Leere Luft

Aerodynamik-Simulation im Fahrzeugbau

Die Firma EXA stellt Aerodynamik-Simulations-Software her, mit der unter anderem Jaguar, Tesla und BMW Motorrad ihre Entwicklungszeiten verkürzen. Wir besuchten das Entwicklungsteam und ließen uns das erklären

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Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Seit wir leistungsfähige Computer nebst entsprechender Mathematik haben, helfen uns Simulationen, unsere Welt vom ganz Großen bis ins Kleinste besser zu verstehen. Wenn wir "Simulation" hören, ordnen wir den Begriff schnell ein zu "das zweitbeste nach Realität", weil es unserer Lebenswelt entspricht. Motorradfahren. Sex. Fußballstadion. In vielen Bereichen jedoch hat sich die Simulation als der Realität weit überlegen gezeigt. Manchmal kann man die Realität nicht so zum Experiment gestalten, dass wir sinnvolle Ergebnisse erhalten. Wir können nicht einfach hinten im Schuppen zwei Schwarze Löcher kollidieren lassen und zuschauen, was dabei passiert. Wir können so ein Ereignis jedoch in Supercomputern simulieren, um etwas über unser Universum zu erfahren.

Simulation im Vorteil

In anderen Fällen können wir durchaus echte Experimente aufbauen, aber die Realität beantwortet uns dennoch viel weniger Fragen als die Simulation es kann – aus einem einfachen Grund: Die Simulation erlaubt den Zugriff auf jeden Einzelpunkt ihres Datenkosmos'. In der Realität müssen wir diese Daten mit Messgeräten erfassen, die nur wenige Punkte des Messraumes erfassen. Eine vollständige Realitätsmessung existiert nicht. Also gibt es auch keine vollständige Messung der Luftströmung um ein Fahrzeug. Der Windtunnel war zu seiner Einführung ein großer Schritt im Fahrzeugbau, weil die Konstrukteure dadurch schneller verschiedene Formen im Wind ausprobieren konnten. Aber der Windtunnel sagt dem Entwickler weniger, als unsere eher romantischen Ansichten uns denken lassen.

Partikel in den Wind

Typischerweise messen Drucksensoren an jedem Rad, ob Auftrieb erzeugt wird. Doch wo genau der erzeugt wird und wie man dem am besten gegensteuern könnte, das verraten sie nicht. Deshalb wirft man zum Beispiel Partikel in den Wind und filmt das mit Hochgeschwindigkeitskameras (eine Evolution der Rauchlanze vergangener Zeiten). Das verrät einiges über die Strömung. Zusätzlich kann man hinter dem Fahrzeug Druck messen. In Ferraris aufwendigem Windkanal gibt es zum Beispiel ein Array von Drucksensoren, die hinter dem Teststück Druck messen. Man erhält also für seine Messung einen Schnitt der Druckverteilung von der Stelle, an der die Sensoren stehen.

"Luftikus"

Luft kennen wir jedoch seit jeher als chaotisches Element. Der "Luftikus" kommt daher oder die Larifari-chaotischen Luftgeister alter Märchen. Luft flattert, wirbelt und verdreht sich auf kleinsten Bereichen, und weil Windgeräusche oder ungenügender Kühlerdurchfluss genau an diesen kleinsten Bereichen hängen, hilft hier eine Simulation enorm. Sie spart außerdem Kosten, weil das Teststück mit teilautomatisierten Hilfen sehr schnell angepasst und in effiziente Testreihen gestellt werden kann. Jaguar will bis 2020 die aerodynamischen Prototypen aus dem Entwicklungsprozess verbannen. Die Simulation lieferte ihnen für ihre aktuellen Modelle viel bessere Ergebnisse bei viel geringerem Aufwand. Ähnlich schaut es bei Tesla aus. Selbst Hersteller von Motorrädern oder Helmen nutzen diese Technik.

Die beschriebene chaotische Natur der Luft sorgt auch dafür, dass es gar nicht so einfach ist, sie sinnvoll zu simulieren. Erst im 19. Jahrhundert leiteten einige Mathematiker unabhängig voneinander Gleichungen her, die das Verhalten von Flüssigkeiten und Gasen beschreiben können. Bis heute heißen sie "Navier-Stokes-Gleichungen" nach zweien dieser Mathematiker. Diese Gleichungen haben einen großen Teil unseres heutigen Verständnisses über die Dynamiken von Flüssigkeiten erst ermöglicht.

Eingegittert

Sie werden jedoch sehr schnell sehr komplex. In großen Simulationsprojekten, wie sie an Fahrzeugen vorkommen, lösen Computer diese Gleichungen daher näherungsweise in Iterationen: Das Ergebnis der vorangehenden Iteration liefert die Parameter für die nächste. Das Problem bei dieser Vorgehensweise ist die Bauweise moderner Supercomputer. Das sind heute praktisch alles Parallelrechner. Ein Parallelrechner kann seine Leistung nur entfalten, wenn die Arbeit auf die einzelnen Recheneinheiten aufgeteilt werden kann, wie in einer Firma: Solange Horst aus der Buchhaltung seinen Aktenstapel abarbeiten kann und du deinen, wird die Arbeit entsprechend schneller erledigt. Wenn du auf Ergebnisse von Horst warten musst und Peter vom Controlling wiederum auf deine, dann kann ein Prozess sehr lange dauern und profitiert entsprechend wenig von vielen Arbeitern.

