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Was war. Was wird.

Die Flüsterer erstehen neu, befürchtet Hal Faber. Ach, lassen wir das lieber, schließlich könnte uns auch der Himmel auf den Kopf fallen oder das Zeitalter des Wassermanns doch noch wirksame Auswirkungen haben.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Es kann einem in den vergangenen Monaten das umheimliche Gefühl beschleichen, das Internet ist in Gefahr, sich in eine neue, diesmal virtuelle Umgebung für Flüsterer zu entwickeln. All die Angst um den Schutz der Privatsphäre, all die Warnungen, man solle doch um Himmels willen nichts von sich in Social Networks preisgeben, all die Horrorgeschichten von Forenbeiträgen, die den Postern das Leben versauen: Wird da gerade eine neue Generation von Digital Natives herangezüchtet, die aus Angst vor der Auswertung gespeicherter Daten gar nichts mehr von sich preisgibt, gar keine Position mehr beziehen will? Die Angst vor den Social Networks, vor den Foren, vor der Unvergesslichkeit des Internet wird zu einer Gefahr für die Meinungsfreiheit, allgegenwärtige Datenauswertung führt zur Schere im Kopf, da ist bald gar keine Zensur, sind gar keine Websperren mehr notwendig. Das "Leben in der Angst" droht sich auch im Internet breitzumachen. Irgendwann brauchts dann den höflichen Cyber-Cop nicht mehr, da es eh nichts mehr zu kontrollieren gibt.

*** Aber wer kann schon was gegen Kontrolle haben, wenn wir alle in Sicherheit leben, schallt es uns entgegen. Was für ein Mantra. Oder verstehen wir da alles was falsch? Es ist wohl Zeit für eine kleine Meditation über die Ungerechtigkeit dieser Welt. Vor fünf Jahren suchte die Welt Schutz vor W32-Blaster. Die westliche Zivilisation war in Gefahr, Experten erörterten die Möglichkeit, dass uns der Himmel auf den Kopf fallen könnte oder so. Und heute will sich niemand an den Blaster erinnern, allenfalls ein Wikipedia-Eintrag ist übrig, komplett mit einem Link, der sich über die Berichterstattung im wunderbaren Heiseticker lustig macht. Dabei können die Verdienste des Blasters gar nicht hoch genug angesiedelt werden. Er wühlte Bill Gates so auf, dass er sich mit einer Mail an die interessierte Weltöffentlichkeit wandte und Microsoft zur sicheren Bank erklärte. Jetzt werden Leser lächeln, aber der Blaster änderte wirklich etwas. Er führte direkt zum Service Pack 2 und der Online-Aktualisierung von Microsoft-Produkten, die heute selbstverständlich ist. Ein kleiner Schritt für den IT-Experten, ein großer Schritt für Microsoft, dass Online zuvor nur als Möglichkeit zur Windows-Authentifizierung wahrgenommen hatte. Auf einen vergleichsweise harmlosen Schädling hat das digitale Immunsystem nicht nur von Microsoft umfassend reagiert. Heute ist Blaster vergessen: Die Welt ist eben ungerecht.

*** Ganz anders Woodstock. Ausführlich werden die drei Tage des Friedens und der Musik Glücks gewürdigt, die vor 40 Jahren über die Bühne gingen. All das, weil Farmer Yasgur eine miserable Heuernte eingefahren hatte und sein Land billig vermietete. So konnte eine aquarianische Expedition aufs Land ziehen und im Zeichen des Wassermannes gegen den Regen anklatschen. Ganz vergessen: Der Anfang vom Niedergang der Hippies rettete Warner Music vor dem Bankrott. Die Film- und Musikrechte an der Geschichte gehören bis heute zu den Rennern im Content-Business, mit Forderungen, vor denen selbst die reiche ARD diese Woche kapitulieren musste. Der Sommer der Liebe kostete 2,4 Millionen Dollar, der Verkauf der Rechte an Warner brachte 30 Millionen ein, das geschätzte 1,5 Milliarden an der lukrativen Mobilie verdiente. Wie heißt es so schön? Die Welt ist ungerecht. Meditieren wir lieber über Stewart Brand, der in Woodstock die nicht funktionierende Security besorgte und später das Wort vom "Personal Computer" kreierte. Das muss doch etwas bedeuten.

