Opposition warnt vor umfassender Internet-Überwachung

Die neuen Vorstöße von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen gegen einen "rechtsfreien Chaosraum Internet" sind bei Linken, Grünen und Zensurgegnern auf scharfe Ablehnung gestoßen.

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Der neue Vorstoß von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen gegen einen "rechtsfreien Chaosraum Internet" sind bei Linken, Grünen und Zensurgegnern auf scharfe Ablehnung gestoßen. Mit ihrem wiederholten Aufruf zu einer Grundsatzdebatte über das "richtige Maß" von "Meinungsfreiheit, Demokratie und Menschenwürde im Internet" und der indirekten Forderung nach Maßnahmen gegen einen "rechtsfreien Chaosraum, in dem man hemmungslos mobben, beleidigen und betrügen kann", bestätige die CDU-Politikerin alle Befürchtungen, erklärte Petra Pau, Mitglied im Vorstand der Bundestagsfraktion der Linken. Der "Kampf gegen Kinderpornographie" habe von der Leyen offenbar nur als Einstieg in eine weitergehende Zensurdebatte gedient. Das Wesen des Internets besteht für Pau dagegen "gerade darin, sich nicht beherrschen zu lassen". Wer es dennoch versuche, "spielt eine Ritterin der traurigen Gestalt".

Ähnlich äußerte sich Claudia Roth, Bundesvorsitzende der Grünen: "Wie wir Grünen es bereits befürchtet haben, kommen nun schon die Vorschläge für eine größere und umfassendere Überwachung im Internet." Dabei sei das umstrittene Zugangserschwerungsgesetz für kinderpornographische Webseiten noch nicht einmal in Kraft. Von der Leyen wolle so offenbar in die Fußstapfen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) treten, der sich vor allem mit seinem Eintreten für heimliche Online-Durchsuchungen und Diskussionen über die Terrorbrutstätte Internet bei den Grünen nicht beliebt gemacht hat.

Das Netz droht laut von der Leyen trotz ständiger Regulierungsmaßnahmen in eine Sphäre zu entarten, "in dem man hemmungslos mobben, beleidigen und betrügen kann". All das könne man im Internet tatsächlich tun, hält ihr der Rechtsanwalt Udo Vetter in einem Blogeintrag entgegen. "Genau so, wie man es im wirklichen Leben tun kann, zum Beispiel Angesicht zu Angesicht, per Brief, Fax oder Telefon. Aber egal, wie man es macht – es ist strafbar und wird verfolgt. Auch im Internet." Von der Leyen münze zudem das Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat in einen Handlungsauftrag des Staates um. "Plötzlich ist die Menschenwürde ein Grund für staatliches Eingreifen", schreibt der Jurist. "Der Staat schützt die Menschenwürde seiner Bürger, indem er Dritten den Mund zuhält oder durch Stoppschilder dafür sorgt, dass sie im Internet nicht mehr gelesen, gesehen und gehört werden können."

Der Wunsch nach Sauberkeit im Netz zielt laut Vetter auf "geschmacklose, unbequeme und für einzelne sicher auch schmerzhafte Inhalte", die sich – gedeckt durch die in anderen Ländern stärker geachtete Meinungsfreiheit – nicht bestrafen und abschalten lassen: "Was mit dem Strafgesetzbuch nicht greifbar ist, aber trotzdem das Volksempfinden, repräsentiert durch Polizeikommissar Hinz und Staatsanwalt Kunz, stört, soll raus aus dem Internet. Oder jedenfalls nicht mehr sichtbar sein." Offensichtlich setze sich in Politikerkreisen die Auffassung durch, "dass eine deutlich größere Gruppe als der Stammtisch es gut finden wird, wenn der Staat den Robocop im Internet gibt, dort mit eisernem Besen säubert." Die Meinungsfreiheit werde zugleich "als Sondermüll entsorgt".

Auch für den Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur ist nun klar, dass es von der Leyen "um die Etablierung einer umfangreichen Infrastruktur zur Internetkontrolle" geht. Dabei schrecke die Ministerin auch nicht vor Falschaussagen zurück. So stünden die von ihr zunächst in den Blick genommenen Server mit Darstellungen von Kindesmissbrauch nicht in obskuren Bananenrepubliken, sondern "unbehelligt in den USA und Westeuropa einschließlich Deutschlands". Von der Leyen scheine das Internet als allgemeines "Feindbild" ausgemacht zu haben und die "Kampfzone" deutlich erweitern zu wollen. Es gehe ihr "nicht mehr nur um gesellschaftlich einvernehmlich geächtete Schwerstkriminalität, sondern auch um individuelle Moralvorstellungen und Benimmregeln". Dabei wäre es dumm, gerade im Netz jemanden beleidigen oder betrügen zu wollen. Die Aufklärungsquote von Straftaten im Internet liege nämlich über 50 Prozent höher als bei Delikten ohne Netzbezug.

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(Stefan Krempl) / (jk)