Faeser wird Schönbohm-Thema nicht los – Böhmermann bleibt kritikresistent

Faeser will keine Fragen zu Schönbohms vorschneller Versetzung beantworten – der Vorwurf verfolgt sie weiter. Böhmermann bügelt jede Kritik weiter ab.

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(Bild: Superstar/Shutterstock.com)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Falk Steiner
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Ob sie mit dem ehemaligen BSI-Präsidenten gesprochen habe, fragt heise online die Ministerin am Mittwochmittag, als Faeser das Onlinezugangsgesetz (OZG) 2.0 im Bundesinnenministerium vorstellt. Nancy Faeser (SPD) greift zu einem bereitliegenden Zettel und antwortet nicht auf die Frage – sondern erklärt: "Herr Schönbohm führt sein Amt als Präsident der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung. Dieser Wechsel hat schon längst stattgefunden. Entscheidend ist für mich nun, dass das BSI weiter zu stärken ist." Faeser sieht offenkundig keine Notwendigkeit, mit ihrem Behördenchef zu kommunizieren.

Eine Analyse von Falk Steiner

Falk Steiner ist Journalist in Berlin. Er ist als Autor für heise online, Tageszeitungen, Fachnewsletter sowie Magazine tätig und berichtet unter anderem über die Digitalpolitik im Bund und der EU.

Stattdessen will sie nach vorne blicken: "Als zentrale Cybersicherheitsbehörde des Bundes in besonders herausfordernden Zeiten. Ich freue mich sehr, dass demnächst erstmals eine Frau mit herausragender Expertise an die Spitze des BSI rückt. Ich habe Claudia Plattner hierfür gewinnen können, die bisherige Generaldirektorin für die Informationssysteme in der EZB. Sie bringt die internationale Erfahrung mit, die wir in diesen besonders herausfordernden Zeiten der Cybersicherheit und den Schutz unserer kritischen digitalen Infrastruktur brauchen. Sie tritt am 1.7. ihr Amt an und ich freue mich sehr darauf."

Grund genug, noch einmal bei ihrem Sprecher nachzufragen: Warum ist Claudia Plattner die bessere Wahl als der ehemalige Präsident? Er werde keine Vergleiche vornehmen, sagt in der Regierungspressekonferenz der Ministeriumssprecher Maximilian Kall, der früher schon für Christine Lambrecht tätig war.

Tatsächlich scheint Plattner gut qualifiziert für die Behördenleitung, hat als CIO bei DB Systel gearbeitet und als Generaldirektorin Informationssysteme bei der Europäischen Zentralbank. Anders als einst Arne Schönbohm, dessen Qualifikation bei seiner Benennung umstritten war, der im Laufe der Jahre aber wenig konkrete Gründe für Kritik bot und unter dem die Bonner Behörde einen großen Kompetenzzuwachs und Stellenaufwuchs erlebte. Und die internationale Erfahrung? Als Schönbohm von seinem BSI-Posten durch das Innenministerium entfernt wurde, bekundete auf LinkedIn der damalige Chef der französischen Partnerbehörde ausdrücklich und öffentlich sein Bedauern.

Dass Plattner sich in der schwierigen Welt der Cybersicherheitsbehörden, von denen außerhalb Deutschlands ein großer Teil bei Geheim- und Nachrichtendiensten angesiedelt ist, und in der Welt der Debatten rund um Digitalregulierung besonders gut auskennen würde, ist bislang jedenfalls nicht aufgefallen. Dass sie erfolgreich sein muss, wenn sie das Amt antritt, weil Faeser sich keinen Fehlgriff leisten kann, spielt ihr dabei allerdings in die Karten: Eine zu schwache Präsidentin würde Faesers Umgang mit dem BSI noch einmal in ein anderes Licht rücken.

Unterdessen streitet ZDF-Entertainer Jan Böhmermann, der mit seiner Sendung ZDF Magazin Royale offenbar den Anstoß für die Entfernung Schönbohms von der BSI-Leitung gab, weiter jeden Fehler ab. Auf Twitter reagierte Böhmermann auf einen Bericht des zu Axel Springer gehörenden Business Insider: "das liest sich ja in Eurem Artikel nun geradewegs so, als habe es die vom @zdfmagazin nachgewiesene Nähe von Schönbohm zum zwielichtigen CSRD_eV nie gegeben. Oder das (in der Nähe zum CSRD_eV begründete?) Wegsehen bei der russischen Proxy-Firma Protelion?"

Protelion, deren Berliner Adresse nur wenige Meter vom Auswärtigen Amt entfernt liegt, war der eigentliche Aufhänger der Böhmermann-Geschichte. Die Firma ist eine Tochter des russischen IT-Unternehmens Infotecs (im russischen Infoteks geschrieben). Und Protelion trat 2020 dem Cybersicherheitsrat Deutschland e.V. als Mitglied bei. Infoteks-Gründer Andrej Tschaptschajew studierte beim KGB Mathematik und blieb den russischen Geheimdiensten auch danach offenbar eng verbunden – Infotecs soll als Dienstleister für die Angriffstool-Beschaffung für den FSB gedient haben und mit dem FSB-Forschungsinstitut Kvant (Quantum) zusammenarbeiten. 2018 landeten Tschaptschajews Unternehmen auf Sanktionslisten des US-Handelsministeriums.

Blöd auch: Ein "Wegsehen" bei Protelion bzw. Infoteks hat es gar nicht gegeben – wie der geschäftsführende Vizepräsident des BSI Gerhard Schabhüser in einem Schreiben an BMI-Staatssekretär Markus Richter schon am 13.10.2022 mitteilte. Denn das für Spionageabwehr zuständige Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) hatte Einwände gegen die beantragte Zertifizierung geltend gemacht. Daraufhin wurde die Zertifizierung nach Ablauf der Prüffrist nicht erteilt. Ein verspäteter Einspruch dagegen wurde 2021 rechtswirksam zurückgewiesen.

