Ziel der UN: Schifffahrt soll bis 2050 keine Emissionen mehr freisetzen

Langsamere Schiffe und neue Kraftstoffe sollen dabei helfen, die Emissionen zu reduzieren. Manchen Experten geht das aber nicht weit genug.

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Der LNG-Tanker "Arctic Aurora" liegt in der Bucht von Nachodka (Russland) vor Anker.

Der LNG-Tanker "Arctic Aurora" liegt in der Bucht von Nachodka (Russland) vor Anker.

(Bild: VladSV/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Casey Crownhart

Die Schifffahrt ist für die globale Wirtschaft unverzichtbar – so ziemlich alles, von den Bananen in der Obstschale bis zu Teilen des Autos in der Einfahrt, ist vermutlich schon einmal Schiff gefahren. Das hat seinen Preis: Die weltweite Schifffahrtsindustrie ist jedes Jahr für über eine Milliarde Tonnen Treibhausgasemissionen verantwortlich, was etwa drei Prozent der weltweiten Gesamt-Emissionen entspricht.

Die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) der Vereinten Nationen will das ändern. Sie hat sich Anfang Juli auf das Ziel geeinigt, die Treibhausgasemissionen der weltweiten Schifffahrt bis zum Jahr 2050 auf Null zu reduzieren. Das bedeutet, dass alle Emissionsquellen entweder abgeschafft oder etwa durch Kohlenstoffabscheidung ausgeglichen werden sollen. Die Festlegung eines Zieldatums ist ein wichtiger Schritt für eine Branche, die gemeinhin als schwierig zu dekarbonisieren gilt. Experten zufolge gibt es jedoch mehr als genug Möglichkeiten, mit denen die Branche das neu erklärte Ziel erreichen oder sogar übertreffen kann.

Mehrere Meilensteine ebnen den Weg zum Ziel für 2050: Die Emissionen sollen bis 2030 um mindestens 20 Prozent und bis 2040 um mindestens 70 Prozent unter das Niveau von 2008 sinken. Die Vereinbarung sieht außerdem vor, dass bis 2030 mindestens fünf Prozent der in der Schifffahrt verwendeten Energie aus emissionsarmen Energiequellen stammen soll.

Das Jahr 2030 rückt zwar schnell näher, aber es sei möglich, dass die Branche diese Werte rechtzeitig erreicht, sagt Bryan Comer, Leiter des maritimen Programms beim International Council on Clean Transportation: "Ich glaube nicht, dass es technisch schwierig ist, den Sektor zu sanieren oder zu dekarbonisieren – es ist vielmehr eine politische Frage."

So könnte die Branche das Ziel für 2030 vor allem durch eine Verlangsamung der Schiffe erreichen, sagt Comer. Ein langsamer fahrendes Schiff verbraucht, wie ein Auto, in der Regel weniger Treibstoff, was die Emissionen reduziert. Eine weitere Möglichkeit ist die verstärkte Nutzung von Windkraft. Sowohl Start-ups als auch große Unternehmen arbeiten an der Entwicklung von Segeln, Drachen und speziellen Rotoren, die auch größeren Schiffen Antrieb geben können. Die Nutzung der Windunterstützung ist trotzdem nur auf bestimmten Schiffstypen möglich, die über den nötigen Platz an Deck für die zusätzliche Ausrüstung verfügen.

Für die größten Schiffe könnten vor allem neue Kraftstoffe eine Rolle spielen. Während die meisten von ihnen bei ihrer Verbrennung zwar weiterhin Treibhausgase freisetzen, kann ihre Herstellung der Atmosphäre Kohlenstoff entziehen. Synthetische Kraftstoffe etwa können unter Verwendung von Kohlendioxid hergestellt werden, das der Atmosphäre durch direkte Luftabscheidung entzogen wird. Dadurch wird die Gesamtmenge der Emissionen, die in die Atmosphäre gelangen, reduziert. Und viele dieser Kraftstoffe funktionieren mit den bestehenden Schiffsmotoren.