Chaotiken der Luft

Eine weitere Schwäche der Näherung waren stets die kleinen Chaotiken der Luft, wie kleinstes Flattern, das eine Menge Lärm erzeugen kann. Eine Näherung zeigt die Dynamik dann, wie eine Langzeitbelichtung die Nacht zeigt: in einem verwischten Zustand. Auf dem Foto zieht sich die rote Schlange des Rücklichts durch das Bild. Aber in der Realität gab es diese Schlange eben zu keinem Zeitpunkt. Sie entsteht erst durch die Integration über die Zeit. In der Realität gab es eine Lampe, die sich bewegte. So schaut es dann auch mit hochfrequentem Flattern aus: In der Mittelung über die Zeit verwischt das Flattern zu einer geraderen Strömung, die in dieser Form zu keinem Zeitpunkt real war. An solchen Problemen verrieten die gemittelten Navier-Stokes-Gleichungen also gelegentlich nicht das, was man dringend wissen musste, und eine feinteilige Berechnung über die Zeit wäre zu rechenintensiv.

EXAkte Alternativen

In den Neunzigerjahren experimentierten Physiker deshalb unter anderem am MIT mit alternativen Methoden. Eine davon stellte sich als sehr vielversprechend heraus: Die Lattice-Boltzman-Methode. Hierbei wird ein dreidimensionales Raster um die zu testende Struktur gelegt, das namensgebende "Lattice" (Gitterwerk). Jeder Gitterpunkt entspricht bei typischen Simulationen etwa einem Kubikmillimeter realen Raums der zu testenden Luft, in äußeren, weniger kritischen Bereichen kann die Software ein größerrasteriges Gitter um das innere spannen. Da jeder Gitterpunkt rechnerisch nur mit seinen direkten Nachbarn interagiert, lässt sich dieses Gitter zur Berechnung sehr gut aufteilen, sodass Ingenieure in der Praxis viel schneller viel mehr berechnen können, denn Parallelrechnerstrukturen gibt es heute in jeder größeren Firma, die etwas zu berechnen hat, und man kann sie jederzeit bei allen vollwertigen Cloud-Anbietern buchen.

Einige Pioniere der Lattice-Boltzman-Methode entwickelten ein Software-Paket, das sie in ihrer Firma EXA seit einigen Jahren an Konstrukteure von Fahr- und Flugzeugen verkaufen. EXA hat ein Büro in Stuttgart-Vaihingen, in dem sie uns freundlicherweise ihr System erklärt haben. Es gibt auch andere Anbieter. EXA-Software kommt bei BMW Motorrad zum Einsatz, bei Jaguar, Tesla und vielen Anderen, von denen nicht alle genannt werden möchten. Die EXA-Suite ist natürlich nicht perfekt. Noch funktioniert die Simulation nur klar unter der Schallgeschwindigkeit korrekt, was für alle Fahrzeuge außer Rekordprototypen egal sein dürfte, aber bei Highspeed-Flugzeugen relevant werden kann.

Es gibt auch noch keine Multiphase-Simulation, also die gleichzeitige Simulation verschiedener Stoffe, wie zum Beispiel Wasser und Luft an einem Boot oder Öl und Luft in einem Motorgehäuse. Für den Motorradbereich am tiefgreifendsten dürfte jedoch sein, dass sich die zu messende Form nicht bewegen kann, denn dann müsste das Gitter sich dynamisch mitverändern. EXAflow findet also flatternde Luftströme, kann aber wabbelnde Windschutzscheiben, zappelnde Fahrer oder gar flatternde Kleidung nicht mit simulieren. Die Geometrie des Testobjekts muss starr bleiben.

Sie kann jedoch die Gasdynamik im Auspuff simulieren, Windgeräusche, die Durchströmung der Kühler, damit diese optimiert werden können, man kann mit ihr auch ohne Multimode-Simulation Verschmutzungen bei Regenfahrt simulieren und sie erkennt störende aerodynamische Moden, also zum Beispiel den Umstand, dass der Helm deiner Sozia deinen Helm nach hinten saugt. Wer sich in die Software-Suite einarbeitet, kann den Aufwand der Aeorodynamikentwicklung drastisch reduzieren, bei besseren Ergebnissen, als sie mit Prototypen möglich gewesen wären.

Definition des Designraums: eine knifflige Sache

Ein Modul hilft sogar mit einstellbaren Automatismen, die Form der Karosserie oder des Kühlers oder was auch immer zu optimieren. Der Computer schlägt dabei selber kleine Änderungen vor. Den Rahmen hierzu geben ihm die Ingenieure vorher. Diese Definitionen des Designraums sind jedoch eine knifflige Sache. Die besten Ergebnisse, so EXA, kommen deshalb heraus, wenn ein erfahrener Aerodynamik-Ingenieur die Ergebnisse von Simulationsläufen aus seiner Erfahrung heraus deutet und damit den Designraum anpasst. Es ist also kein Werkzeug, das Menschen ablöst, sondern eines, das von Experten geführt werden muss, damit optimale Ergebnisse herauskommen.