Illegale Krankendaten vertiefen Krise der Östereichischen Bundesbahnen

Die ÖBB haben seit Jahren rechtswidrigerweise Daten über Krankheiten tausender Mitarbeiter gesammelt. Nicht Leistung, sondern Gesundheit soll häufig die Karriereentwicklung entschieden haben.

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Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) stecken tief in der Krise: Hohe Verluste mit Finanzgeschäften, fragwürdige Frühpensionierungen in erstaunlichem Ausmaß, unpopuläre Pläne zur großräumigen Schließung von Regionalbahnen, umstrittene Infrastrukturinvestitionen und Videoüberwachungsanlagen und trotz regelmäßiger Preiserhöhungen ein enormes Finanzloch. Und dazu gesellt sich nun auch noch ein veritabler Datenskandal, bei dem neben dem Management auch die Belegschaftsvertretung schlecht aussieht. Die ÖBB haben seit Jahren rechtswidrigerweise Daten über Krankheiten tausender Mitarbeiter gesammelt. Nicht Leistung, sondern Gesundheit sollen häufig die Karriereentwicklung entschieden haben. Nachdem die Datensammlung ruchbar geworden war, wurde sie im Geheimen fortgesetzt.

Nach einer stundenlangen Aufsichtsratssitzung am Dienstag wird das Bild etwas klarer. Das "System Nigl" soll unter dem im Juli diesen Jahres abgelösten Personalchef Franz Nigl etabliert worden sein. Tausende Mitarbeiter sollen unter der Androhung einer Kündigung dazu gezwungen worden sein, über ihre Krankheiten Auskunft zu geben und Diagnosen zu nennen. Insbesondere "Rückkehrgespräche" nach Krankenständen sollen sehr intensiv geführt worden sein. Dabei ist allein schon die Frage nach der Diagnose rechtswidrig.

Österreichische Medien berichten von Fällen, in denen Vorgesetzte darauf bestanden haben sollen, beim eigentlich vertraulichen Gespräch zwischen Mitarbeiter und Betriebsarzt anwesend zu sein. In einem anderen Fall soll ein ÖBB-Bediensteter so lange gepiesackt worden sein, bis er eine HIV-Infektion zugab. 2007 kam Verdacht auf, woraufhin eine interne Datenschutzkommission eingerichtet wurde. Ihr Vorsitzender hieß Franz Nigl.

Im Mai 2008 wurde die Angelegenheit im Aufsichtsrat, in dem auch Belegschaftsvertreter sitzen, thematisiert. Nigl soll mit einem Mitarbeiter daraufhin ein so genanntes "Erledigungsschreiben" für den Vorstand verfasst haben. Tenor: Da ist nichts dran. Die Gewerkschaft unterstützte daraufhin einige Mitarbeiter bei einschlägigen arbeitsrechtlichen Prozessen. Laut Gewerkschaft haben die ÖBB vor Gericht beteuert, keine Krankendaten mehr zu erheben.

Im September 2008 verlangte die interne Datenschutzkommission dennoch die Einstellung der Datenerfassung in drei Teilgesellschaften. Im Dezember sollte mit einem Schreiben auf eine schnelle Entscheidung gedrängt werden – Nigl wird nachgesagt, dieses von der Kommission aufgesetzte Schreiben nie abgeschickt zu haben.

Tatsächlich dürfte es aber seit der Aufforderung im September 2008 keine strukturierten Datensammlungen über Diagnosen und Krankheiten im zentralen SAP-System mehr geben. Stattdessen stellten die Personalverantwortlichen auf Lokalbetrieb um: Sie sollen auf anderen Computern Excel-Dateien erstellt und weiter rechtswidrig die gleichen Informationen wie zuvor gesammelt haben.

Vorvorige Woche griffen österreichische Medien das Thema auf. Seither sickern nach und nach Information durch. Die Unternehmensspitze weist jede Schuld von sich, der Aufsichtsratschef Horst Pöchhacker hält an ÖBB-Chef Peter Klugar fest und will ihm ein Mehdorn-Schicksal ersparen. Auf der Unternehmenswebsite findet sich nur eine dünne Pressemitteilung. Dem Gewerkschafter Wilhelm Haberzettl wird vorgeworfen, das Thema öffentlich gemacht zu haben, anstatt es nur intern im Aufsichtsrat zu besprechen.

Begründet werden die illegalen Datensammlungen mit einer hohen Anzahl von Krankenstandstagen. Sie bewegten sich zeitweise, aber nicht immer, in dem im öffentlichen Dienst üblichen Bereich, der deutlich über jenem der Privatwirtschaft liegt. Die zuständige Versicherung VAEB zeigte sich am Dienstag im ORF-Radio aber gar nicht besorgt über hohe Fehlzeiten der Eisenbahner. Die VAEB betont, keine Diagnosedaten an die ÖBB weitergegeben zu haben. Die Kontrollbesuche bei krank gemeldeten ÖBB-Mitarbeitern führt eine Tochterfirma der VAEB durch. Wie die Zeitung Der Standard berichtete, sind die ÖBB an diesem Unternehmen mit einer Sperrminorität beteiligt. (Daniel AJ Sokolov) / (jk)