Distanzstück

Antikollisions-App ZF X2Smart

Die Denkfabrik des Zulieferers ZF ist dabei, eine auf Smart Devices laufende Antikollisions-App zu entwickeln. Wenn alles gut geht, könnte das Stück Software in etwa einem Jahr serienreif sein und die Unfallrate im gemischten Stadtverkehr beträchtlich senken. Wir haben uns diese Idee erklären lassen

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  • Wolfgang Gomoll
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Die Denkfabrik des Zulieferers ZF ist dabei, eine auf Smart Devices laufende Antikollisions-App zu entwickeln. Die Idee dazu hatte ihre Leiterin nach einem Verkehrsunfall. Wenn alles gut geht, könnte das offenbar ziemlich intelligente Stück Software in etwa einem Jahr serienreif sein und die Unfallrate im gemischten Stadtverkehr beträchtlich senken. Wir haben uns diese interessante Idee erklären lassen.

Menschen, die mit gesenktem Kopf auf das Display Smartphone starrend, wie ferngesteuert durch die Straßen tappen, bezeichnen Kinder inzwischen als „Smombies”. Nicht von ungefähr – das Wort ist eine Zusammenziehung aus „Smartphone” und „Zombie”. Als Verkehrsteilnehmer riskieren sie so nicht nur relativ harmlose Kollisionen mit Straßenlaternen, sondern auch ernsthaftere Zusammenstöße etwa mit Autos. Die World Health Organisation (WHO) hat aufgrund der steigenden Zahl dieser Unfälle bereits Alarm geschlagen. Denn Fußgänger gehören zu den sogenannten „schwächeren Verkehrsteilnehmern”, die etwa die Hälfte der weltweit rund 1,25 Millionen Verkehrsunfalltoten pro Jahr ausmachen. Daran erinnerte ZF bei der Vorstellung einer App zur Kollisionsverhinderung, welche die Infrastruktur der mobilen Kommunikation nutzen soll.

Der Name X2Smart leitet sich recht einfach her aus „X”, was für „irgendein Device” steht, „2” als Abkürzung für „to” und „Smart” als Kurzform von „Smart Device”. Gemeint sind außer Smartphones auch Tablets oder Smartwatches – Hauptsache sie sind Internet- und Mobilfunkfähig und tragen die für solche Apparate typischen Sensoren auf der Platine. Das Prinzip von X2Smart klingt einfach. Die Application ermöglicht sogenannten Smart Devices wie Smartphones, die Fußgänger bei sich haben mit ebensolchen in Autos über das Mobilfunknetz zu kommunizieren. Sie sollen sich gegenseitig warnen, wenn ein Zusammenstoß droht. Das Programm informiert mehrstufig per Vibration, Anzeige und akustisch.

Komplizierte Sensordatenfusion

Durch den Datenaustausch kann das System mit der bordeigenen Hardware der Smart Devices gewissermaßen um die Ecke sehen und warnen, noch bevor der Mensch die Gefahr wahrnehmen kann. Was so einfach klingt, ist in der Umsetzung alles andere als trivial. Hinter dem „Radar” steckt ein komplizierter Algorithmus, also im Grunde eine Software, die neben dem GPS-Signal auch andere Sensoren und die GSM-Standort-Berechnung durch den Mobilfunk zur Lokalisierung des Verkehrsteilnehmers nutzt. Noch liegt die Genauigkeit bei drei Metern, in den kommenden 5G-Netzwerken soll sie dann weniger als einen halben Meter betragen. Mit einer verbesserten Car2X-Infrastruktur, zum Beispiel durch sogenannte Roadside Units, die für die Car2Car- und Car2X-Kommuniktion eingesetzt werden, soll sich die Lokalisierung ebenfalls verbessern lassen.

Das komplexe Rechenprogramm berechnet die Kollisionsgefahr auf Basis von Bewegungsmustern der Verkehrsteilnehmer. Die Zeit vom Auslösen bis zur Ankunft der Warnung dauert in einem 3G-Internet 100 bis 150 Millisekunden", erklärt Dr. Malgorzata Wiklinska, Leiterin der ZF-Denkfabrik, aus der X2Smart kommt. Die Idee zu dieser Art Assistenzsystem kam ihr nach einen Unfall, bei dem die begeisterte Rennradfahrerin von der Fahrerin eines Autos übersehen wurde. Der buchstäbliche Beinbruch war die Initialzündung für die Entwicklung. „Ich lag da und habe mich gefragt: Warum hat die mich nicht gesehen?”

Deep Learning und künstliche Intelligenz

Erste Tests verliefen vielversprechend, in einem halben Jahr könnte die neue App serienreif sein. Der Weg dahin war steinig. „Wir mussten das System acht Monate lang trainieren, damit es richtig reagiert und überhaupt weiß, wer sich wie bewegt”, erklärt Wiklinska. Schließlich bewegt sich ein Fahrradfahrer anders als ein Fußgänger. Die Methodik nutzt Elemente des „Deep Learning” und der künstlichen Intelligenz. Eine zentrale Frage, die sich das System als erstes beantworten musste, hieß: „wer bin ich und wohin gehe ich.”

Die nächsten Schritte erfolgen auch unter dem Einbeziehen der Schwarm-Intelligenz. „Der Algorithmus lernt ständig dazu” sagt die Ingenieurin. Damit die neue App in der Stadt nicht in Hysterie verfällt, soll sie etwa auch erkennen können, wie viele andere Devices um ihren Träger herum unterwegs sind. Ein anderes Problem ist noch die Akkubelastung, sie soll aber in der neuen Smartphone-Generation mit weiter verbesserten Prozessoren im erträglichen Bereich bleiben.

In Zukunft sind noch weitere Einsatzfelder denkbar: Zum Beispiel könnte das X2Smart-System bei einem vorhergesagten Crash in einem dazu geeigneten Auto eine Notbremsung vorbereiten und auch durchführen können. Neben Autoherstellern sind auch Hersteller von (mobilen) Navigationsgeräten und deren Software an dem neuen System interessiert.

Auf die Frage, wie viele Unfälle mit X2Smart momentan vermeiden könnte, antwortet Wiklinska mit „etwa 50 Prozent”. Wenn die Infrastruktur für das autonome Fahren steht, könnte diese Zahl auf 80 Prozent steigen. „100 Prozent werden es aber nie, weil der ‘Faktor Mensch’ eine Rolle spielt”.