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Vor eineinhalb Jahren verschickte die Bundesregierung eine Pressemitteilung, die hoffen ließ, dass es nun endlich vorwärts geht mit der Digitalisierung der Verwaltung. Der digitale BAföG-Antrag sei "als erstes föderales digitales Verwaltungsangebot" bundesweit verfügbar, meldete das Bildungsministerium. Im Klartext: Zum ersten Mal hatten Bund und Länder sich zusammengerauft, gemeinsam einen Onlinedienst entwickelt und diesen dann auch tatsächlich bundesweit eingeführt, statt wie bisher üblich jedes Bundesland oder gar jede Kommune die Software noch einmal neu erfinden zu lassen.

Was die Pressemitteilung nicht verriet: Die BAföG-Ämter müssen jeden digital eingereichten Antrag ausdrucken und abheften, da noch kein Bundesland sie mit einer E-Akte-Software ausgestattet hat. Wegen der "andauernden Drucklast" habe man sogar zusätzliches Personal eingestellt, klagten Anfang Dezember die Studentenwerke, die die BAföG-Ämter in 15 Bundesländern betreiben. Außerdem müsse man fehlende Unterlagen stets per Brief anfordern, denn einen Kanal für sichere digitale Kommunikation mit den Antragstellern habe man auch nicht. "Das ist insgesamt eine absurde Situation", sagt Matthias Anbuhl, Chef des Dachverbands der Studierendenwerke, gegenüber c’t. Ein Prozess werde eben nur dann einfacher, wenn man ihn von A bis Z digitalisiere. "Alles andere führt zu Medienbrüchen, Mehrarbeit und Frust bei den Studierenden und in den BAföG-Ämtern."

Die unvollständige Digitalisierung der BAföG-Abwicklung führe zu "Medienbrüchen, Mehrarbeit und Frust", kritisiert Matthias Anbuhl, Chef des Deutschen Studierendenwerks.

(Bild: Kay Herschelmann)

Das BAföG-Beispiel illustriert ein grundsätzliches Problem bei der Digitalisierung der Verwaltung: Das Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichtet Bund, Länder und Kommunen, bis Ende 2022 "ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten". Bei den Abläufen innerhalb der Behörden fordert das Gesetz jedoch keine Digitalisierung. Genauso wenig verlangt es eine Vereinfachung von Anträgen oder Prozessen.

Die Folge: Landauf, landab haben Behörden und ihre Dienstleister in den vergangenen Jahren hektisch Onlineformulare gestrickt, um das OZG zu erfüllen. Doch Erleichterungen für Bürger und Behördenmitarbeiter kamen dabei selten heraus. So gilt etwa der BAföG-Antrag auch in seiner digitalen Form als Bürokratiemonster. "Wir haben etwa einen Antrag unter 200, der vollständig ist", zitierte der Jugendsender "funk" Anfang Dezember eine Sachbearbeiterin. In vielen Fällen müssen die Ämter mehrfach Unterlagen nachfordern, sodass es Monate dauert, bis das Geld fließt.

Aber selbst das offizielle OZG-Ziel – digitale Antragsformulare überall – haben die Behörden weit verfehlt. Eigentlich verpflichtet das Gesetz sie, Onlinedienste für rund 580 Leistungen bereitzustellen, von der Amateurfunkzulassung bis zu den "Zuwendungen bei Mehrlingsgeburten". Doch in den ersten Jahren nach der Verabschiedung des Gesetzes 2017 passierte wenig. Die Hauptursache: Der Großteil der Leistungen liegt in der Zuständigkeit der über 11.000 Kommunen. Die meisten von ihnen sind chronisch klamm und haben dringendere Probleme, als Behördenleistungen digital aufzubereiten.

Bereits 2019 sagten Experten deshalb voraus, dass das OZG-Ziel nicht mehr erreichbar sei. Doch erst 2021 half der Bund mit Geld aus und stellte rund 1,6 Milliarden Euro für OZG-Projekte der Länder und Kommunen bereit. Die Bedingung: Die Länder und Städte sollten Onlinedienste anderer Länder und Städte übernehmen, statt alles selbst zu entwickeln. Doch der dafür eingerichtete Marktplatz ("FIT-Store") füllte sich nur langsam. Und das "Einer-für-alle-Prinzip" änderte auch nichts daran, dass die neuen Dienste in die Softwarelandschaften der Kommunen integriert werden müssen.

Im Mai 2022 änderten Bund und Länder dann offiziell das Ziel: Sie beschlossen, 35 Verwaltungsleistungen zu "priorisieren", um wenigstens diese bis Jahresende flächendeckend zur Verfügung zu stellen – also weniger als ein Zehntel der ursprünglichen Anzahl. Zu den 35 ausgewählten Leistungen zählen vor allem häufig nachgefragte wie Ummeldung, Elterngeld und Wohngeld. Anfang Dezember sagte Digitalminister Volker Wissing (FDP) in einem Interview mit dem Spiegel, dass auch die 35 priorisierten Leistungen bis Ende des Jahres nicht in allen Kommunen online sein werden.

Was hat das OZG also gebracht? Unzweifelhaft bieten die Kommunen deutlich mehr Online-Anträge als vor fünf Jahren. Doch einen Überblick darüber, was genau in welchen Städten geht, hat niemand. Das Bundesinnenministerium (BMI) pflegt zwar ein "Dashboard digitale Verwaltung", doch dieses verrät nur, ob eine Leistung oder zumindest eine Teilleistung in mindestens einer Kommune online ist. Diese Darstellung sei beschönigend, monierte im Frühjahr sogar der Bundesrechnungshof.

c’t erfasst deshalb derzeit mit einer eigenen Umfrage unter den 30 größten deutschen Städten, welche besonders alltagsrelevanten Leistungen diese anbieten. Über die Ergebnisse berichten wir in einer der nächsten Ausgaben.

