Neuvermessung

BEV-Reichweitenermittlung nach WLTP

Es ist ein Ärgernis, dass die Reichweitenangabe für Batterie-elektrische Autos nach NEFZ reine Fantasie ist. Im WLTP sind die Anforderungen höher, und die Normwerte werden bei gleicher Kapazität sinken. Dennoch könnten potenzielle Käufer weiter auf die Community und die Presse angewiesen sein

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 55 Kommentare lesen
Elektroautos, alternative Antriebe 7 Bilder
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Christoph M. Schwarzer
Inhaltsverzeichnis

Die Reichweite kommender Batterie-elektrischer Autos könnte sinken. Zumindest auf dem Papier: Seit 1. September 2017 folgt jede Typprüfung der Worldwide harmonized Light vehicle Testing Procudere, abgekürzt WLTP. Unter standardisierten und im Vergleich zum Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) von 1992 verschärften Laborbedingungen werden die Emissionen gemessen. Und bei batterieelektrischen Autos wird der Stromverbrauch erhoben, aus dem wiederum die Reichweite hochgerechnet wird.

Die Reichweitenangabe für BEVs (Battery Electric Vehicles) war in der Vergangenheit ein Ärgernis. Der EU-Topseller Renault Zoe mit der größeren 41 kWh-Batterie erreicht im alten NEFZ 400 Kilometer. Renault korrigiert im Dienst der Kunden auf der eigenen Webseite auf 300 km im Sommer und 200 im Winter, Werte, die heise/Autos im Zoe-Test real gut nachvollziehen konnte.

US-Werte als Hilfe

Aber diese Transparenz ist nicht selbstverständlich. Viele Hersteller neigen weiterhin dazu, die zu optimistischen NEFZ-Zahlen zu betonen. Die Enttäuschung bei Käufer und Presse ist so vorprogrammiert. Als Orientierungshilfe haben sich bisher die von der US-Umweltbehörde EPA (Environmental Protection Agency) genutzten Messzyklen erwiesen – hier kamen und kommen relativ wirklichkeitsnahe Zahlen heraus.

Wie viel die Reichweitenermittlung nach WLTP tatsächlich taugt, wird das Jahr 2018 zeigen. Den Leaf 2, der ab Januar 2018 in den Verkauf geht, hat Nissan vermutlich noch nach NEFZ homologiert. Wahrscheinlich wird der Jaguar I-Pace das erste BEV sein, welches nicht mit Fabelwerten beeindruckt.

Was ändert sich?

Im NEFZ folgte ein vollgeladenes BEV auf dem Prüfstand einfach der Fahrkurve. Innerorts, außerorts. Und wieder von vorne, wenn die 1180 Sekunden beendet sind. Immer dem NEFZ nach. Und so lange, bis das Fahrzeug keine 50 km/h mehr erreichen kann – wenn die Kapazität der Batterie geringer wird, sinkt auch die verfügbare Leistung. Ein weiterer BEV-typischer Einfluss ergibt sich aus der Rekuperation: Sie ist bei zu 100 Prozent geladenem Akku sehr niedrig, was zu Beginn des Messzyklus den Verbrauch leicht erhöht.

Wie beim NEFZ ist auch nach WLTP eine Fahrkurve definiert. Diese besteht nun aus vier statt zwei Teilzyklen: Benannt nach der Höhe der gefahrenen Geschwindigkeit gibt es Low, Medium, High und Extra-High. Das Durchschnittstempo ist ebenso gestiegen wie die Dynamik; es wird stärker beschleunigt als bisher, und immerhin werden für einige Sekunden 130 km/h erreicht.

Grundsätzlich gelten die gleichen Rahmenbedingungen wie für Autos mit Verbrennungsmotor. So ist die Außentemperatur nun auf 23 Grad festgelegt (bisher: Fenster von 20 bis 30 Grad). Und leider hat auch das neue Verfahren Schwächen: Die Klimaanlage bleibt vorerst aus.

„Verkürzter Zyklus“ mit Konstantfahrt

Ein BEV absolviert nun mit vollgeladener Batterie einen so genannten verkürzten Zyklus. Dieser wiederum ist in vier Segmente unterteilt: Zuerst wird die WLTP-Kurve gefahren und danach die Low- und die Medium-Kurve (zusammen „Cityzyklus“). Diese Abfolge aus WLTP plus Cityzyklus bildet das erste und im gleichen Ablauf das dritte Segment.

Im zweiten und vierten Segment bewegt der Prüftechniker das BEV mit konstant 100 km/h. Eine zeitliche Länge ist nicht vorgegeben. Allerdings soll nach dem dritten Segment nur noch ein Batterieladestand von zehn Prozent vorhanden sein – das wiederum bedeutet, dass die erste Konstantfahrt in Abhängigkeit der Gesamtkapazität sehr lang sein kann. Die Prüfung wird abgebrochen, wenn im vierten Segment mehr als vier Sekunden die 100 km/h-Marke unterschritten wird. Währenddessen wird der Stromverbrauch an Bord und in jedem Teilzyklus gemessen, woraus sich wiederum die Reichweite für die Werksangabe ergibt.

Der offizielle Stromverbrauch dagegen wird nicht aus den Fahrzeug-internen Messungen ermittelt. Stattdessen wird die Batterie im verkürzten Verfahren entleert, siehe oben, und anschließend wieder komplett vollgeladen. Hierbei werden wie im NEFZ die Ladeverluste berücksichtigt. Allerdings gibt es keine gesetzliche Norm, wie das passiert, also ob bei Gleich- oder Wechselstrom oder bei welcher Leistung. Die Hersteller werden hier die jeweils effizienteste Option im Auto wählen.

Bei den ersten Pkws mit Verbrennungsmotor, die nach der WLTP typgeprüft wurden, ist innerhalb einer Motorgetriebekombination eine weite Spreizung der Verbrauchswerte zu beobachten. Diese ist das Resultat der WLTP-Vorgabe, zum einen die leichteste Fahrzeugversion mit Basisausstattung zu testen, zum anderen aber auch die schwergewichtigste mit den breitesten Reifen und dem ungünstigsten Aerodynamikpaket.

Keine brauchbare Auskunft zum Autobahnverbrauch

Diese Vorgabe ist für BEVs genauso gültig. Es wird folglich eine Spreizung beim Stromverbrauch geben. Die Ausstattungsvariationen waren bei den bisherigen BEVs kleiner als bei ähnlichen Autos mit Verbrennungsmotor, und im Regelfall verfügen die BEVs über eine grundsätzlich bessere Grundausstattung. So hat zum Beispiel ein Volkswagen e-Golf immer vier Türen. Dennoch ist eine gewisse Spannbreite zu erwarten.

Fachkreise gehen davon aus, dass die Reichweite batterieelektrischer Autos bei stagnierender Kapazität signifikant sinken würde. Um wie viel, wollte auch in Hintergrundgesprächen niemand verraten. Vielleicht werden diese Abstriche auf dem Papier durch die permanent wachsende Kapazität der Akkus überkompensiert. Bald wissen wir mehr.

Eine Lücke des WLTP jedenfalls ist offensichtlich: Der Betrieb auf Autobahnen wird weitgehend ausgeklammert. Wer vorm Kauf einschätzen will, ob der Urlaub oder die Reise zur Familienfeier ohne viele zähe Ladepausen funktioniert, ist wie bisher auf die Erfahrung anderer Nutzer oder die Berichterstattung angewiesen. Sicher scheint nur, dass angesichts der rapide wachsenden öffentlichen Infrastruktur das Liegenbleiben unwahrscheinlicher wird.