Halbgarer Kompromiss zu Internetsperren auf EU-Ebene

Vertreter des EU-Rates und des EU-Parlaments haben sich im Streit über eine Regelung zur "abgestuften Erwiderung" auf Copyright-Verletzungen beim offiziellen Treffen des gemeinsamen Vermittlungsausschusses geeinigt.

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Vertreter des EU-Rates und des EU-Parlaments haben sich in ihrem mehrmonatigen Streit über eine Regelung zur "abgestuften Erwiderung" auf Copyright-Verletzungen im Internet beim ersten offiziellen Treffen des gemeinsamen Vermittlungsausschusses am gestrigen Mittwochabend in Brüssel auf einen gemeinsamen Ansatz geeinigt. Der Kompromiss im Rahmen der Novellierung des Telecom-Pakets sieht vor, dass Maßnahmen der Mitgliedsstaaten rund um den Zugang zu oder die Nutzung von Diensten und Applikationen in elektronischen Netzwerken die in der Europäischen Menschenrechtskonvention und im Gemeinschaftsrecht dargelegten Grundrechte beachten sollen.

Zudem wird den EU-Ländern nahegelegt, vor dem Griff zu Mitteln wie dem Kappen von Internetzugängen gemäß dem "Three Strikes"-Modell den Nutzern vorher ein "faires und unparteiisches Verfahren" zu garantieren. Ferner soll das Recht auf eine "effektive und zeitnahe gerichtliche Überprüfung" einer entsprechenden Maßnahme zugesichert werden. Rechtsstaatliche Prinzipien wie die Unschuldsvermutung und das Recht auf Privatsphäre seien zu respektieren.

Die von einer breiten Mehrheit im Vermittlungsausschuss einschließlich der Stimmen von Oppositionsparteien wie den Grünen und den Piraten kurz nach Mitternacht am heutigen Donnerstag gebilligte Formulierung bleibt hinter den Forderungen der Abgeordneten aus der 1. und 2. Lesung der nun kurz vor dem Ende stehenden Neufassung der Regulierungsvorschriften für den Telekommunikationsmarkt zurück. Damals hatten sich die Parlamentarier klar dafür ausgesprochen, dass Eingriffe in die Grundrechte der Nutzer wie das Verhängen von Internetsperren nur nach einer entsprechenden Gerichtsentscheidung verhängt werden dürften.

Der EU-Rat lehnte diese Klausel sowie die bisherigen darauf basierenden Kompromissvorschläge der Abgeordneten aber immer wieder ab, und auch vom Juristischen Dienst des Parlaments gab es Bedenken, dass der ursprüngliche Änderungsantrag 138 mit dem derzeitigen Gemeinschaftsrecht nur schwer vereinbar sei. Allerdings hatte es im Lauf der monatelangen Debatten auch schon Vorschläge der Mitgliedsstaaten gegeben, zumindest eine vorherige Entscheidung eines "unparteiisches Tribunals" an Stelle des von den Abgeordneten gewünschten Gerichts treten zu lassen. Auch zu einer solchen Formulierung konnten die Verhandlungsführer nicht mehr zurückfinden.

Bürgerrechtler haben in ersten Kommentaren überwiegend enttäuscht auf die nächtliche Verständigung reagiert, die formal noch vom Plenum des Parlaments bestätigt werden muss. Der Text beziehe sich mit keinem Wort auf die vielfach geforderten verstärkten "freiwilligen Kooperationen" zwischen Rechteinhabern und Providern im Kampf gegen Urheberrechtsverstöße, moniert etwa die "European Digital Rights"-Initiative (EDRi). Länder wie Frankreich könnten zudem an ihren Gesetzen zu "Three Strikes"-Verfahren festhalten. Dies sei vor allem im Hinblick auf den Stand der Verhandlungen über das internationale Anti-Piraterie-Abkommen ACTA (Anti Counterfeiting Trade Agreement) gefährlich.

Jérémie Zimmemrmann, Mitgründer der Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net, sieht ebenfalls vor allem aus dieser Richtung weitere Gefahren für die Internetfreiheit und die Netzneutralität kommen. Der ausgehandelte Text zum Telecom-Paket enthalte kein eindeutiges Grundrecht auf Zugang zum Netz. Zumindest könne er aber andererseits doch als "rechtliche Munition" für den weiteren Kampf gegen Einschränkungen der Internetnutzung verwendet werden.

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