Das BSI wies darauf hin, dass eine vorzeitige Einstellung des Verfahrens nur durch eine Ablehnung durch das Bundesinnenministerium hätte passieren können. Genau das steht im BSI-Gesetz – und eine direkte Einmischung des BfV, wie das BSI eine nachgeordnete Behörde im Geschäftsbereich des BMI, ist darin nicht vorgesehen. Das BSI fragte mehrfach beim BMI nach, ob es auch aus dessen Sicht Einwände geben würde – nachdem der Verfassungsschutz beim BSI anklopfte. Der Vorgang ging nach seiner eigenen Darstellung maßgeblich über den Tisch von Gerhard Schabhüser – dem Vizepräsidenten, der derzeit geschäftsführend das BSI leitet. "Aufgrund der Informationen des BfV in diesem konkreten Verfahren hat P BSI [Arne Schönbohm; d. Red.] in einer gemeinsamen Sitzung mit BfV und dem damaligen Abteilungsleiter SZ [Standardisierung und Zertifizierung Sandro Amendola; d. Red.] entschieden, einen strukturierten Beteiligungsprozess des BfV bei Zertifizierungsanträgen zu vereinbaren und zu etablieren." Was also wäre dem BSI in Sachen Protelion/Infoteks vorzuwerfen?

Am Ende bleibt der Auftritt Arne Schönbohms beim Cybersicherheitsrat Deutschland. Dass Arne Schönbohm Gründungsmitglied und bis zu seiner Ernennung zum BSI-Präsidenten 2016 sogenannter Präsident des Vereins war, ist absolut keine Neuigkeit. Auch, dass der Verein im BMI wenig Freunde hatte, war längst bekannt – genau wie das eigenwillige Gebaren des Schönbohm-Nach-Nachfolgers Hans-Wilhelm Dünn.

Was also hat Böhmermann aufgedeckt? Im Kern hat er zusammengetragen, was längst dokumentiert war, aber nur einer kompetenteren Spezialgemeinde bekannt. Er hat sich als Satiriker darüber lustig gemacht, dass der 2016 von Kritikern so getaufte "Cyberclown" irgendwie doch gefährlich für Deutschland sein müsse. Böhmermann schreibt an Business Insider gerichtet: "Nehmt doch die tolle Russland-CSRD_eV-Recherche von @ARDKontraste, @zeitonline und @zdfmagazin auf. Stattdessen schreibt Ihr, an den Vorwürfen sei nix dran?" Bloß war da wenig eigene Rechercheleistung bei Böhmermann und seiner Redaktion. Und was genau der Vorwurf ist? Böhmermann dramatisierte in seiner Sendung: "Die Cybersicherheit ist in Gefahr durch den Chef der Cybersicherheit in Deutschland." Und das ist und war auch im Oktober nur eines: Großer Quatsch. Das ist natürlich erlaubt, aber schade.

Denn es hätte viele andere Punkte gegeben, die er in einer politischen Satiresendung zur Cybersicherheit Deutschlands hätte aufgreifen können. Das berühmte Cyber-Wimmelbild der Stiftung Neue Verantwortung etwa, mit dem die wirre Landschaft zuständiger öffentlicher Stellen klar wird, hätte nähere Betrachtung verdient. Oder der Koalitionsvertrag, der von Bundesinnenministerin Nancy Faeser in Sachen Cybersicherheit nach wie vor nicht abgearbeitet wird. Auch die fehlende Unabhängigkeit des BSI vom BMI, gerade wenn es um Sicherheitsinteressen vs. Cybersicherheit geht und wo Interessen knallhart gegenüberstehen. Sogar die Tatsache, dass es keine Möglichkeit gab, den Einsatz von Protelion-Produkten bei kritischen Infrastrukturen zu untersagen, könnte als Realsatire durchgehen. Denn das IT-Sicherheitsgesetz kennt nur für ganz wenige Produkte überhaupt eine Anzeigepflicht: Sie gilt laut BMI nur für "bestimmte Komponenten, die in öffentlichen 5G-Mobilfunknetzen eingesetzt werden." Deutschlands Cybersicherheit bietet viel Satirematerial.

Böhmermann hatte eigentlich das richtige Thema gefunden – schlug aber auf den Falschen ein. Böhmermanns Festhalten an der Fehlerlosigkeit der eigenen Sendung ist dabei willkommenes Trollfutter für all jene, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Allgemeinen und Jan Böhmermann im Speziellen vorwerfen, sich politisch nicht neutral zu verhalten oder unsachliche Berichterstattung zu betreiben. (Der Autor dieses Textes arbeitet selbst auch für öffentlich-rechtliche Auftraggeber.)

Ob es klug war, dass Gründungspräsident Arne Schönbohm beim Cybersicherheitsrat zu dessen 10-Jährigem auftrat? Sicher nicht. Aber er ging, formal korrekt, mit der Genehmigung des Staatssekretärs zum Termin. Aber weder ein Fehlverhalten des BSI im Fall Protelions noch eine eigene Nähe zu russischen Geheimdiensten kann Schönbohm zur Last gelegt werden. Beides hätte sowohl ein Disziplinarverfahren als auch die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zur Folge haben können. Doch davon ist längst nicht mehr die Rede. Die Ministerin möchte von Schönbohm möglichst nichts mehr hören, er ist ja auch nur Präsident einer kleinen Behörde, und mit der unangenehmen Angelegenheit, die wie Kaugummi am Schuh der Wahlkämpferin klebt.

(mho)