*** Zu den vielen Geschichten um Woodstock gehört die Episode, die der politische Aktivist Abbie Hofman in seinem Buch Woodstock Nation als "Tussle" zwischen ihm und Pete Townshend von den Who beschreibt. Auf einem LSD-Trip wollte Hoffman in einer Spielpause der Who ans Mikro und zum massenhaften Protest über die Verhaftung von John Sinclair aufrufen. Der Legende nach knallte ihm Townshend seine Gitarre an den Kopf, doch davon gibt es keine Bilder, nur einen Audiomitschnitt, den die Who veröffentlichten: Townshend knallte eine Reihe von Gibson-Gitarren kaputt, doch hätte er sie auf einen Menschen gerichtet, hätte Les Paul interveniert. Nun ist der große Gitarrenbauer gestorben, der nicht nur als entscheidender Weiterentwickler der E-Gitarre, sondern auch der Mehrspuraufnahmen und des Overdubbing Musikgeschichte schrieb. Draußen weinen die Gitarren – oder darf es lieber ein fetziger Townshend-Akkord sein? Klingt es zu kühl? Wenn überhaupt, möchte ich mit meiner Fender und meinem Thinkpad beerdigt werden: Es gibt Geräte, die könnte weder ein Les Paul noch ein gerade in der FAZ auftretender G^tt besser schaffen.

*** Schalten wir kurz zu einer anderen Open-Air-Veranstaltung, die bereits im WWWW der letzten Woche Thema war. Die von der taz boykottierten Leichtathleten kämpfen in Berlin, den Landesdatenschützer ignorierend, um Ruhm, Ehre und Knete. Dicke Männer schubsen Metallklumpen durch die Luft, dünne Männer machen sich einen Spaß beim Hundert-Meter-Jogging: Ach ja, ein Sommerabend im deutschen TV. Der – auch das stand im letzten WWWW – hartnäckig von Klagen verfolgte Sportjournalist schreibt: "Kein Sicherheitscheck am Presse-Eingang, kein Scanner. Mag sein, dass die Maschine erst geliefert werden muss. Kann auch sein, dass die Sicherheitsüberprüfungen der Strafverfolgungsbehörden erfolgreich waren. Ich bin kein Terrorist! Ich bin keine Gefahr! Das Wetter ist auch wunderbar." So sieht es aus, wenn Deutschland unter der Terrorsonne glüht und bekannt wird, dass bei uns hervorragend Terrorgefängnisse geplant werden können. Es ist zum Davonlaufen. Aber selbst Usain Bolt kann die Ungerechtigkeit der Welt nicht einholen. Sie ist uneinholbar. Und Usain Bolt bleibt nur, Faxen zu machen.

*** Ach, da ist noch eine Veranstaltung unter freien Himmeln, wo Hacker brutzeln und ihre Häcksen ächsend die Kinderwagen über Heidehügel schieben lassen. Wo Quadcopter mit Wasserbomben Seiten-Attacken fliegen oder schlicht gelöcherte Bierbecher über der zeltenden Community ausgießen. Nur hin in die Freiheit da draußen? Wo mitten in der Nacht im ach so sicheren GSM-Netz eine SMS an alle geschickt wird, die freundlich aufklärt, welche IMEI-Nummer das Handy hat und es ein Netz namens "42" gibt, wo man sich einloggen kann, Vorwahl natürlich "23". Zahlreiche Plakate und Zettel künden vom Worldwide Action Day Freedom not Fear und auch davon, dass Drachen landen werden. Teilnehmer lernen unter heißen Himmeln, dass GSM Schrott aus den 80ern ist und Informationen fließen wie Wasser.