Durch die Kombination von langsameren Geschwindigkeiten, Windunterstützung und emissionsarmen Kraftstoffen könnte die Schifffahrtsindustrie ihre Emissionen bis zum Ende des Jahrzehnts um fast 50 Prozent senken, so eine im Juni veröffentlichte Studie der Umweltberatungsfirma CE Delft. Die Studie wurde von mehreren Umweltgruppen in Auftrag gegeben, unter anderem von der European Federation for Transport and Environment (T&E). Die vorgeschlagenen Maßnahmen würden die Schifffahrtskosten um sechs Prozent bis 14 Prozent gegenüber dem derzeitigen Stand erhöhen. Aber diese Kosten verblassen im Vergleich zu den erwarteten Schäden des Klimawandels, sagt Faïg Abbasov, Direktor für Schifffahrt der T&E.

Die nächsten beiden Meilensteine für 2040 und 2050 könnten schwieriger zu erreichen sein. Effizienzsteigerungen und betriebliche Maßnahmen werden nicht ausreichen, um den weltweiten Schiffsverkehr bis 2050 auf Netto-Null-Emissionen zu bringen. Die Dekarbonisierung der Schifffahrt ist ein Multimilliarden-Euro-Projekt und erfordert technologische Fortschritte, einschließlich der breiten Nutzung von emissionsarmen oder emissionsfreien Kraftstoffen wie grünem Wasserstoff, Methanol und Ammoniak, die größtenteils noch in einer frühen Entwicklungsphase stecken.

Während der Verhandlungen der UN wurde deutlich, was für die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft, einschließlich der Schifffahrt, auf dem Spiel steht, sagt Madeline Rose, die bei den Verhandlungen anwesend war und als Senior Director für Klimafragen bei der Umweltorganisation Pacific Environment arbeitet: "Wir hatten den heißesten 4. Juli, der jemals aufgezeichnet wurde. Wir hatten Überschwemmungen und Hitzewellen in China, Hitzewellen und Überschwemmungen in Spanien. Wir sehen alles, von dem uns die Klimawissenschaft gewarnt hat."

Rose und andere Expertinnen und Experten kritisierten die IMO dafür, dass ihre Zielvorgaben nicht weit genug gehen. Das Pariser Klimaabkommen von 2015 sieht vor, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau und idealerweise unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Die Ziele sind einerseits willkürlich, denn jede weitere Erwärmung wird Folgen für den Planeten haben. Aber sie andererseits von Anfang an von zentraler Bedeutung für die Klimapolitik gewesen.

Um zumindest eines der beiden Ziele zu erreichen, müssen die Emissionen in allen Sektoren gesenkt werden, vom Verkehr über die Stromerzeugung bis hin zur Schwerindustrie. Das Netto-Null-Ziel der IMO für 2050 sowie die kurzfristigen Meilensteine sollten laut einer Analyse des International Council on Clean Transportation (ICCT) ausreichen, damit die Industrie ihren Beitrag dazu leistet, die Erwärmung unter 2 Grad zu halten. Laut einer weiteren ICCT-Analyse müsste das Netto-Null-Ziel jedoch auf etwa 2040 vorgezogen werden, damit die Branche mit dem Plan mithalten kann, die Erwärmung auf unter 1,5 Grad zu halten. "Wir sind entmutigt und enttäuscht, dass sich die Vereinten Nationen nicht auf 1,5 Grad ausgerichtete Ziele einigen konnten", sagt Madeline Rose.

Als Nächstes will die IMO neue Maßnahmen einführen, die der Industrie helfen sollen, ihre selbst gesteckten Ziele zu erreichen. Dazu gehört eine schrittweise Reduzierung der zulässigen Emissionen von Kraftstoffen sowie wirtschaftliche Maßnahmen, mit denen sich ein Preis für Treibhausgasemissionen festlegen lässt.

Auch diese Verhandlungen könnten nicht einfach werden: Einige Länder, darunter China, Argentinien und Brasilien, haben sich bei den IMO-Verhandlungen gegen ein Netto-Null-Ziel für 2040 ausgesprochen, und China hat sich gegen die in Erwägung gezogenen wirtschaftlichen Maßnahmen, einschließlich einer Emissionsabgabe, ausgesprochen.

Das erste umfassende Netto-Null-Ziel der Schifffahrtsindustrie ist nicht das Ende der Gespräche, sagt Comer, aber es "setzt das Endziel wirklich klar".

(jle)