Das Geoengineering-Gambit

Seit Jahren sprechen einige Wissenschaftler davon, dass man die Erderwärmung mit Hilfe großtechnischer Maßnahmen stoppen könnte. Ihr Argument: Vielleicht ist die Lage mittlerweile so ernst, dass wir trotz der Gefahren auch über extreme Methoden nachdenken sollten.

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Von
  • Kevin Bullis
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Seit Jahren sprechen einige Wissenschaftler davon, dass man die Erderwärmung mit Hilfe großtechnischer Maßnahmen stoppen könnte. Ihr Argument: Vielleicht ist die Lage mittlerweile so ernst, dass wir trotz der Gefahren auch über extreme Methoden nachdenken sollten.

Aus Schneeschmelzen und Gletscherwasser gespeist, liefern Flüsse das Wasser für mehr als ein Sechstel der Weltbevölkerung: gut eine Milliarde Menschen. Doch die Quellen versiegen schneller, als die Wissenschaftler gedacht haben. Kein Forscher ist heute mehr überrascht über die Folgen des Klimawandels, wohl aber über ihre Geschwindigkeit. "Offenbar verändert die Erde sich schneller, als unsere Klimamodelle vorhersagen", sagt Daniel Schrag, Professor für Geowissenschaften an der Universität Harvard, der auch US-Präsident Obama in Klimafragen berät.

Die Kohlendioxidwerte in der Atmosphäre sind bereits auf 385 ppm (Teile pro Million) angestiegen, weit mehr als die 350 ppm, die viele Forscher als Schwellenwert für ein relativ stabiles Klima annehmen. Und bei gleich bleibendem Tempo ist bis Ende des Jahrhunderts das Doppelte des vorindustriellen Kohlendioxid-Niveaus erreicht. Den teils staatlich geförderten Bemühungen vieler Länder zum Trotz, nehmen Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe pro Jahr zu, nicht ab – allein in den letzten zwei Jahrzehnten sind sie um 41 Prozent angestiegen. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich die CO2-Konzentration in der Atmosphäre um fast zwei ppm pro Jahr erhöht. "Die Wahrscheinlichkeit, dass wir folgenschwere Schäden vermeiden, scheint recht gering", sagt Schrag. "Das Beste, was wir tun können, wird vermutlich nicht gut genug sein".

Diese erschreckende Erkenntnis lässt einflussreiche Forscher, samt Obama-Beratern wie Schrag, inzwischen merklich umdenken. Um die Möglichkeiten von Geoengineering – groß angelegten Vorhaben zur raschen Abkühlung der Erde – auszuloten, fordern diese Wissenschaftler nun zunehmend die finanzielle Unterstützung durch die Regierung.

Die Strategien der Klimamodifizierung sind vielfältig. Sie reichen von Sonnenschilden, die ins All geschossen die Erde abschirmen sollen, bis zu künstlich erzeugten Algenblüten in den Weltmeeren. Andere Forscher wie der ehemalige Chemie-Nobelpreisträger Paul Crutzen schlagen vor, Millionen Tonnen Schwefeldioxid-Teilchen in die Stratosphäre zu blasen, um so den Planeten zu beschatten (siehe dazu auch "Schatten für die überhitzte Erde", TR 01/2009).

Viele dieser Vorschläge sind Jahrzehnte alt, wurden aber bis vor kurzem von den meisten Klimaforschern zwischen Hightech-Hochmut und Science Fiction eingeordnet. Tatsächlich war das Thema lange "verbotenes Terrain", sagt Ronald Prinn, Professor für Atmosphärenwissenschaften am MIT. Es sei unklar, wie diese Ingenieursarbeit vollbracht werden könne und ob sie das Klima tatsächlich regulieren werde. Viele Wissenschaftler sind vor allem besorgt, dass die Eingriffe unvorhergesehene Auswirkungen haben könnten. Zudem würde, wer sich auf Geoengineering verlässt, statt Treibhausgas-Emissionen zu beschränken, nachfolgende Generationen verpflichten, die Programme auf unbestimmte Zeit aufrechtzuerhalten. Aus diesen Gründen wurde die Geoengineering-Debatte lange als gefährliche Ablenkung politischer Entscheidungsträger verstanden. Prinn gibt zu, dass er bis vor wenigen Jahren Geoengineering-Befürworter selbst für regelrechte Spinner gehalten habe.

Mittlerweile ist Geoengineering aber keine randständige Idee mehr: die britische Royal Society brachte im September 2009 einen Bericht heraus, der die anstehenden Herausforderungen für Forschung und Politik umreißt; die National Academies in den Vereinigten Staaten arbeiten an einem ähnlichen Bericht. Auch John Holdren, Wissenschaftsberater des Weißen Hauses, hat das Thema unmittelbar nach seinem Amtseintritt angeschnitten. "Das Klima verändert sich schneller, als irgendjemand vorhersagen konnte", sagte er in einer Rede, "wenn wir hinreichend verzweifelt sind, werden wir uns an Geoengineering versuchen, um eine Abkühlung zu erzeugen". Zur Vorbereitung, so Holdren, müssten die technische Möglichkeiten und ihre Nebenwirkungen besser verstanden werden. Selbst der US-Kongress hat Interesse bekundet und im November erste Anhörungen stattfinden lassen.

Geoengineering mag eine "fürchterliche Idee" sein, sagt Schrag, "aber sicher eine bessere als Untätigkeit". Anders als frühere Fürsprecher glaubt er nicht daran, dass sie eine Alternative zur Verminderung von Emissionen ist. "Das ist kein Techno-Allheilmittel, kein Heftpflaster – sondern ein Druckverband. Ja, es gibt potenzielle Nebenwirkungen, aber sie könnten besser sein als die Alternative, zu Tode zu verbluten."