Gute Kurven, böse Kurven

Festgelegte Fahrzyklen suggerieren objektive Abgas- und Verbrauchswerte. Dabei liegen sie oft weit neben der Realität – und werden gern ausgetrickst.

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Von
  • Gernot Goppelt
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Festgelegte Fahrzyklen suggerieren objektive Abgas- und Verbrauchswerte. Dabei liegen sie oft weit neben der Realität – und werden gern ausgetrickst.

So sieht eine gute Emissionskurve aus: Sie steigt kurz nach Testbeginn leicht an und verweilt dann auf niedrigem Niveau, weit unterhalb jeglichen Grenzwertes. Die böse dagegen schießt nach wenigen Sekunden fast senkrecht nach oben. Beide Kurven stammen vom selben Auto und zeigen die gleiche Schadstoffklasse, nämlich Kohlenwasserstoffe. Einziger Unterschied: Die gute Kurve stammt von einem warmen Motor, die böse von einem kaltem.

Gute Kurven, böse Kurven (5 Bilder)

Auf der Rolle: Der Monitor gibt die Geschwindigkeit vor. (Bild: Dekra)

Zoo von Zyklen

Das Beispiel zeigt: Bei der aktuellen Debatte um Auto-Emissionen reicht es nicht, nur über Grenzwerte zu sprechen – zusätzlich muss berücksichtigt werden, wie diese Werte zustande kommen. Denn bislang existiert ein ganzer Zoo an Zyklen, die das alltägliche Fahrverhalten auf Rollenprüfständen nachvollziehbar machen sollen. Allein in den USA muss ein Fahrzeug für seine Typzulassung sechs verschiedene Zyklen durchlaufen. Japan hat ein eigenes Zyklen-Paket, die Europäer haben 1996 den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) als Basis für Abgas- und Verbrauchswerte eingeführt. Dazu kommen noch Zyklen von Organisationen wie dem ADAC, die zwar nicht zulassungsrelevant, aber Grundlage für Kaufempfehlungen und Rankings sind.

Nachteile fĂĽr Dieselmotor

Die Zyklen haben direkten Einfluss auf die Motorauslegung. „Gerade der US06-Test ist die größte Herausforderung für Dieselmotoren“, sagt Klaus Land, Senior Manager für Abgaszertifizierung bei DaimlerChrysler. Dabei handelt es sich um eine scharf gefahrene Highway-Strecke, die den Motoren sehr viel Leistung abverlangt. Was den Benzin-Motor freut – der Katalysator kommt schnell auf Betriebstemperatur – macht dem Diesel zu schaffen, denn unter diesen Bedingungen erzeugt er viel Stickoxid (NOx).

Spezielle Katalysatoren fĂĽr die USA

Die Kombination des anspruchsvollen Zyklus mit strengen NOx-Grenzwerten führt dazu, dass selbst die umweltfreundlichsten europäischen Diesel wie der Polo BlueMotion in den USA nicht zulassungsfähig wären. VW, Audi und Mercedes bieten in den USA deshalb spezielle Stickoxid-Speicherkatalysatoren an. In Europa wird das aufwendige System aus Kostengründen nicht verkauft – es gibt kein europäisches Gegenstück zum US06-Zyklus.

Mehrverbrauch durch Klimaanlage

Weitere Unterschiede bei der Prüfung betreffen die Klimaanlage. In den USA ist ein eigener Zyklus mit 35 Grad Außentemperatur, künstlicher Sonneneinstrahlung und eingeschalteter Klimaanlage vorgeschrieben – in Europa gibt es nichts Vergleichbares, obwohl auch hier kaum noch ein Auto ohne Klimaanlage ausgeliefert wird. Das führt dazu, dass die Angaben europäischer Hersteller zum Kohlendioxid-Ausstoß jeweils „best case“-Werte sind, wie Heinz Steven anmerkt, der beim TÜV Nord Testzyklen entwickelt. Die Eidgenössische Materialprüfanstalt der Schweiz hat festgestellt, dass die Klimaanlage schon bei 30 Grad Außentemperatur zwischen 14 und 30 Prozent Mehrverbrauch verursacht.

ADAC mit eigenem Autobahnzyklus

Umstritten ist auch die Höchstgeschwindigkeit. Der NEFZ reicht bis 120 km/h. Genügt das, um das deutsche Fahrverhalten realistisch abzubilden? Der ADAC ist nicht dieser Meinung und hat einen eigenen Autobahnzyklus mit Vollgas-Beschleunigungen und einer Spitze von 130 km/h als Ergänzung des NEFZ entwickelt.