Stehzeremonie

Roadtrip durch die Milliardenrepublik

Wer China wirklich erkunden will, sollte nicht mit dem Bus, der Bahn oder gar in einer Reisegruppe unterwegs sein. Mit dem eigenen Auto taucht man in den Milliardenstaat nach wenigen Minuten so tief wie nirgends anders ein und fühlt sich im geordnete Chaos schnell heimisch

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Von
  • Stefan Grundhoff
Inhaltsverzeichnis

Wer China wirklich erkunden will, sollte nicht mit dem Bus, der Bahn oder gar in einer Reisegruppe unterwegs sein. Mit dem eigenen Auto taucht man in den Milliardenstaat nach wenigen Minuten so tief wie nirgends anders ein und fühlt sich im geordnete Chaos schnell heimisch.

Wer sich über das alltägliche Verkehrschaos in Großstädten wie Paris, Berlin und London beschwert, oder an traumatisch volle Highways im Großraum Los Angeles denkt, hat noch keinen Tag auf Chinas Straßen verbracht. In unzähligen uns völlig unbekannten Millionenagglomerationen gehört der alltägliche Megastau ebenso zum Alltag wie in den Metropolen Shanghai, Peking oder Hangzhou. Statt der kommunizierten 25 Millionen Einwohner soll zum Beispiel Peking inoffiziell deutlich mehr als 45 Millionen haben – und ist damit im asiatischen Land der unbegrenzten Möglichkeiten noch nicht einmal die Nummer eins. Der Verkehrsinfarkt ist zwischen sieben Uhr morgens und 23 Uhr abends die ganz normale Steh-Zeremonie.

Durchschnittstempo 29

So beschaulich und entspannt es außerhalb der großen Zentren auf Autobahnen und Landstraßen zugeht, so überfüllt sind die Straßen in den Städten selbst. Der Chinese steht durchschnittlich 1,6 Stunden pro Tag im Stau. Liegt die Durchschnittsgeschwindigkeit im deutschen Straßenverkehr bei 50 km/h, stockt es in China bei gerade einmal Tempo 29. Kein Wunder, dass das eigene Mobiltelefon bei Fahrern wie Passagieren wie in der Hand festgewachsen scheint. Die Bedeutung des Smartphones ist weit größer als in westlichen Ländern. Dabei spielt das Telefonieren im Auto eine eher untergeordnete Rolle. Vielmehr bilden die prachtvoll illuminierten Hightechdisplays von Huawei, Samsung oder Apple das Tor in die weite (China-)Welt. Hier werden im Minutentakt die Verkehrslage gecheckt, Musik heruntergeladen, Nachrichten gelesen und via WeChat kommuniziert.

Das chinesische Pendant zu WhatsApp ist viel mehr als eine Möglichkeit, nur Nachrichten und Bilder zu verschicken. WeChat hat bei Mobilfunkteilnehmern eine Marktabdeckung von 100 Prozent. Besonders wichtig ist dabei die Bezahlfunktion, denn egal ob Mittagessen, Kartenbestellung, Taxinutzung oder die Bezahlung der Autobahnmaut – alles geschieht per WeChat. Kreditkarten werden häufig gar nicht mehr akzeptiert und wer an der Tankstelle mit einem Bündel Geldscheine bezahlen möchte, wird vom freundlichen Tankwart verwundert angeschaut. Der Liter Kraftstoff ist mit rund sieben RMB – umgerechnet einem Euro – günstiger als in Europa und damit teurer als in den USA.