*** Drachen? Hogwart-Drafoys? Ordentliche deutsche Lindwürmer, die rechtschaffen allerlei Gesocks erledigen? Gemeint sind anno 2009 wohl kleine grüne Drachen. Die echten Drachen werden anderswo erlegt, wie der anlaufende Wahlkampf zeigt. Die kunstvoll verschleppten DNS-Sperren sollen auf rechtsextreme Inhalte erweitert werden, die kleine, unreife Kinder gefährden und unglaublich Überhand nehmen. Danach sind Webseiten dran, die für das Flatratesaufen werben, danach die Kindheits-Gefährder von den Imageboards. Ach, die stehen ohnehin auf der berüchtigten BKA-Liste? Gut, dass wir geredet haben.

*** Und wie ist das mit der Piratenpartei? Welche Verrenkungen führt ein Schattenminister auf, wenn er erklärt: "Die Piratenpartei wird eine vorübergehende Erscheinung sein. Das Internet gehört allen und wir werden es nicht zulassen, dass es sich eine kleine Minderheit aneignet und selbst die Regeln bestimmen möchte. Ich finde die Piratenpartei intolerant." Gelebte Demokratie hieß der Slogan unter Willy Brandt, als er zur Bundestagswahl antrat, nach der der Radikalenerlass in Kraft trat. Im Umgang mit kleinen Minderheiten ist Deutschland Weltspitze, historisch betrachtet in Ost wie West. Was danach kommt, hat der oberste Gewerkschaftler hübsch beschrieben. Die Menschen werden aufwachen und sich die Augen reiben.

*** Verwundert die Augen reibt man sich auch, was sich mancher Verleger so vom Internet erwartet. Mit den Zeitungen, da will es nicht mehr so richtig, da begibt man sich auf die Suche nach dem virtuellen El Dorado. David Byrne, ja, der David Byrne, macht übrigens eine ganz eigene Rechnung auf, was Zeitungen angeht: Regionalismus und Klassenbewusstsein erlauben es in Großbritannien immer noch vielen Zeitungen, zu existieren – und der heftige Kampf um die schmierigste Promi-Sensation. Aber eine Zeitung für die linke Boheme, etwa die Liberation (oder, in dem Fall, die taz), die hat offensichtlich in Großbritannien bereits keine Chance mehr. Derweil kann man nur hoffen, dass sich die Bild-Zeitung kein Beispiel an britischen Boulevard-Zeitungen nimmt: Verglichen mit der Sun besteht Kai Dieckmanns Truppe geradezu aus Musterknaben.

*** Nun gibt es Bereiche, in die begibt sich kein Mitarbeiter der Bild-Zeitung, da nicht einmal er selbst glaubt, er verstünde etwas davon, was da vorgeht. Große Trauer verbreitete sich, als der Tod von Rashied Ali bekannt wurde. Ali war der Freejazz-Drummer, der die improvisierte Musik stützte und vorantrieb; Ali brach mit John Coltranes  letzter Band zu musikalischen Ufern auf, die auch heute noch kaum jemand erreicht. Dabei schaffte er es immer, dass in der Freiheit der Rhythmus spürbar blieb.

Was wird.

Die Wahl kommt immer näher und es wird richtig lustig. Da gibt es Satire und Parodie, Pariere und Sato Dye-Labels. Gut gemischt? Es kommt noch besser! Nun gibt es schließlich das deutsche Currywurstmuseum. Der einzige Ort, wo man noch die Wahl hat: rot-weiß oder weiß-rot? Nicht Merkel oder Steinmeier, sondern die Currywurst rettet die Welt. Aber wo kann man sie wählen? Jede deutsche Currywurst ist besser als das, was die derzeitigen Politiker bieten. Die Demokratie und den Wähler ernst nehmen, das ist zur Zeit schwer aus der Mode. (Hal Faber) / (jk)