Stimmt es, dass mehrere Covid-Infektionen das Immunsystem schwächen?​

Gesundheitsminister Lauterbach sprach in einem Interview von Hinweisen aus unveröffentlichten Studien und vielen Betroffenen. Was dahinter steckt.

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(Bild: BlurryMe/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery-Kessler
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Die Warnung Karl Lauterbachs klang eindrücklich im Interview mit der Rheinischen Post. Der Gesundheitsminister sagte jüngst: "Es ist bedenklich, was wir bei Menschen beobachten, die mehrere Corona-Infektionen gehabt haben. Studien zeigen mittlerweile sehr deutlich, dass die Betroffenen es häufig mit einer nicht mehr zu heilenden Immunschwäche zu tun haben." Das könne ein Risikofaktor für die Entstehung chronischer Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Problemen bis Demenz sein.

Er verfolge die Studien, diskutiere mit Experten und all diese Informationen wiesen darauf hin, "wenn jemand nach zwei Infektionen ein stark gealtertes Immunsystem hat, ist es ratsam, dass er weitere Covid-Infektionen vermeidet." Dabei sagte Lauterbach auch, dass die entsprechenden Studienergebnisse noch nicht veröffentlicht seien. Das alles sei noch nicht sicher und werde intensiv erforscht.

Was also hat es mit der Warnung auf sich? Da das Interview selbst zunächst hinter einer Bezahlschranke stand (inzwischen kann man es hier lesen), zitierten die Medien nur Auszüge und dabei ging zuweilen der Kontext verloren. Der Gesundheitsminister sprach nämlich von Long-Covid-Symptomen, zu denen auch Schäden am Immunsystem gehören können. Bereits bekannt sind zum Beispiel Autoimmunprobleme, wenn sich die Körperabwehr gegen eigenes Gewebe wendet und es wie einen Erreger angreift. Wie die Infektionen das auslösen, dafür gibt es verschiedene Theorien. Abschließend geklärt ist es noch nicht. Dazu kam noch ein Autorisierungsfehler: Die Zeitung hatte eine Änderung von "nicht zu heilende Immunschwäche" zu "Immunschwäche, deren Dauer wir nicht kennen" nicht rechtzeitig vor der Veröffentlichung erhalten.

Tatsächlich ist Long Covid durch die hohen Fallzahlen deutschlandweit und global gesehen gar nicht so selten. Schätzungen schwanken, gehen aber mehrheitlich von fünf bis zehn Prozent aus. Allerdings behalten nicht alle Betroffenen Autoimmunstörungen oder andere Immunprobleme zurück. Impfungen und Booster können das Long-Covid-Risiko wohl senken, aber nicht eliminieren.

Weniger bekannt ist Lauterbachs Hinweis auf das potenzielle Altern des Immunsystems bei Long Covid. Tatsächlich aber wird seit einiger Zeit untersucht, ob Covid-19-Infektionen auch die Zahl bestimmter Immunzellen verringern könnten. Diese sogenannten naiven T-Zellen, die man auch als untrainiert bezeichnen könnte, werden nach Kontakt mit Erregern zu trainierten T-Gedächtniszellen. Sie sorgen dann bei erneutem Kontakt für eine schnellere Bekämpfung des Erregers. Kinder und jungen Menschen haben mehr naive T-Zellen als Ältere, weil sie mit fortschreitendem Alter weniger nachproduziert werden.

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Weil diese Verminderung der naiven T-Zellen nach Corona-Infektionen auch bei Kindern beobachtet wurde, deren Vorrat damit vorzeitig vermindert sein könnte, sprechen Experten von einem Altern des Immunsystems. "Derzeit bekommen Immunologen Befunde, die suggerieren, dass diese Alterung des Immunsystems bei Kindern nach Coronainfektion viel fortgeschrittener ist, als man es erwarten würde", sagte etwa der Virologe Christian Drosten im Interview mit dem Tagesspiegel.

Dabei ist allerdings noch ungeklärt, ob es sich um ein dauerhaftes Problem handelt, oder ob die Zahl sich mit der Zeit regenerieren kann. Unklar ist auch, welche Folgen das hat. Eindeutige Belege für gehäuften Krankheiten, die hierauf zurückzuführen wären, gibt es bisher nicht. Das Thema wird in Fachkreisen durchaus stark diskutiert, und dabei teilweise öffentlich und recht heftig über Twitter ausgetragen. Es gibt Fachpublikationen, die Symptome beschreiben, die Ursache aber nicht zweifelsfrei bei Covid-19-Infektionen festmachen können.

"Ich kenne keine Studie, die über wiederholte SARS-CoV-2-Infektionen und damit zusammenhängenden anhaltenden oder dauerhaften Immunbeeinträchtigungen publiziert wurde", sagt auch der Virologe Andreas Dotzauer von der Universität Bremen. Es gäbe aber eine Vielzahl von Untersuchungen, die verschiedenste Einflüsse der Infektion sowohl auf das angeborene als auch auf das adaptive Immunsystem zeigen, so Dotzauer.

Dazu gehörten zum Beispiel fehlerhafte Regulationsprozesse, Autoantikörper-Antworten und chronische Entzündungen. "Die bisherigen Befunde lassen nach meinem Kenntnisstand die Vermutung zu – mehr aber auch nicht, dass Mehrfachinfektionen, aber auch einzelne Infektionen, zu länger anhaltenden Beeinträchtigungen von Komponenten des Immunsystems führen können." Im Fall Mehrfachinfektionen gäbe es Hinweise auf ein zunehmendes Risiko von Organschäden von Herz bis Bauchspeicheldrüse. Dazu gehören zum Beispiel große Studien von US-Forschern um den Epidemiologen Ziyad Al-Aly von der Washington University, die etwa im Fachjournal "Nature" erschienen sind.

Nun kann man darüber diskutieren, wie man mit unveröffentlichten Ergebnissen umgeht. War es berechtigt, auf ihrer Basis Warnungen auszusprechen, die – wie es bei Interviews oft der Fall ist – verkürzt und damit verzerrt rüberkommen können?

Im Verlauf der Pandemie sind viele Medien und auch Wissenschaftler verstärkt dazu übergegangen, bei großer Fallhöhe sozusagen auch über vorläufige Fachartikel zu berichten. Es ist allerdings ein zweischneidiges Schwert. Wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass es sich um ein Preprint handelt, das die übliche Gutachter-Prüfung (Peer Review) noch nicht durchlaufen hat. Wichtig ist auch, ausreichend zu belegen, warum man vorzeitig berichtet.

Bei Interviews gilt aber nochmal eine besondere Sorgfaltspflicht, weil man nur verkürzen und zusammenfassen kann. Handelt es sich um ein in Fachkreisen vieldiskutiertes Forschungsthema, bei dem sich bestimmte Hinweise in Preprints mehren, kann man schon darüber berichten. Aber es ist besonders wichtig, die Fallhöhe klarzumachen. Das hat Lauterbach getan. Dazu gehört aber auch, wie groß das Risiko ist oder warum man auch bei einem niedrigeren Risiko – etwa bei global vielen Fällen – ein Auge auf diese Forschung haben muss. Insbesondere gehört dazu, nicht übertrieben zu warnen. Wenn Lauterbach ohne Details von "häufig" spricht, ist das wenig hilfreich. Hier müssen Politiker wie Wissenschaftler noch sorgfältiger werden.

(vsz)