Zurzeit arbeitet die Bundesregierung an einem "OZG 2.0". Ein Entwurf aus dem BMI, der von Netzpolitik.org veröffentlicht wurde, zeigt: Zumindest einige Lehren hat der Bund aus den bisherigen Problemen gezogen. So will das BMI künftig den Behörden eine "vollständige elektronische Abwicklung der Verwaltungsleistung" vorschreiben. Außerdem soll die Verwaltung den Bürgern künftig ein Online-Postfach bieten, über das sie "medienbruchfrei" mit den Behörden kommunizieren können. Eine Frist ist jedoch nicht mehr geplant. Es handle sich um eine "Daueraufgabe", schreibt das BMI.

„Verbranntes Geld“

(Bild: Jesco Denzel)

Anke Domscheit-Berg ist digitalpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag. Sie hat die Umsetzung des OZG in den vergangenen Jahren intensiv verfolgt, unter anderem durch Gespräche mit Vertretern von Kommunen und durch Anfragen an die Bundesregierung. Im c’t-Interview fordert sie den Bund auf, Lehren aus der gescheiterten OZG-Umsetzung zu ziehen.

c’t: Frau Domscheit-Berg, wie lautet Ihr Fazit zum Onlinezugangsgesetz?

Anke Domscheit-Berg: Es war ein Rohrkrepierer mit Ansage. Man hat von Anfang an fundamentale Fehler gemacht, die man schon vor fünf Jahren hätte sehen können. Es fehlten Standards, Basisdienste und Verbindlichkeit und das Ziel war Schaufensterdigitalisierung statt Ende-zu-Ende-Digitalisierung. Kommunen wurden kaum unterstützt, obwohl sie für die Dienste mit den höchsten Nutzerzahlen zuständig sind.

c’t: Der Bund hat mit dem Corona-Konjunkturpaket rund 1,6 Milliarden Euro für Länder und Kommunen bereitgestellt. Kann man da wirklich sagen, dass sie im Stich gelassen wurden?

Domscheit-Berg: Von den 1,6 Milliarden flossen bis November nur 386 Millionen ab, auch weil viele Länder die Mittel nicht an die Kommunen durchreichen. Der Bundesregierung ist das offenbar egal. Auf meine Anfrage konnte sie nicht einmal sagen, welche Länder das Geld an Kommunen weitergeben. Mir erzählten Bürgermeister in Brandenburg, dass sie null Ressourcen für die OZG-Umsetzung haben, und deshalb da nichts machen. Andere beklagten fehlende Informationen und Planbarkeit.

c’t: Gibt es nicht trotzdem positive Ergebnisse? Die Frist Ende 2022 wird zwar verfehlt, aber die Behörden bieten mehr Online-Anträge als vorher und arbeiten intensiv an weiteren.

Domscheit-Berg: Dass es immerhin kleine Fortschritte gibt, liegt daran, dass sich die Welt in fünf Jahren einfach weitergedreht hat. Und daran, dass wir eine Pandemie hatten, in der mehr Menschen verstanden haben, dass Digitalisierung elementar ist. Doch wenn es keine vernünftigen Schnittstellen zwischen dem Online-Antragsformular und der jeweiligen Fachsoftware innerhalb der Behörden gibt, bringt die Schaufensterdigitalisierung auch nichts. Beispiel: digitaler BAföG-Antrag. Der hat weder den Studierenden etwas gebracht noch der Verwaltung. Das war einfach nur verbranntes Geld.

c’t: Welche Lehren sollte die Bundesregierung daraus ziehen?

Domscheit-Berg: Sie muss auf Ende-zu-Ende-Digitalisierung setzen. Dafür braucht es schnellstmöglich Basisdienste zum Beispiel für Identifizierung und Bezahlung, sowie Standards für Schnittstellen, Datenfelder und Prozesse. Nur dann kann bundesweit die Verwaltungsdigitalisierung funktionieren.

c’t: Woher sollen diese Standards kommen? Wenn der Bund sie festlegt, dürfte das nicht alle Bundesländer erfreuen.

Domscheit-Berg: Man braucht Konsens mit den Ländern und dafür bessere Prozesse. Im Moment entscheiden Bund und Länder im IT-Planungsrat über Standards, und der trifft sich zweimal im Jahr für ein paar Stunden. Das ist ein unfassbarer Flaschenhals. Die Bundesregierung antwortete im Sommer auf meine Anfrage, dass es ohne Standards nicht geht. Aber der IT-Planungsrat hat das Thema erst für März 2023 auf der Agenda. Dann ist wieder ein halbes Jahr verloren.

c’t: Im Entwurf für das OZG 2.0 ist von einer vollständigen elektronischen Abwicklung die Rede. Was müsste außerdem in das Gesetz hinein?

Domscheit-Berg: Mehr Unterstützung für die Kommunen, und wichtig ist das Mehrkanalprinzip. Egal, ob eine Bürgerin in der Behörde auftaucht, anruft oder ein Onlineformular ausfüllt, die Daten müssen am Ende an der gleichen Stelle ankommen und in ein- und demselben Fachverfahren bearbeitet werden. Das erfordert vorab eine Prozessoptimierung. Nur so erreicht man sowohl Nutzerfreundlichkeit und kürzere Bearbeitungszeiten als auch Entlastung in der Verwaltung.

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(cwo)