Nano wird erwachsen
Asiens größte Nano-Messe "Nanotech" mausert sich von der Forscher- zur richtigen Industriemesse. Der große Trend dieses Jahr sind reale Produkte auf Grundlage der klitzekleinen Strukturen.
- Martin Kölling
Die "Nanotech"-Messen der vergangenen Jahre waren interessant, aber für mich mit meinem Interesse an Anwendungen und Produkten immer auch ein wenig enttäuschend. Ich konnte viel schwarzes und weißes Pulver bewundern, von dem mir die Forscher sagten, dass es aus wirklich winzig kleinen Teilchen bestand. Oder es gab Mikroskope zur Beobachtung von Vorgängen auf molekularer oder gar atomarer Ebene zu sehen, die man zum Zwecke der Herstellung realer Waren ja brauche.
Nun gut, es gab natürlich immer wieder verschiedene kulturkreisabhängige Pionierprodukte, in die zum Beispiel Nanoröhrchen eingerührt wurden. In Japan wurden Golfschläger entsprechend aufgerüstet, weil sie Senioren erlaubten, den Ball weiter zu schlagen und sich 20 Jahre jünger zu fühlen. In Deutschland waren es unter anderem Tennisschläger und in Finnland Eishockeyschläger, aber eben kaum mehr.
Diesmal ist es anders. Der große Trend dieser Messe seien reale Anwendungen, sagen die Aussteller unisono. Einige Produkte und Prototypen habe ich hier online gestellt. "Dass wir Nanoröhren herstellen können, haben wir inzwischen bewiesen", sagt Heiko Hocke von Bayer Material Science. Doch nun wollten die Kunden sehen, was man wirklich damit anstellen könne. Drum stellt Bayer diesmal nicht den Produktionsprozess und Visionen, sondern realweltliche Produkte aus, die Leverkusener "Baytubes" benutzen. "Die "Nanotech" ist erwachsen geworden", meint Hocke, "sie hat sich von einer recht akademischen zu einer ernsthaften Industriemesse entwickelt".
Ein japanischer Hersteller hat zum Beispiel Hartgummirädchen für Transportwägelchen Baytube-technisch nanoverstärkt, so dass sie auf Fabrik- und anderen Fluren weniger Abrieb hinterlassen. Andere Firmen haben Garn, das durch die Beigabe der Nanoröhren elektrisch leitfähig gemacht worden ist, zu einem Gewebe verarbeitet. In Gummimatten eingeschlossen, werden die Textilien auf der nördlichen Insel Hokkaido als Fußwegheizung getestet, um das Schneeschippen abzuschaffen. Und der Prototyp einer Heizdecke könnte in dem Land, das keine Zentralheizungen kennt, eine echte Revolution auslösen – denn bisher waren in die beheizbaren Gegenstände stets Stromdrähte eingelegt. Nicht nur ist deren Heizverhalten ungleichmäßig, gleichzeitig sind sie sofort reif für den Müll, wenn einmal ein Kabel bricht. Die gewebte Decke funktioniert auch noch mehrfach gelocht und gibt zudem über die volle Fläche gleichmäßig Wärme ab.
Mitsubishi Chemicals geht derweil mit Anwendungen für ihre Buckyballs hausieren. Sie werden beispielsweise in flexiblen organischen Dünnschichtsolarzellen genutzt. Eine Idee ist eine Strom produzierenden Plastikpflanze. Reale Produkte waren eine Tasche mit flexiblen Solarzellen eines chinesischen Taschenherstellers sowie Gesichtskosmetik, die mit Fullerenen des Konzerns versehen ist. Der Unterwäschehersteller Gunze wiederum hat mit staatlichen Fördergelder Nano-Unterwäsche entwickelt, die stärker Wasser und Wind abweisen und Wärme halten können soll als bisherige Materialien.
Außerdem will Mitsubishi diverse nanotech-verbesserte Filme für Displays auf den Markt bringen. Einer macht Bildschirme von bis zu 52-Zoll-Bilddiagonale zu Touchscreens, die mehrere Dutzend Berührungen gleichzeitig feststellen können. Dies wäre ideal für großflächige Spiele in Game-Hallen. Andere Folien verringern die Reflexe oder trumpfen mit hoher Kratzfestigkeit auf. Selbst Bleistifte mit dem obersten Härtegrad neun hinterlassen nur minimale Spuren. Andere Unternehmen versprechen durch Nanotextilien Feuerwehrkleidung feuerfester zu machen.
Mittendrin tummelt sich natürlich auch der deutsche Veteran der "Nanotech", Michael Popall, der Chef des Geschäftsfelds Mikrosysteme und mobile Energieversorgung des Fraunhofer-Instituts für Silikatforschung. Er wagte sich vor sieben Jahren das erste Mal nach Tokio und kommt mit wachsender Begeisterung wieder. Besonders durch die Nachfrage aus Asien konnte sein Geschäftsfeld in der Krise um 25 Prozent zulegen, erzählt Popall.
Auch der deutsche Forscher stellt diesmal produktnahe Anwendungen aus. Einen starken Schub fürs Geschäft versprechen LED-Lampen, deren Effizienz die Hersteller durch Nanomaterialien erhöhen wollen. Was ihn daran besonders freut: "Bei LEDs kann Europa mit Philips und Osram ja noch mitsprechen." In anderen Bereichen droht die EU trotz guter Technik wieder einmal den Anschluss zu verlieren, mahnt der Experte. Denn für ihn sind die Unternehmen im Abendland zu träge bei der Umsetzung von Technik und Ideen in Produkte. Im Morgenland hingegen haben die Konzerne in der Krise die Entwicklung neuer Produkte verstärkt, um nach der Krise richtig durchstarten zu können. "Europas Unternehmen drohen zu Systemhäusern zu werden", warnt Popall.
(bsc)